Auch ohne dass einem die TOURETTE BOYS ein Begriff sind, stellt deren Nachfolgeband GAVIAL mit „Vor“ ein spannendes Album zur Diskussion. Zu hören gibt’s entschleunigten Stoner-Rock, der keinen Hehl aus seiner Nähe zum Blues macht und gerne von nebulösen Psychedelika umweht wird.
So gesehen repräsentiert die Band eine gewisse Polarität. Denn einerseits klingt die Musik abgehoben, die Songs scheinen einem psychedelischen Äther zu entspringen, der u.a. die eine oder andere Assoziation zu den Meistern der Soundflächen PINK FLOYD wach werden lässt.
Auf der anderen Seite ist „Vor“ doch ein wesentlich erdigeres Soundbild zueigen. Das passt auch hervorragend zum groovebetonten Blues von Stücken wie „Collecter“ oder dem psychedelisch mäandernden „Wheels“.
Tatsächlich sind es aber viel weniger einzelne Songs, die das Album auszeichnen, als vielmehr der Eindruck hier ein Gesamtkunstwerk präsentiert zu bekommen, das sich aktiv erarbeitet werden will. Natürlich lässt es sich zu den Klängen von Stücken wie „Passing“ hervorragend wegdämmern (im positiven, wie auch im negativen Sinn), aber unter der bloßen Musik schlummert eben auch eine diffuse Energie, die sich erst mit der Zeit erschließt.
GAVIAL suhlen sich in manchen Momenten geradezu in Trostlosigkeit, allerdings tun sie das immer mit einem gewissen Blick der Akzeptanz, oder wenigstens der Grundhaltung, das Beste aus einer beschissenen Situation gemacht zu haben („Circles, Part 1“). Das klingt mitunter sehr intim, geradezu schmerzlich, aber zugleich findet sich auch das Angebot oder wenigstens die Chance auf eine persönliche Erlösung. Dieser Idee folgend klingt ein Song wie „Bridges“ in Teilen beinahe selbstvergessen, vielleicht sogar erhebend ob der Tatsache, dass eben jedem Ende ein Neuanfang innewohnt.
Vielleicht verbirgt sich genau hier das übergeordnete Motiv dieses Albums, womit sich der Kontext einer Zäsur eben nicht nur auf den musikalischen Neuanfang der Musiker unter anderem Namen beziehen lässt, sondern auch auf eine Geisteshaltung. Das Stichwort heißt wohl 'Entwicklung'.
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FAZIT: GAVIAL wissen auf „Vor“ eine vielfältige musikalische Stimmung zu kreieren, die zwischen sphärischer Entrücktheit und groovebetonter, musikalischer Bodenhaftung eine Vielzahl an Facetten aufweist. Müssten Etikettierungen her, sind Blues-, Stoner- und Psychedelic-Rock sicher nicht verkehrt, aber sie treffen auch nicht zu einhundert Prozent ins Schwarze. Eine gewisse Offenheit für die Gefühle und Imaginationen, die Musik erzeugen kann, ist sicher von Vorteil, um in dieses Album einzutauchen.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.07.2023
Paul Kollascheck
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Paul Willy Stoyan, Benjamin Butter
Conrad Brod
Exile On Mainstream Records
46:57
19.05.2023