Und der WAHNSINN geht weiter, selbst wenn wir diesmal bei MADNESS geschlagene sieben Jahre darauf warten mussten!
Doch wir werden für diese Wartezeit auf mehr als ungewöhnliche Weise belohnt – von Anfang bis Ende, wenn wir dieses irre Theater betreten oder es besser noch auf unserem Plattenteller kreisen lassen.
Schon nach dem uns begrüßenden Prolog stellen wir fest, wie unglaublich stark noch immer die Stimme von Graham McPheson klingt und dass uns der eigentliche Start-Song „Theatre Of Absurd“ doch tatsächlich an einen der kurz nach der Jahrtausendwende zwar viel zu wenig beachteten, aber trotzdem phänomenalen Musiker der absoluten Extra-Klasse erinnert: DUKE SPECIAL. Hier nun kommt endlich (so gesehen) das absolute MADNESS-Special, das eine ungeahnt großartige Tür hinter den Mannen aufstößt, die man noch immer fast nur als ein 'One-Hit-“Our House“-Wonder' verkauft, wobei die Herren doch sogar ein riesiges Theater in ihrem Theater der Absurdität veranstalten können, das sie anno 2023 selber errichtet haben.
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Wenn das Theater der Absurditäten völlig überraschend ein musikalisches Lebenszeichen der Musikverrückten MADNESS unter dem Titel „C'est La Vie“ (So ist das Leben) präsentiert, dann kann es im Grunde nur schräg werden. Und natürlich geht es der für ihre Abgefahrenheiten so beliebten britischen Band auf ihrem neuen 13. Album, auf das man insgesamt sieben lohnenswerte Jahre warten musste, um die verrückten Zeiten, denen wir einerseits (besonders durch die Pandemie) ausgesetzt sind/waren und uns andererseits auch ziemlich offen (und unüberlegt) aussetzen. Oder um es mit den Worten von Keyboarder Mike 'Barso' Barson auszudrücken: „Es handelt von diesen verrückten Zeiten, in denen wir leben, und davon, dass ich einfach nur auf meinem Boot bleiben und kein Teil dieses Wahnsinns sein möchte. Aber natürlich bin ich Mitglied einer Gruppe namens Madness. Vielleicht hätten wir uns 'Sanity' nennen sollen...“
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Und nicht nach 'Sanity' (Verstand bzw. geistige Zurechnungsfähigkeit), sondern vielmehr nach dem Verlust von 'Sanity' – also Insanity – klingt dann tatsächlich auch „Theatre Of The Absurd Presents: MADNESS – C'est La Vie“, womit die Band eben doch ihrem Namen auch auf Album Nummer 13 alle Ehre macht. Darum rufen sie gleich ein Leitprinzip für diese spannende Doppel-LP, die neben dem guten Sound auch durch eine sehr einfallsreiche Gestaltung überzeugt, aus: „Lasst den Wahnsinn Wahnsinn sein!“ Und schon damit beginnt der Wahnsinn hinter diesem Doppel-Vinyl, das in der Form eines Theaterstücks mit Pro- und Epilog sowie 3 Akten und Abspann aufgebaut ist.
MADNESS meinen es wirklich ernst, wenn sie ihr Theatre Of The Absurd mit dramatischen (aber keinesfalls tragischem, sondern eher komödiantischem und extrem zeitkritischem) Musik-Leben füllen.
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Die LP-B-Seite erinnert gleich mal mit „C'est La Vie“ an die altbekannten Our-House-Zeiten, samt megageilem Saxophon-Spiel und einem melodischen Rhythmus, der flott ins Ohr hineingeht, aber daraus einfach nicht wieder wegwill. Das ist und bleibt nicht der einzige Ohrwurm auf „Theatre Of The Absurd Presents: MADNESS – C'est La Vie“. Nur ob das auch die Radiostationen, die größtenteils ähnlich nervig wie die alltäglichen Nachrichten sind, auch bemerken werden?
