Zurück

Reviews

Lazuli: 11 Onze Onze

Stil: Progressive Rock

Cover: Lazuli: 11 Onze Onze

Jede Menge Liebe und andächtige Stille…
Aber auch der Stich einer Biene, den die Menschen als Bienenstich nur zu gerne verspeisen, dafür das Insekt jedoch nicht im geringsten achten – eher verachten, wenn das zerbrechliche, wortwörtlich 'bienenfleißige' Lebewesen als letztes Mittel zu seiner Rettung vor dem Menschen den Stachel einsetzt und dabei unweigerlich zu Tode kommt...

Oh ja, jede Menge Liebe (außerdem ruhige Momente und Insekten) steckt/stecken mal wieder in dem aktuellen Album der nicht zu schubladisierenden französischen Ausnahme-Progger von LAZULI, denen es immer wieder gelingt, ihre Hörer mit neuen musikalischen Ideen und ausgefallenen Gestaltungsideen ihrer Alben zu überraschen.
Dieses Mal bleibt die erste Begeisterung schon an dem tollen Digibook mit seinen satten 56 Seiten hängen, das zudem zum Verständnis des ausschließlich in französischer Sprache eingesungenen Text-Konzepts, in dem es um die durch den Menschen beinahe zerstörte (Um-)Welt (nicht nur) der Bienen geht, die durch die Pandemie und den dadurch bedingten weltweiten industriellen Stillstand wieder zurückkehren („Und so kamen die Bienen zurück… Die klare Luft, die Vögel und Insekten nahmen wieder ihren Platz ein…“), ein umfangreiches Vorwort in deutscher Sprache enthält.

<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/2MFFChZ4ELw" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>

Hier bleiben LAZULI also die alt(bekannt)en, die sich mit ihrer Kunst und Musik für das Gute im Menschen und den Schutz von Natur und Umwelt einsetzen, weil sie wissen, dass genau das den meisten in ihrer egoistischen, fast manischen Gier nach immer mehr scheißegal ist. Und so wird bei ihnen tatsächlich der durch eine Pandemie ausgelöste Lockdown zum großen Hoffnungsschimmer für alle Lebewesen und die Natur – jenseits der menschlichen (so zerstörerischen und zugleich zerstörbaren) Kreatur…
Doch sehr lange hielt diese Hoffnung nicht an: „Aber siehe da, alles ging wieder von vorne los, auf brutalste Art und Weise und einem Wegschauen, welches seinesgleichen sucht. Erneut drehten wir uns um uns selbst, genauso wie unsere Erde und wieder einmal verlief sich der Traum einer tugendhafteren Welt im Sande.“

Außerdem definieren LAZULI auch dieses Mal den Begriff des Progressive Rock für sich auf ihre ureigene Weise völlig neu – und sind damit oft um Längen 'fortschrittlicher' als viele Bands und Schreiber, die sich per se an der Definition 'Progressive Rock' abarbeiten und dabei den unglaublichen Reiz von LAZULI und ihrer Musik aus Augen und Ohren verlieren.
Die fünf Franzosen machen Musik für's Dies- und Jenseits, während sie der Vergangenheit und den Traditionen ihres Landes alle Türen und Tore öffnen und noch dazu einen Sänger besitzen, der ein vokales Sangeswunder ist und mit jedem noch so hohen oder tiefen Ton sein faszinierendes Charisma verbreitet. Bestes Beispiel ist hierfür die Rundum-Gänsehaut-Ballade „Mille rêves hors de leur cage“.

<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/J6eSqXvuT0c" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>

Ähnlich fragil und manchmal bedrückend oder melancholisch wie der Lockdown klingt nun also auch die Musik auf „11 Onze Onze“. Ein Titel, der nicht nur Hinweis darauf ist, dass dieses Album bereits LAZULIs elftes ist und darum wohl auch gleich elf Songs darauf untergebracht wurden, sondern hier verbergen sich zudem laut der französischen Prog-Band, die auch diesmal mit vielen weltmusikalischen und akustischen sowie sehr zeitkritischen Elementen liebäugelt, zusätzliche Botschaften: „Diese Zahl ist ein Spiegelzahl, sie symbolisiert oft den inneren Kampf, ein Sichverlieren und gleichzeitig kann man sie als eine Wiedergeburt betrachten. Gewiss, eine Melancholie, ein 'Spleen', ein grauer Schatten durchzieht diese 11 Kompositionen gleich einer Serie von Bildern aus diesen ungewissen Zeiten, so wie eine Hell-Dunkel-Malerei.“

In der Ruhe liegt die Kraft von „11 Onze Onze“.
Eine Ruhe, die oftmals auch von symphonischen oder bombastischen Elementen durchbrochen wird oder bei der sich eine jaulende E-Gitarre erhebt und die in „La bétaillière“ mit treibendem Drumming leidenschaftliche Härte verbreitet. Bei LAZULI ist man vor nichts gefeit. Sie sind das progressive Unikum aus Frankreich, dem man auch auf „11 Onze Onze“ einfach nicht beikommen oder sich entziehen kann.

Klavier und Glockenspiel, trauriger Gesang, der immer leiser wird und am Ende verhallt, lässt „11 Onze Onze“ ausklingen und man bleibt allein und betroffen zurück – und hofft fast auf den nächsten Lockdown, um wieder feststellen zu dürfen: „Und so kamen die Bienen zurück...“

<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/QfaTyEx-ioE" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>

FAZIT: Ohne LAZULI wäre die Welt der progressiven Musik sowie der Hoffnung und Träume auf das Gute im Menschen, der mehr an seine Umwelt statt nur an sich denkt, deutlich ärmer. Das französische Quintett beweist auch auf seinem (Achtung! Achtung!) die guten Seiten des Lockdowns aufzeigenden 11. Album „11 Onze Onze“, dass sie eine Ausnahmestellung im progressiven Kunstverstand genießen, welche selbst mit einem 56 Seiten starken Digibook samt einem deutschen Vorwort ihresgleichen sucht. Musik für die Ewigkeit oder zumindest die Insel.

Punkte: 14/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.04.2023

Tracklist

  1. Sillonner des océans de vinyles
  2. Triste carnaval
  3. Qui d'autre que l'autre
  4. Égoïne
  5. Lagune grise
  6. Parlons du temps
  7. Le pleureur sou la pluie
  8. Les mots désuets
  9. La bétaillière
  10. Mille rêves hors de leur cage
  11. Le grand vide

Besetzung

  • Bass

    Arnaud Beyney

  • Gesang

    Dominique Leonetti

  • Gitarre

    Dominique Leonetti, Arnaud Beyney

  • Keys

    Romain Thorel

  • Schlagzeug

    Vincent Barnavol

  • Sonstiges

    Claude Leonetti (Léode), Romain Thorel (French Horn), Vincent Barnavol (Percussion, Marimba, Glockenspiel)

Sonstiges

  • Label

    L'Abeille Róde/Just For Kicks

  • Spieldauer

    54:44

  • Erscheinungsdatum

    18.01.2023

© Musikreviews.de