Das neunte INSOMNIUM-Album beruht auf einer Kurzgeschichte von Bassist und Sänger Niilo Sevänen und wirkt vielleicht auch deshalb zunächst deutlich weniger leicht zugänglich, als man es von den finnischen Melodic-Death-Metallern bislang gewohnt war. Beschäftigt man sich jedoch eingehend mit "Anno 1696" entpuppt sich die Platte als soweit kunstvollstes Werk der Band überhaupt.
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Im Umkehrschluss finden sich unter den Songs keine offensichtlichen Hits, aber dafür brennt die Flamme umso länger, die INSOMNIUM entzünden. Dabei versetzen sie uns ans Ende des 17. Jahrhunderts, also in die Hochphase der Hexenverfolgung in Europa, derweil sich ein historisches Setting mit einer Menge Fiktion vermischt: Die Torsåker-Hexenprozesse fanden 1675 im mittelschwedischen Dorf Torsåker statt, wo insgesamt 71 Menschen (sechs Männer und 65 Frauen, was ungefähr ein Fünftel der weiblichen Bevölkerung in der Region ausmachte!) an einem einzigen Tag enthauptet und verbrannt wurden.
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Was zu den größten Massenhinrichtungen angeklagter Hexen in der Geschichte gehört, würzen INSOMNIUM nun mit Lykanthropie - im Geist des Romans “Sudenmorsian” (1928) von Schriftsteller Aino Kallas - und anderen fantastischen Handlungsbausteinen, sodass die Musik für die Verhältnisse der Band zwangsläufig düsterer denn je ausfallen musste. Blastbeats dominieren gleich das eröffnende ´1696´, ehe Rotting-Christ-Frontmann Sakis Tolis ein tatsächlich der griechischen Lesart des Black Metal nahestehendes Stück als Gastsänger verziert: ´White Christ´ geht von allen Tracks der Platte am ehesten als Single-Kandidat durch, dicht gefolgt vom treibenden ´Lilian´ das den "traditionellen" INSOMNIUM gemeinsam mit dem lebhaften ´The Witch Hunter´ am nächsten kommt.
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Dem stehen die eindrucksvollen Longtracks ´The Starless Paths´, ´Godforsaken´ (mit der in Finnland bekannten Sängerin Johanna Kurkela, Ehefrau von Nightwish-Kopf Tuomas Holopainen und auch schon bei Sonata Arctica zu hören gewesen) und ´The Rapids´ gegenüber, die von opulenten Keyboard-Arrangements über rhythmische Spitzfindigkeiten bis zu Chören mittelschwere Prog-Beben auslösen. Die Ballade ´The Unrest´ rundet das vielleicht stärkste INSOMNIUM-Album ever mit Piano und Mellotron ab.
FAZIT: "Anno 1696" ist episch im wahrsten Sinn des Wortes und deutet an, wohin sich der bislang einigermaßen konventionelle Finnen-typische Melodic Death Metal von INSOMNIUM weiterentwickeln könnte. Packendes Storytelling verschmilzt hier mit ausgefuchstem Songwriting, wohingegen Freude schlichter Eingängigkeit besser mit einem früheren Werk der Band beginnen sollten, falls sie noch nicht mit ihr vertraut sind - ein künstlerischer Achtungserfolg ist das Ding jedenfalls jetzt schon. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/1fd5bbc939ff44febad60780aefd6c26" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.02.2023
Niilo Sevänen
Niilo Sevänen, Jani Liimatainen, Markus Vanhala
Ville Friman, Jani Liimatainen, Markus Vanhala
Markus Hirvonen
Century Media / Sony
50:32
24.02.2023