LINDISFARNE – eine im 7. Jahrhundert von einem Mönch gegründeten heilige Insel an der Nordostküste Englands mit dem gleichnamigen Benediktiner-Kloster darauf, das man nur während der Ebbe vom Festland aus über eine dann befahrbare Straße erreichen kann. Zudem gilt die Insel als eins der schönsten Vogelschutzgebiete überhaupt. Frieden und Natur und Glaube und Abgeschiedenheit – das ist LINDISFARNE…
...und es ist auch eine im Jahr 1969 in Newcastle gegründete und nach Höhen und Tiefen 2004 aufgelöste britische Folk-Band, welche gerne auch selten ein paar progressive Rockelemente in ihre Musik einfließen lässt und die durchaus ähnliche Eigenschaften in ihrer Musik aufweist wie die Insel, nach der sie sich benannten.
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Bereits Anfang der 1970er-Jahre galten LINDISFARNE – auch durch ihre ausgiebigen Konzerttourneen und besonders vieler Auftritte bei BBC Radio wegen – als eine der absolut führenden britischen Folk-Bands.
Hört man BBC Radio, dann kommt einem in Deutschland heutzutage natürlich das Repertoire-Records-Label in den Sinn, das in all seiner Retro-Begeisterung immer wieder diese Radio-Aufnahmen bekannter, aber auch weniger bekannter Bands ausgräbt und in vollem Umfang bestens restauriert veröffentlicht. Nun also ist diesbezüglich LINDISFARNE dran – und wie: Denn mit „Radio Times – Live At The BBC 1971-1990“ erwartet die Sammler guten Folks (besonders der 70er-Jahre) und Freunde der britischen Folk-Rocker eine fette, gleich acht CD's umfassende Box voller bisher größtenteils bis dato unveröffentlichter Aufnahmen (mehr als die Hälfte aller Songs dieser Box) von BBC-Radio- und BBC-Konzert-Ausstrahlungen.
Alle acht chronologisch angeordneten CD's befinden sich in einem Pappschuber (alle mit einem gleichen Frontcover versehen), die in einer Hardcover-Papp-Box stecken. Besonders beachtenswert ist neben den acht Silberlingen aber auch das zusätzliche megafette 44-seitige Booklet. In diesem wird die Band sehr anschau- und ausführlich wie folgt beschrieben: „LINDISFARNE wurde 1968 in der kulturell geprägten Region Tyneside im Nordosten Englands gegründet und verband das sprunghafte Songwriting-Talent des Sängers und Gitarristen Alan Hull mit 'süß-sauren' Harmonien, stolzen Verweisen auf ihre Heimat und einem versoffen-aufmunternden Akustik-Rock, der Anfang der 70er Jahre die Massen in Großbritannien eroberte. […] Drei Jahre lang glänzte LINDISFARNE mit einer ganz eigenen Art von Folk-Rock, bei der traditionelle Musik den Kern von Alan Hulls sozial und ökologisch geprägtem Songwriting bildete - wie die Beatles mit Bob Dylan, einigen Mandolinen und einer Kiste Newcastle Brown Ale.“
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Die erste CD ist infolge der sehr frühen Mitschnitte in wechselhafter Sound-Qualität zwischen mittelmäßig bis sehr gut – wobei insgesamt das neue Mastering aller Aufnahmen (aus insgesamt 20 Jahren), auch die bisher zur Hälfte unveröffentlicht gebliebenen, durch Martin Stansbury für tatsächlich die bestmögliche Klangqualität sorgen. Aber genau das ist ja ein nicht hoch genug anzuerkennendes Markenzeichen von Repertoire Records. Allerdings gibt es mit der CD 6 eine unrühmliche Ausnahme, denn die elf Aufnahmen vom 21. Januar 1981 sind tatsächlich in grottenschlechter Qualität, die sogar eiserne Bootleg-Sammler kaum befriedigen würden.
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Natürlich ist, wenn man es gemeistert hat, die komplette Box mit mehr als acht Stunden Spielzeit durchzuhören, klar, dass „Radio Times – Live At The BBC 1971-1990 – 8-CD-Box“ ein Sammlerstück geworden ist, das jede Menge an Song-Überschneidungen, besonders auch der insgesamt erfolgreichsten LINDISFARNE-Hits „Lady Eleanor“ und „Meet Me In The Corner“, enthält. Allerdings kann man an den durchaus unterschiedlichen Interpretationen während der Radio-Auftritte die (mitunter etwas umstrittene) Entwicklung von LINDISFARNE nachvollziehen. Auch sind die Ansagen der Moderatoren wieder enthalten, über die man interessante Informationen zu den Songs oder die Band erfährt und es gibt ein paar kurze Interviews oder Originalstimmen der Bandmitglieder zu hören.
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Ihr Debüt-Album „Fog On The Tyne“ (1971) startete in England phänomenal durch und erreichte (für vier Wochen) den ersten Platz in den Platten-Charts, wo es sich sogar insgesamt 56 Wochen lang hielt. Danach ging es im Grunde auf der Erfolgsschiene aber bergab, da es innerhalb der Band zu Unstimmigkeiten kam.
