Er ist unser ewiger Mahner in den Zeiten, die wir immer weniger begreifen können oder wollen. Zeiten, die geprägt sind von Kriegen, Pandemien, Hass und Politikern, denen man jeglichen Geist und Sachverstand absprechen muss, die sich als Lügner oder Verschweiger (getarnt als 'Vergesser') in Banken-Skandalen und beim Versprechen nach Führung als Schwindler herausstellen oder sich ohne rot zu werden (hinter ihrer Maske) an der Pandemie bereichern und sich im schlimmsten Falle als populistische Ich-bin-gegen-alles-Hassprediger präsentieren, sich aber trotzdem scheinheilig die Frage stellen: 'Warum will mir der Großteil meines Volkes nicht mehr folgen?'
In solchen Zeiten erkennen wir, wie wichtig unsere deutschen Rock-Poeten und Liedermacher als moralische Freigeister werden, die sich dem sinnlosen Gendern, aber niemals den sinnvollen Inhalten oder Problemen verweigern, und die den Notenschlüssel sowie den Textgriffel in die systemische Wunde legen, dabei aber nie ihre Hoffnung verlieren und von der Liebe genauso wie vom Krieg (nicht nur) ein Lied singen können. Oder sie heulen am Ende gleich wie die Hyänen, weil sie ihr Rudel beschützen wollen und dabei ihren Biss zeigen müssen, weil sie längst nicht mehr permanent auf Diplomatie bauen, die am Ende den boshaften Gegner stärker macht als den friedlichen Vermittler: „Diese furchtbar herrlichen Jahre / diese elende kostbare Zeit / war das Ganze denn wirklich das Wahre / ist das Leben mehr Tarnung als Kleid / doch so lange die Bombe tickt / bin ich zu allem bereit“ („Diese furchtbaren herrlichen Jahre“)
Es sind wieder die Zeiten angebrochen, in denen ein HEINZ RUDOLF KUNZE und alle musikalische Mitstreiter auf dessen Niveau immer wichtiger werden. Ein Musiker, der was zu sagen und zu singen hat und der außerdem endlich auch das (nicht wahre, dafür aber kampfbereite) Gesicht (auf seinem Cover zu „Können vor Lachen“) zeigt, das man nicht nur lieb haben, sondern vor dem man endlich auch mal Angst haben sollte, selbst wenn es einem 'hyänisch' entgegenlacht.
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HEINZ RUDOLF KUNZE läuft auf seinem bereits 39. Album endlich wieder zu Höchstform auf und zeigt sich vom ersten Eindruck her erst einmal als die singende, lachende, kurzsichtige (weil Brille), aber zugleich extrem weitsichtige Hyäne.
„Können vor Lachen“ besitzt all die Qualitäten (unschlagbare Melodien treffen auf schöngeistige, aber auch provozierende Poesie), welche ihn mit „Dein ist mein ganzes Herz“ 1985 in einem geteilten Deutschland zum Superstar (ohne Star-Allüren) werden ließen und heute im vereinten Deutschland den bissigen Hyäne-Blick aufsetzen, da man nunmehr anscheinend nicht mehr mit dem Herz, sondern vielmehr mit dem angsteinflößenden Kampfgeist seine Ziele erreichen kann. Die Zeiten ändern sich – die Musik von HEINZ RUDOLF KUNZE zu Glanzzeiten im Falle von „Können vor Lachen“ zum Glück nicht: „Wenn wir die Regeln nicht wollten / dann mussten wir uns eigene machen / für uns hat immer gegolten / erst kommt das Können und dann kommt das Lachen / Können vor Lachen“.
Vielleicht liegt die unglaublich hohe Qualität von „Können vor Lachen“ daran, dass Kunze drei Jahre durch die Pandemie und andere Begleiterscheinungen ausgebremst war und sich so diesen für ihn ungewöhnlich langen Zeitraum nahm, um sein 'Hyäne von und mit BRILLE'-Album zu vollenden. Und so unglaublich stimmungs- und spannungsgeladen wie die letzten drei Jahre mit allen Höhen und Tiefen waren, genauso ist auch das Album geworden. Es beginnt druckvoll mit „Halt mich fest“, schiebt dann sofort einen Song in bester 'Herz'-Pop-Hit-Magie namens „Halt das Herz an“ hinterher…
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...gibt uns sogar auf beeindruckende Weise eine umfangreiche Germanistikschulung der besonderen, aber keinesfalls belehrenden, sondern vielmehr ironischen Art in „Trostlosigkeitsallee“ und endet mit sehr ungewohnten, progressiv rockenden Klängen auf dem „Leuchtturm“.
