Als die australische Songwriterin TORI ZIETSCH, die ihr Solo-Projekt mit dem Namen eines niedlichen, flugfähigen Beuteltiers namens MAPLE GLIDER benannt hat, 2021 ihr Debütalbum „To Enjoy Is The Only Thing“ veröffentlichte, war das der vorläufige Abschluss eines längeren Prozesses, im Rahmen dessen sie ihr bisheriges Leben als rastlose, transkontinentale Troubadourin nach der Rückkehr ins heimische Australien reflektierte und neu evaluierte.
Bald darauf folgte die leidige Pandemie-Phase, in der TORI ZIETSCH als Australierin ganz besonders hart von den Unbilden der zahlreichen Lockdown-Phasen Down Under gebeutelt wurde und – wie so ziemlich alle Songwriter – durch den Wegfall äußerer Impulse und Inspirationen stark auf sich selbst zurückgeworfen wurde und insofern kreative Inspirationen aus dem Innenleben beziehen musste. Dieser Prozess führte dazu, dass sie für ihr zweites Album „I Get Into Trouble“ einige unangenehme Themen behandelte, die sie bereits für das Debütalbum aufgegriffen hatte, aber damals in der notwendigen Deutlichkeit emotional noch nicht ansprechen konnte.
Ähnlich wie auch auf dem Debüt-Album geht es bei „I Get Into Trouble“ um TORI ZIETSCHs gestörtes Verhältnis zur institutionalisierten Religion, unter deren oppressivem Regelwerk sie aufgewachsen ist. Anders als auf dem MAPLE GLIDER-Debüt geht sie auf diesem Album deutlich direkter und schonungsloser mit diesen Umständen um und macht das Album so zu einem befreienden Statement in Sachen Empowerment.
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TORI ZIETSCH verdeutlicht durch Titel wie zum Beispiel „Don't Kiss Me“ – einer sanft swingenden Folkballade, in der sie sich gegen unerwünschte Übergriffe ausspricht und die Folgen solchen Verhaltens insbesondere für junge Frauen in Bezug auf die eigene Körperlichkeit aufzeigt, die sie mit diesem Song wieder für sich reklamiert.
Noch deutlicher wird sie in dem Kernstück des Albums „Dinah“ und dem aus diesem Song resultierenden LP-Titel „I Get Into Trouble“. Die besagte Dinah aus der Bibelgeschichte „Dinah Gets Into Trouble“ ist eine Tochter des biblischen Jakob, die „Ärger“ bekommt, als sie sich mit Leuten aus Kanaan einlässt, die einem falschen Gott huldigen und dabei vergewaltigt wird. Darauf sieht sich Dinahs Bruder genötigt, den Täter umzubringen. Für beide Umstände wird dann Dinah verantwortlich gemacht. Indem sich TORI ZIETSCH nun mit Dinah, bzw. dem religiös motivierten Schuld-Thema, assoziiert, wird deutlich, dass der Titel des Albums nicht wörtlich zu verstehen ist, sondern in dem Sinne, dass TORI ZIETSCH sich selbst in einer Position wie Dinah sieht und daraus schlussfolgernd nicht mehr willens ist, sich von den religiös aufoktroyierten Komplexen ihrer Jugend beeinflussen zu lassen. Ihr angesagtes Ziel ist dabei, sich von Scham- und Schuldgefühlen zu befreien.
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Das ist natürlich harter Tobak, aber die Musikerin zeigt gerade darin ihre Meisterschaft als Songwriterin, indem sie den Song „Dinah“ zum musikalisch poppigsten des gesamten Albums macht und andererseits die aus der Befreiung gewonnene Akzeptanz ihres neuen, kämpferischen Ichs mit einer Prise selbstironischen Humors präsentiert, wie beispielsweise in dem Song „FOMO“ („Fear Of Missing Out“) mit Zeilen wie „My Bank Account Is Not Healthy And Neither's My Sex Life“.
Zietsch betrachtet ihre Art, Songs zu schreiben, als eine Form von 'Reinigungsprozess'. Dass es ihr dabei gelingt, den Hörer an diesem Prozess teilhaben zu lassen und ihn gleichzeitig zu unterhalten, spricht schon allein für sich.
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FAZIT: Bei den Gesprächen zu ihrem Debütalbum meinte TORI ZIETSCH noch hoffnungsvoll, dass sie auf dem zweiten Album dem Zorn und der Wut, die sich in ihr durch die leidvollen Erfahrungen in ihrer Kindheit und Jugend angestaut hatten, nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch Ausdruck verleihen könnte. Ganz so weit ist es denn (noch) nicht gekommen. Zwar erschuf Sie mit ihrem musikalischen Partner TOM IANSEK mit den Songs „Do You", „Two Years" und insbesondere dem Kernstück "Dinah" einige lebhaftere, poppige Songs – aber das Gros der Tracks ihres zweiten Albums „I Get Into Trouble“ ist – ungeachtet der mit einem gewissen Augenzwinkern zugänglich kommunizierten, düsteren Inhalte nach wie vor im friedfertigen, sanftmütigen Folk-Balladen-Setting mit einer vielleicht täuschenden romantischen Note angesiedelt. Diese bewusst getroffene Wahl unterstreicht freilich die emotionale Wirkung und nachvollziehbare Authentizität des Materials von MAPLE GLIDER und macht „I Get Into Trouble" zu einem perfekten Beispiel für ein makellos inszeniertes, konfessionelles Storytelling.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.10.2023
Tom Iansek
Tori Zietsch
Tom Iansek
Tom Iansek
im Rindfleish
Partisan Records
36:00
13.10.2023