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Jess Williamson: Time Ain't Accidental

Stil: Singer/Songwriter, Folk

Cover: Jess Williamson: Time Ain't Accidental

„Meinst Du, es ist Country? Ich bin mir selber gar nicht sicher“, philosophiert JESS WILLIAMSON, als es darum geht, ihre aktuelle LP „Time Ain't Accidental“ im Kontext zu ihren bisherigen Veröffentlichungen einzuordnen.
So richtig ausschlaggebend ist diese Frage aber nur für Leute, die Schubladen brauchen, um Musik begreifen zu können. Mit dem höchst erfolgreichen Side-Project PLAINS – das die Musikerin im letzten Jahr zusammen mit ihrer Freundin KATIE CRUTCHFIELD a.k.a. WAXAHATCHEE realisiert hatte – hatte sie ja zudem noch einmal gezeigt, dass sie klassische Country-Songs mühelos aus dem Ärmel schütteln kann. Für ihr neues Album sprengte sie nun allerdings das Format-Konzept und machte sich von Genre- und Stil-Begrifflichkeiten frei.

Also nein: Das fünfte Album der inzwischen zwischen ihrer Wahlheimat L.A. und ihrer „echten“ Heimat Texas pendelnden Songwriterin ist keine richtige Country-Scheibe geworden. Sicher: Da gibt es die klassischen Storyteller-Aspekte, mittels derer sie auf dieser neuen Scheibe ihr Leben während der Pandemie und nach einer aufgezwungenen Trennung von ihrem langjährigen Partner in detailreichen Geschichten chronologisiert – und auf der musikalischen Seite sind es Banjo (Williamsons erstes Instrument), Slide-Gitarren-Sounds und viele Akustik-Gitarren, welche die Verbindung zur Country-Musik aufrechterhalten. Auf der anderen Seite finden sich dann aber auch mittels einer Handy-App selbst programmierte Drum-Patterns, Synth-Bass und Synthesizer sowie atypisch eingesetzte Bläser-Arrangements auf der neuen Scheibe. Das führt unter dem Strich dazu, dass JESS WILLIAMSON einige prächtige, zeitlose Pop-Songs wie zum Beispiel den Titeltrack „Time Ain't Accidental“, „Hunter“ oder „Something's In The Way“ gelingen. So deutlich wird das sogar, dass die aktuelle Bio etwas hilflos TAYLOR SWIFT als mögliche Referenz empfiehlt (was dann aber nicht wirklich zielführend ist).

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Diese musikalische Weiterentwicklung ist zweierlei Umständen geschuldet: Einerseits musste sich JESS WILLIAMSON während der Pandemie – und ohne die gewohnten, direkten musikalischen Ansprechpartner – neu orientieren und sich überlegen, wie sie ihre Songs alleine konzipieren könnte. Dabei kam sie zum Beispiel auf die Idee, sich mit ihrem iPhone Drumpatterns zu basteln, um ihre Demos möglichst vollständig einfangen zu können. Es war allerdings der Eingebung ihres Produzenten BRAD COOK zu verdanken, diese Elemente dann auch bei der Studioproduktion beizubehalten – und durch zahlreiche weitere elektronische (und organische) Arrangements zu ergänzen. Und so kam es dann, dass sich die beiden im Studio die Aufgaben teilten, die Songs gemeinsam ausformulierten und das Album nahezu im Alleingang einspielten. Neben Pop-Songs und einigen Americana-Tracks, wie „Roads“ oder „Chasing Spirits“, sprangen dabei zusätzlich die Piano-Ballade „Stampede“ und die Torch-Song-Elegie „I'd Come To Your Call“ heraus. Beides sind übrigens bittersüße Rückblicke auf die zerbrochene Liebe ihrer letzten Beziehung, die JESS WILLIAMSON mit einer besonders leidenschaftlichen und emotionalen gesanglichen Hingabe kürt.

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Bei dieser Kollaboration half dann wohl auch, dass BRAD COOK - sowohl als Songwriter wie auch als Produzent - die besondere Fähigkeit besitzt, insbesondere mit Frauen auf eine nicht-technische Weise Musik zu diskutieren, um so deren Wünsche intuitiv in Sounddesigns umsetzen zu können. Zuletzt tat er das zum Beispiel für SUKI WATERHOUSE, FENNE LILY, SNAIL MAIL, MADI DIAZ oder jetzt eben PLAINS und natürlich auch JESS WILLIAMSON, die übrigens freimütig einräumt, ihre eigenen produktionstechnischen Ambitionen demnächst wohl erst noch weiterentwickeln zu müssen.

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FAZIT: Der Titel von JESS WILLIAMSONs fünften Studio-Album ist kein Zufall. Das hängt damit zusammen, dass genau dies auch das Thema des Albums ist, weil die Musikerin zu dem Schluss kam, dass es hier keine Zufälle gibt (schon gar nicht das Timing betreffend), sondern alles irgendwie vorherbestimmt ist – bzw. wohl so sein sollte, wie es letztlich eintritt. So findet sie ihren Frieden in der Tatsache, dass sie nach der Trennungsgeschichte zunächst von Texas nach L.A. umzog, um dort ihr Leben neu zu sortieren, sich allerdings zunächst nicht wohlfühlte, dann aber bei einem Heimbesuch im texanischen Marfa einen alten Freund wiedertraf und eine alte Beziehung wieder aufnahm, was dazu führte, dass sie mit diesem alten Freund inzwischen sogar glücklich liiert ist. Durch das so neu gefundene Selbstbewusstsein konnte sie sich dann inzwischen auch mit L.A. arrangieren. Auf zwei Tracks ihres Albums „Time Ain't Accidental“ - „Tobacco Two Step“ und „Topanga Two Step“ - die für ihre Texas- und ihre L.A.-Connections stehen, kommt sie dann zum Schluss, dass sie a) beide Ebenen ihrer Existenz brauche, b) diese Entwicklung nur zu dieser Zeit hatte stattfinden können und somit c) eben das Timing eben gar nicht zufällig sein konnte. Das ist dann alles zwar einerseits ganz schön ich-bezogen und esoterisch angehaucht, wird aber so charmant und glaubwürdig dargeboten, dass das Erzählte für den Zuhörer trotz der persönlichen, spirituellen Sichtweise ohne weiteres nachzuvollziehen ist.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.06.2023

Tracklist

  1. Time Ain't Accidental
  2. Hunter
  3. Chasing Spirits
  4. Tobacco Two Step
  5. God In Everything
  6. A Few Seasons
  7. Topanga Two Step
  8. Something's In The Way
  9. Stampede
  10. I'd Come To Your Call
  11. Roads

Besetzung

  • Bass

    Brad Cook

  • Gesang

    Jess Williamson

  • Gitarre

    Jess Williamson, Brad Cook

  • Keys

    Brad Cook, Phil Cook

  • Schlagzeug

    Matt McCaughan

Sonstiges

  • Label

    Mexican Summer

  • Spieldauer

    36:30

  • Erscheinungsdatum

    09.06.2023

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