Kunze greift alles auf, woran sich heutzutage die guten und die bösen Geister scheiden – und seine Band und er, in der sogar nunmehr der begnadete Gitarrist JAY STAPLEY mitspielt, setzen die Ideen rundum überzeugend und jeweils der Stimmung des Textes folgend, mal als Rock- oder Pop-Nummer, dann wieder als Ballade oder Hymne und natürlich im klassischen Singer/Songwriter-Stil, der sich am Ende zum progressiven Experiment entwickelt, um.
Natürlich sollten an dieser Stelle dann doch ein paar Stücke besonders hervorgehoben werden, wie der Antikriegs-Song „Igor“ mit realem Hintergrund über einen jungen russischen Burschen, der auf Befehl in der Ukraine tötet und dafür lebenslange Haft erhält. Sein wahrer Peiniger ist aber der Kriegstreiber Putin (Sicher nicht nur aus Kunze-Sicht): „Wie geht es Ihnen Herr Putin / wie schlafen Sie bei Nacht / haben Sie ein einziges Mal / an solche Jungs gedacht“.
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Oder die knallharte Deutschland-Kritik, die mit „Der Irrsinn hat System“ zum echten Polit-Song wird und sich wie ein Anklagegesang erhebt: „Wir wissen nicht wer uns regiert und überhaupt warum / wir dreh'n uns auf der Straße höchstens nach uns selber um“.
Demgegenüber stehen romantische Liebeslieder wie „Du tust mir gut“ und das extrem hitverdächtige „Halt das Herz an“, vorgetragen mit viel Gefühl und einer Stimme, die mitunter gar nach jungem Burschen als betagten Sänger klingt: „Zeig mir deine ganze Haut / ohne jeden Rest / kein Fleck bleibe übrig / der sich nicht lieben läßt“.
Kunze ist ein Poet der ersten Güteklasse, dessen Lieder oft auch als eigenständige Gedichte ohne Musik funktionieren würden, aber ihre ganze Emotionalität gerade durch den Gesang und die breite Instrumentierung entfalten.
Der oft vernehmbare Vorwurf, dass HRK aka BRILLE und vielleicht bald aka HYÄNE (???) mitunter den Oberlehrer raushängen und mit seinem Intellekt recht anstrengend sein kann, trifft für „Können vor Lachen“ in keiner Weise zu, selbst wenn er uns in „Trostlosigkeitsalle“ auf eine bunte Reise durchs Schriftsteller-Lexikon mitnimmt, denn hier zählt eben nicht das Werk der Autoren, sondern deren schwierige menschliche Seite – ironisch von Kunze auf's Korn genommen –, die sie oft erst zu schriftstellerischer Höchstleistung veranlasste.
Schlimme Zeiten und schlechte Erfahrungen bringen eben noch immer die anmutigste Kunst hervor. So bleibt nur zu hoffen, dass HEINZ RUDOLF KUNZE derzeit nicht durch eigene Krisen stolpert, sondern nur den Zeitgeist, um den es ziemlich beschissen steht, mit seinen Texten und der abwechslungsreichen Musik widerspiegelt.
Denn „Können vor Lachen“ gehört eindeutig in die Top 10 seiner nunmehr 39 Alben.
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FAZIT: Wir leben in Zeiten, die nicht unbedingt zum Lachen sind. Nur hilft es deswegen zu heulen? Nö – wir müssen uns dieser Herausforderung stellen, genauso wie es uns gerade einer der größten deutschen Liedermacher mit Rock- und Pop-Appeal vormacht: HEINZ RUDOLF KUNZE holt auf seinem aktuellen 39. Album „Können vor Lachen“ all die Stärken hervor, wofür er spätestens seit „Dein ist mein ganzes Herz“ bewundert und geliebt wird: Musik voller Gefühl, aber auch Härte und Texte, die zwischen Poesie und Provokation, Liebe und Hass, Frieden und Krieg alle Facetten des Lebens voller Emotion aufgreift und tiefe Wirkung bei den Musikfreunden hinterlässt, die noch die angenehme Eigenschaft des Zuhören- und Mitfühlen-Könnens besitzen. Oder um es mit seinen Worten auszudrücken: „Keiner weiß Bescheid / Was die Zukunft bringt / Wie das nächste Lied / dieser Menschheit klingt / Ob es überhaupt / noch irgendjemand singt.“ Mit HEINZ RUDOLF KUNZE wäre sicher genau der richtige Sänger für die 'Mission Zukunft' gefunden.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.06.2023
Udo Rinklin
Heinz Rudolf Kunze
Manuel Lopez, Jay Stapley, Udo Rinklin, Heinz Rudolf Kunze
Udo Rinklin, Matthias Ulmer, Heinz Rudolf Kunze
Jens Carstens
Heinz Rudolf Kunze (Mundharmonika), Chor
Meadow Lake Music/Rough Trade
58:12
26.05.2023