Es hätte alles so schön sein können: Als die norwegische Teilzeit-Berlinerin INGER NORDVIK 2020 ihr Debüt-Album „Time“ vorlegte, stieß sie mit ihrem eindringlichen Mix aus organischen Jazz-, Art- und Kook-Pop-Songs in eine Nische vor, die in unseren Breiten (jetzt auch mal Norwegen mit eingeschlossen) so häufig ja nun wirklich nicht bedient wird. Begeisterte Kritiken und die Planung, mit dem Material dann auch gleich auf Tour zu gehen, ließen eine steile Karriere im Singer/Songwriter-Genre möglich erscheinen. Das Problem war nur, dass das Album am Vorabend der ersten Lockdown-Phasen der ausbrechenden Pandemie veröffentlicht wurde, sodass es letztlich nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die es eigentlich verdient hätte – mal ganz davon zu schweigen, dass eine richtige Tour nicht möglich war.
Bereits damals arbeitete die Musikerin indes an neuen Songs, die sich nun auf ihrem zweiten Album „Hibernation“ wiederfinden, welches sie während der Pandemie in der Abgeschiedenheit einer norwegischen Waldhütte ausformulierte.
Einen richtigen Winterschlaf – wie es der Titel des Albums assoziierte – wollte INGER NORDVIK aber eigentlich gar nicht thematisieren, denn in der Tat war sie ja in der Produktionsphase des Werkes besonders wach und aktiv. Ihre Interpretation eines Winteschlafes ist vielmehr der gedämpfte Zustand der Wahrnehmung in der Isolation (z.B. der Lockdowns), in dem Impulse aus der Außenwelt sich auf Echos aus den jeweils präferierten Bubbles reduzieren, sodass man auf sich selbst zurückgeworfen wird.
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Die Songs „Echo“ und „Hibernation“ beziehen sich dabei direkt auf diesen Umstand. Das erklärt zugleich den reflektiven Charakter des Materials. Neben der Winterschlaf-Thematik diskutiert die Musikerin aber auch weitere Themen in klassischer Selbstfindungs-Manier mit sich selbst.
Der Song „Secret“ handelt etwa von toxischen Beziehungen, „It Follows“ thematisiert Emotionen, denen man sich nicht entziehen kann und „Ask Me“ beschreibt die Schwierigkeiten des Los-Lassens.
Natürlich kleidet sie hierbei ihre Inhalte in poetische Codes – dennoch kann man die Person INGER NORDVIK durch ihre Kunst ein wenig kennenlernen, denn was die Präsentation mittels ihres hochemotionalen Sopran-Gesanges betrifft, verschleiert nichts und legt ihr Innenleben offen.
Musikalisch setzte sie allerdings dieses Mal auf einen kollaborativen Ansatz mit ihren Musikern, die sie bei diversen Live-Projekten kennen und schätzen lernte. Außerdem beeinflusste deren Expertise den Klang und die Arrangements ihrer nach wie vor komplexen und fragilen Kompositionen maßgeblich. Ihr Ziel, trotzdem alles leichtfüßig und ungezwungen erscheinen zu lassen, ließ sich dadurch erreichen, dass die Basis-Tracks inklusive improvisatorischer Elemente gemeinsam live im Studio eingespielt wurden. Infolge dessen ergibt sich der interessante Kontrast, dass die inhärente (skandinavische) Melancholie der größtenteils balladesken Nummern durch die spielerische Leichtigkeit der Inszenierung aufgefangen wird.
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FAZIT: INGER NORDVIK ist eine Musikerin, die alle Aspekte ihrer klassischen Musikausbildung und ihrer Erfahrungen im Jazz-Umfeld einsetzt, um ihre Songs musikalisch ständig an die jeweilige Stimmungslage und inhaltlichen Situationen anzupassen. So entschied sie sich dafür, das Trio-Format des Debütalbums durch Hinzunahme elektrischer und elektronischer Elemente und Effekte (sowie nicht zuletzt mehr Musikern) aufzubohren und um selbst geschriebene Arrangements für Streicher und erstmals auch für Blechbläser zu ergänzen. Wer sich also für subtil orchestrierte, episch/balladeske, stilistisch ungebundene, hochemotional inszenierte und letztlich zeitlose, poetische Songkunst mit Tiefgang interessiert, ist bei „Hibernation“ zweifelsohne bestens aufgehoben.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.02.2023
Bardur Reinhard Poulsen
Inger Nordvik
Torstein Slåen
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Ola Øverby
Asta Records
37:11
10.02.2023