Bereits nach ihrem dritten Album, bei dem die britische Folk-Band sich stärker auf etwas härtere und zugleich eingängigere, stark vom Blues geprägte Töne konzentrierte, kam es 1973 zu Unstimmigkeiten, eben weil durch diesen Richtungswechsel der erwartete Erfolg ausblieb. Es kam zum Bruch und zur Trennung für gut drei Jahre.
Dass nicht nur der Folk LINDISFARNEs Sache war, sondern auch der Blues, kann man bei diesen BBC-Aufnahmen deutlich besser nachvollziehen als auf ihren Studio-Alben. Während der kompletten 1971er-Mike-Raven-Show am 22. Mai lassen die Jungs speziell die urwüchsigen Blueser in sich raus, wobei besonders „I'm Coming Home“ durch den herrlichen Einsatz der Mundharmonika überzeugt, die zum Schlüsselmoment von Song und Konzert wird. Auch fällt hier bereits auf, dass man sich mitunter an die ROLLING STONES oder BOB DYLAN erinnert fühlt, wofür speziell die variable Sangesstimme von Alan Hull sorgt.
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Nach dem Bruch 1973 kam es 1977 zum Versuch einer umfangreichen Wiedervereinigung der ursprünglichen LINDISFARNE-Besetzung. Sogar das 1978er-Album „Black And Fourth“ verkaufte sich recht erfolgreich und gab Grund zur Hoffnung. Wie diese klang, kann bestens auf CD 5 der Box nachgehört werden, welche einen (bisher komplett unveröffentlichten) BBC-Konzertmitschnitt vom 8. November 1978 enthält.
Danach verließ LINDISFARNE der Erfolg und das Glück, ihre Alben oder Songs in den Charts zu platzieren.
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Trotzdem blieb ihnen, weil wohl BBC (im Gegensatz zum Kritiker dieser Box) weiterhin von der deutlich poppiger, banaler und auf Stimmungsmache getrimmt klingenden Folk-Blues-Band angetan waren, weiterhin die Möglichkeit für Radioauftritte bis in das Jahr 1990, welche die letzten drei CD's der Box füllen – und die damit ein musikalischer Qualitätsverlust waren, der die Anfänge von LINDISFARNE nur noch dann widerspiegelte, wenn sie ihre 'Klassiker' live spielten. Doch auch diese klangen nicht mehr so leidenschaftlich und intensiv wie früher.
Die Zeit für LINDISFARNE war einfach abgelaufen, denn was für neugewellte Musikansprüche die 80er-Jahre an Bands, Musiker und leider auch das Radio und TV stellte, ist längst allseits bekannt.
Trotzdem machte die Band bis zu Hulls frühem Tod 1995 weiter.
Dass sie sich dabei diesen New-Wave- und Video-Hit-Tendenzen nicht völlig hemmungslos unterwarfen – so wie viele andere Bands aus dem Folk-, Blues- oder Prog-Bereich – ist ihnen hierbei anzuerkennen und auf den letzten drei CD's von „Radio Times – Live At The BBC 1971-1990 – 8-CD-Box“ zu verfolgen.
Richtig glücklich wird man mit der letzten LINDISFARNE-Ära dieser Box allerdings nicht, denn sie konnten einfach das Gefühl von Leidenschaft und unbändiger Spielfreude, die auch einen Nummer-1-Hit wie „Lady Eleanor“ hervorbrachte, nicht mehr entflammen.
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FAZIT: „Radio Times – Live At The BBC 1971-1990 – 8-CD-Box“ ist ein weiteres sehr hochwertiges Sammlerstück aus dem Hause Repertoire Records, das sich über acht CD's hin erstreckt. Allesamt sind in einer Papp-Hardvover-Box samt einem hochinteressanten 44-seitigen Booklet voller informativer Texte und vieler unveröffentlichter Fotos rund um die BBC-Auftritte von LINDISFARNE, eine der erfolgreichsten britischen Folk-Rock-Bands der 70er Jahre, versammelt. Die Aufnahmen erstrecken sich über 20 Jahre von 1971 – 1990 und sind größtenteils bisher noch unveröffentlicht geblieben. Eine akribische Glanzleistung beim Zusammentragen aller Radioaufnahmen und BBC-Konzerte, auch wenn die Sound-Qualität nicht immer sehr gut, sondern in einem Falle (CD 6) auch nur Bootleg-Qualität erreicht. Dem LINDISFARNE-Fan und -Sammler wird’s egal sein, denn allein das beigelegte Booklet entschädigt für alle kleineren oder größeren Klangverluste.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.05.2023
Rod Clements, Tommy Duffy
Alan Hull, Kenny Craddock, Tommy Duffy
Alan Hull, Simon Cowe, Charlie Harcourt
Kenny Craddock, Charlie Harcourt, Steve Daggett
Ray Laidlaw, Paul Nichols
Rod Clements (Geige), Ray Jackson (Mandoline, Mundharmonika), Marty Craggs (Saxophon, Flöte, Akkordeon)
Repertoire Records
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07.04.2023