Der Albumtitel ist Programm: "Now", also ganz im Hier und Jetzt, lebt und musiziert GRAHAM NASH, dieser feine alte Herr mit den schick frisierten schlohweißen Haaren. Dass der gleich doppelt in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommene Sänger und Gitarrist auch im hohen Alter noch so gegenwartsbezogen kreativ ist, hat sicher etwas mit einer glücklichen Fügung im Privatleben zu tun (dazu später mehr), aber auch mit seiner grundsätzlichen Einstellung: "Als Songwriter ist es meine Aufgabe und Passion, Songs zu schreiben", sagt der 81-jährige gebürtige Brite und Wahl-Amerikaner in einem "Stereo"-Interview. "Ich kann weder auf einen Knopf drücken, um damit Ideen zu erzwingen, noch kann ich sie irgendwie abstellen."
Und das ist auch gut so, möchte man ergänzen, wenn man nun sein neues Soloalbum hört. "Now" zeigt Nash in richtig guter Form, es bildet mit dem Vorgänger "This Path Tonight" (2016) ein mehr als solides Spätwerk des Mitglieds der englischen Hit-Band The Hollies (1962-1968) und der Supergroup Crosby, Stills and Nash (& Young). In dieser Woodstock-Ikonen-Truppe war GRAHAM NASH zwischen den nordamerikanischen Alpha-Männern offenkundig der stille, für den gesanglichen Schönklang zuständige Kumpeltyp. Und diese Einschätzung bestätigt er auch jetzt wieder mit zwölf kurzen, hochmelodischen Songs und einem noch kürzeren Instrumental-Track namens "Theme From Pastorale".
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Wie so oft in Nashs Output unter eigener Flagge seit dem Solo-Debüt "Songs For Beginners" (1971) geht es in den fein instrumentierten Liedern um die Liebe in all ihren Formen, das Leben an sich und die Politik. Schon die ersten vier "Now"-Tracks umkreisen diese typischen und doch nie langweiligen Themen des linksliberalen Idealisten, der sich unter anderem stets gegen die Nutzung der Atomkraft engagierte. Und sie tun es so harmonieselig wie von ihm gewohnt, in Liedern, die Folk, Pop, Softrock und Country verbinden.
In "Right Now" schildert GRAHAM NASH, wie ihn vor einigen Jahren die Liebe unerwartet nochmal erwischte. 2015 hatte er sich nach 38 Jahren Ehe von Susan Sennett scheiden lassen, richtete sich bereits auf das einsame Leben eines alten Mannes ein - doch es kam anders: "I used to think that I would never love again/I used to think I’d be all on my own/I really thought that it was coming to an end/And just the thought of it chilled me to the bone/But not now", singt er im "Now"-Opener. Nash feiert - nicht nur in diesem Stück - die späte Liebe zur halb so alten Künstlerin Amy Grantham. mit der er seit 2019 verheiratet ist. Der Song berührt umso mehr, weil die einst so perfekte, volle Stimme nun etwas dünner und fragiler klingt.
In "A Better Life" zelebriert GRAHAM NASH Zuversicht, Hoffnung und Aufbruchstimmung, die sein Leben prägten. "Heutzutage Optimist zu sein ist schon etwas Außergewöhnliches. Aber was ist denn die Alternative? Der Tod, das Nichts. Ich muss optimistisch bleiben", sagt der Singer-Songwriter im "Rolling Stone"-Interview. "Obwohl mir der Zustand der Welt natürlich Sorgen macht, sowohl politisch als auch ökologisch. Aber wir haben die Möglichkeit, die Welt zu verändern - und die Musik kann dabei helfen."
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Nun gut... - GRAHAM NASH versucht es zumindest. In "Golden Idol" (ein Schwinger gegen Donald Trump) und in "Stars And Stripes" hält er seinem unheilvoll gespaltenen, von einem Lügen-Dauerfeuer geplagten Wahl-Heimatland den Spiegel vor: "Just tell me the truth/Stop lying and stop trying/To create division between people all over the world/Just tell me the truth/The stars and stripes are waving/But they’re waving goodbye to the truth."
Manchmal wird's auch ein wenig sentimental und nostalgisch, etwa in "Feels Like Home" oder "Follow Your Heart". Es seufzt die Pedal-Steel-Gitarre - die Musik könnte von einem countryfolkigen Neil-Young-Alben der frühen und mittleren 70er Jahre stammen. In "Buddy’s Back", einer Hommage an Nashs frühes Vorbild Buddy Holly, singt Allan Clarke mit, sein Schulfreund und Hollies-Mitbegründer. Für das knapp einminütige Streicher-Intermezzo "Theme From Pastorale" und die anschließende Ballade "In A Dream" griff er einen Song von Alan Price (The Animals) auf.
GRAHAM NASH präsentiert sich auf "Now" als sensibler Zeitgenosse und als zutiefst dankbarer Mensch - "weil mein Leben ja wirklich ein Traum ist", wie er sagt. "Seit ich 18 bin, konnte ich immer ziemlich genau das durchziehen, was ich mit meinem Leben anfangen wollte – was ein unfassbares Glück ist und wofür ich unendlich dankbar bin. Ich wache morgens auf, lebe dieses Leben weiter, checke die Nachrichtenlage in der ganzen Welt, melde mich bei meinen Freunden – und dann schreibe ich über die Dinge, über die ich nun mal schreiben muss."
Nashs "This Path Tonight" und "Now" sind - kaum überraschend bei diesem Musiker - keine Alterswerke, die noch einmal völlig neue künstlerische Akzente setzen, wie etwa im Fall von Johnny Cash oder David Bowie. Sein erstes Ü80-Album sei aber "die persönlichste Platte, die ich je gemacht habe", betont GRAHAM NASH. Und der betagte Musiker verspricht: "Zeit ist dieser Tage die einzig relevante Währung. Aber ich weiß, dass ich eure Zeit mit diesem Album nicht verschwende." Recht hat er.
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FAZIT: 60 Jahre nach seinen ersten Hits mit den Hollies und gut 50 Jahre nach seinem Solo-Debüt, das er erst kürzlich für "Graham Nash: Live" (2022) erneut würdigte, sind die künstlerische Kreativität und das politische Engagement von GRAHAM NASH weiterhin intakt. Das grundsolide, hochmelodische Studioalbum "Now" wird dem Lebensmotto eines Woodstock-Veteranen gerecht - oder, mit den Worten des 81-Jährigen: "Dass die Liebe besser ist als Hass, dass Frieden besser ist als Krieg, dass wir uns für unsere Mitmenschen einsetzen müssen, weil wir nun mal nur uns haben auf diesem Planeten – all diese Dinge, für die wir schon damals eingestanden haben, die sind noch immer absolut wahr."
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.05.2023
Adam Minkoff
Graham Nash
Graham Nash, Shane Fontayne, Thad DeBrock
Todd Caldwell
Toby Caldwell, Adam Minkoff
BMG
38:42
19.05.2023