Man kann sich all die lärmenden Talkshows über deutsche Befindlichkeiten nach dem brutalen russischen Angriff auf die Ukraine sparen - und stattdessen einfach sechs Minuten "Frieden im Krieg" von MANFRED MAURENBRECHER hören. Eine Alice kommt darin vor, ein Anton, eine Marie-Agnes, eine Sahra - und man ergänzt innerlich die Namen Schwarzer, Hofreiter, Strack-Zimmermann und Wagenknecht. "Alle leuchten in das Dunkel rein/und mit jedem Leuchten wird es dunkler sein/in diesem Frieden in dem Krieg/so nah dran und weg im gleichen Augenblick", singt Maurenbrecher mit seiner altersweisen Rabenstimme.
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/a9SBEn3cp5s" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
Aber auch er, dieser vielleicht klügste und sicher knorrigste unter den großen deutschen Liedermachern, kommt zu keinem Ergebnis, kennt keine Lösung für das hiesige Dilemma zwischen Waffenlieferungen und gen Moskau gehissten weißen Fahnen. Man ahnt als Hörer aber seine Verzweiflung (und dass er "das „Friedens“-Gefordere hiesiger Zeitgenossen" fadenscheinig findet, das hört man auch heraus). Mit der Frage "Sind wir jetzt verrückt?" endet dieses furiose Stück Polit-Songlyrik.
"Frieden im Krieg" ist eines der besten und - neben "Wann seid ihr frei?" (dazu später mehr) - das politisch aktuellste Stück auf dem neuen MAURENBRECHER-Album "Menschen machen Fehler". Es ist ein Musterbeispiel für eine Kunst, die dieser Berliner Singer-Songwriter seit 40 Jahren so gut beherrscht wie kaum ein anderer: klar zu formulieren, aber nicht platt; mit Haltung zu singen, aber ohne Ideologie; mit Grantelei und Bissigkeit wie auch mit Empathie und Zartheit auf seine Umgebung und seine Zeit zu reagieren.
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/jso7Ut5tYRQ" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
Das Schöne an der aktuellen Platte des vielfach als Musiker und Kleinkünstler ausgezeichneten Kritikerlieblings: Es hält noch etliche weitere Perlen mit brillanten Texten bereit. Vom bewährten Schlagzeuger und Keyboarder Andreas Albrecht produziert und mit kleiner Band im Ufo-Sound-Studio Berlin-Friedrichshain aufgenommen, ist "Menschen machen Fehler" zudem auch musikalisch eine sehr zugängliche, fast schon opulente Platte, die MANFRED MAURENBRECHER - wie freilich schon etliche davor - endlich in die Star-Liga der Liedermacher katapultieren sollte.
Denn wer schreibt schon einen so herrlich spöttischen Song über den modernen Anspruch auf "Work-Life-Balance" wie dieser liebenswerte Skeptiker, der ja ein Bruder im Geiste von Randy Newman oder Ray Davies (The Kinks) ist? "Mo Mi Do – Montag, Mittwoch, Donnerstag/Mo Mi Do – weil ich die Arbeit eigentlich mag/Mo Mi Do – ich mein’ das nicht als Vorschlag/Mo Mi Do – sonst weg mit dem Vertrag", hält eine gefragte "Vollzeit-Elektrikerin" ihrem bettelnden Arbeitgeber in spe im Lied "MoMiDo" entgegen.
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/zzieeJi3PMw" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
Oder "Musik", ein weiteres neues MAURENBRECHER-Kabinettstück, diesmal mit Nostalgiefaktor angesichts der eigenen Zunft: "Musik überlebt eben einfach alles/sogar die Taliban, sogar noch Spotify./hey, und da kommt eben ein Abruf:/jemand will unser uraltes Stück hören!/genau jetzt – nach 50 Jahren, ist das nicht toll?/Musik! Kriegste einfach nicht tot…" Ebenfalls die (guten?) alten Zeiten hat der Songdichter mit "Litfaßsäule" im Blick:
"Oma suchte Filme mit Ruth Leuwerik/Opa fand den Tanztee im Kempinski schick/für Mama war der Tag der Offenen Gärten da/Papa traf Carl Orff in der Urania/und all das hatten wir von den Plakaten/um deinen runden Leib geklebt, Namen und Daten/ein bisschen Werbung zwischendrin, leise und bunt/unsere Litfaßsäule, der dezente Informant."
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/-4hIXFdHcDU" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
Man könnte noch lange so weitermachen und sich an der so schnoddrigen wie geschliffenen Sprache von MANFRED MAURENBRECHER erfreuen, die er für seine Erinnerungen und Alltagsbeobachtungen benutzt (nachzulesen auf der Webseite mit allen Songtexten). Wenn der 72-Jährige so richtig traurig wird wie im bereits erwähnten "Wann seid ihr frei?", dann wird's erschütternd. Es geht um den Freiheitskampf vieler Iranerinnen und Iraner gegen das Mullah-Regime - und die eigene Hilflosigkeit. "Mit dem Tod von Massa Ameni fing’s an/weil auf Dauer unsichtbar kein Weg sein kann/“Frauen, Leben, Freiheit”, dieser laute Ruf/ist uralte Weisheit und auch das, was grad die Stunde schuf./Tausende dabei, ihr Leben umzubau’n/mehr, als all wir andern auf der Welt uns gerade trau’n."
In seinen „Am Rande bemerkt“-Albumnotizen zu "Menschen machen Fehler" hat MANFRED MAURENBRECHER die neuen Lieder eingeordnet, und man nimmt hier durchaus Stolz über diese herausragende Arbeit wahr. Aber dann kommt doch wieder der freundliche Humor des Berliner Altmeisters durch, der seinen Job nicht ganz so bierernst nimmt: "Für den Genuss von all dem braucht es gut 50 Minuten, eine unbelastete Zeit, fest geschlossene Tür, eine Ruhe vor tagesaktuellen Überfällen - und dann freies Geleit und Albernheit auf dieser meiner 23. CD." Man kann jetzt nur hoffen, dass noch viel mehr Menschen nicht den Fehler machen, diese Lieder zu überhören.
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/nAsb__-uE6U" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
FAZIT: Dass er in kommerzieller Hinsicht die Liga von Reinhard Mey, Heinz Rudolf Kunze oder Konstantin Wecker noch erreicht, ist nicht mehr zu erwarten. Künstlerisch ist MANFRED MAURENBRECHER ganz sicher (mindestens) ebenbürtig, wie seine nur vom Titel her altersmilde Platte "Menschen machen Fehler" aufs Neue beweist. Jüngere Musikfans, die den brillanten Danger Dan als "deutschen Randy Newman" verehren und einen Vorläufer suchen, werden hier ebenfalls fündig.
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/PaA9TPzJshQ" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.04.2023
Tobias Fleischer
Manfred Maurenbrecher, Réka
Marco Ponce Kärgel
Manfred Maurenbrecher, Andreas Albrecht, Klaus Eichberger
Andreas Albrecht
Jan Hermerschmidt (Klarinette)
Reptiphon/Broken Silence
51:16
31.03.2023