Wahrscheinlich nicht, denn alles Absurde oder Andersartige wird ja heutzutage im moralischen Gleichstellungswahn etikettiert und zensiert. Genau dieser weltweite Wahn, in dem sich beispielsweise sogar eine federführende Klimaaktivistin plötzlich als kleine Antisemitin mit Pippi-Langstrumpf-Zöpfchen entpuppt, werden auf diesem Album rundum auf's Korn genommen – und man fragt sich wirklich: Wollen wir das noch mitmachen oder ziehen wir uns doch besser dahin zurück – und zwar dorthin, wo man uns zuhört und vielleicht sogar zu verstehen versucht? Also in „Theatre Of The Absurd“…
Wer braucht hier eigentlich die Therapie?
Die Verrückten oder die Normalen, denen alles verrückt erscheint, was nicht wie sie ist und in deren Sinne funktioniert? „And ladies and gentlemen / will you please walk this way / For the last and only performance / Or the cruelst cabaret / The blackest black comedy / from the house of the absurd.“
In diesem Falle wird jedenfalls der „So ist eben das Leben“-Albumtitel schlicht von MADNESS ad absurdum geführt – und mit der Erkenntnis im Hintergrund manifestiert, die da lautet: „So sollte das Leben auf keinen Fall sein! Dafür aber sollte richtig gute Musik genau so klingen!“
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Mit „The Law According To Dr. Kippah“ fühlen wir uns sogar in eine frühes ROXY MUSIC-Album versetzt, als die noch rein zu unserem Vergnügen spielten mit einer AMANDA LEAR auf dem Album-Cover. Das war damals für die Mannen um Ferry & Eno noch verrückt. Genauso verrückt wie es eben heutzutage die zwar in die Jahre, aber nicht in die musikalische Krise gekommenen MADNESS veranstalten.
Immer wieder kommen einem die alten 'Kamellen', die auch heute noch richtig gut klingen, in den Sinn – wie beispielsweise die KINKS und das grandiose erste Rock-Oper-Spektakel „S.F. Sorrow“ (1968) von den PRETTY THINGS. Welch herrliche Erinnerungen und welch wunderbares Retro-Gefühl, ohne in blumiger Nostalgie zu ertrinken. Damals katalogisierte man solch ein 'sorgenreiches' Meisterwerk unter dem Begriff 'Psychedelic Pop'. Genau hier dürfen wir auch „Theatre Of The Absurd Presents: MADNESS – C'est La Vie“ einordnen.
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FAZIT: Zwar mussten wir sehr lange warten, bis wir dieses grandiose Lebenszeichen aus dem Hause – oder doch besser dem Theater des Absurden – von MADNESS vernehmen durften. Doch das 13. Album der britischen WAHNSINNs-Band ist von Konzept und Musik her ihr Meisterwerk geworden, auch wenn eben kein „Our House“ oder „One Step Beyond“, aber dafür trotzdem jede Menge Songs von genau dieser Qualität darauf sind. „Theatre Of The Absurd Presents: MADNESS – C'est La Vie“ macht von der ersten Minute an viel Freude, auch wenn es thematisch den Irrsinn unserer Gegenwart, der einen regelrecht zum Rückzug in seine kleine, eigene, freiwillig gewählte, friedliche Nische zwingt, thematisiert. Wenn man dabei solche Musik wie diese Doppel-LP von MADNESS hören darf, dann ist eins klar: Nicht wir sind die Verrückten, sondern… (Das werde ich wohl doch besser verschweigen, während einen so ein Typ zwischen Schlumpf und Monchhichi aus dem Fernseher angrinst und mit wirren, dement-vergesslichen und unverständlichen Worten erklärt, wie er ein Land regiert, das von drei eigenartigen Ampelmännchen – die noch nicht einmal aus der DDR rekrutiert worden – geführt wird, während die Ampel nur noch gelb blinkt, um ihre Funktionsunfähigkeit anzuzeigen. MADNESS jedenfalls haben dafür die ideale Einstellung: C'est La Vie! Und – um es mit den beiden letzten Zeilen von „Fin“ auszudrücken – Laut gesprochen: „Ladies and gentlemen, this is the end!“ / Leise geflüstert: „Of the beginning...“)
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Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.12.2023
Mark Bedford
Graham McPheson
C.J. Foreman
Mike Barson
D.M. Woodgate
Lee Thompson, Steve Hamilton (Saxophone), Joe Auckland (Trompete), Mike Kearsey (Posaune), Tina Jacobs, Ruth Elder, Samuel Kennedy, Richard Phillips (Streicher)
BMG
57:09
17.11.2023