Wahrscheinlich gehört der Weimarer Komponist, Pianist, Produzent und Arrangeur MARTIN KOHLTSTEDT zu jenen Menschen, die zuweilen mit am meisten von dem überrascht sind, was sich aus seiner Arbeit am Ende ergibt. Und das, obwohl der Meister zumindest seine Studioproduktionen – wie auch das nun vorliegende fünfte Album „Feld“ - konzeptionell einer strengen Ordnung und einer metikulösen Basis-Planung unterwirft. Es ist halt nur so, dass Kohlstedt – natürlich auf der Bühne mehr noch als im Studio – ergebnisoffen an die Ausgestaltung seiner Kompositionen herangeht und selbst dann das Element der Improvisation niemals vollständig ausschließt.
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Nachdem Kohlstedt dieses Prinzip auf seinem vorletzten Album „Ströme“ sogar auf die Mitarbeit des Leipziger Gewandhaus-Chores ausgedehnt hatte, sich mit seinem letzten Album „Flur“ aber wieder auf seine grundlegende Arbeit als Solo-Performer und -Pianist zurückgezogen hatte, wirft er auf seinem aktuellen Album „Feld“ nun wieder alles in die Waagschale, was er zu bieten hat. Wie schon früher verlieh er den 12 Tracks des Albums keine ansprechenden Titel, sondern ordnete diesen (dieses Mal dreistellige) Buchstabenkombinationen zu. Das betont zum einen die Gleichwertigkeit, die er seinen Stücken zuweist und lässt zum anderen der Interpretation seitens des Hörers alle Möglichkeiten.
Ohne das an dieser Stelle überprüfen zu können, legt der Albumtitel „Feld“ nahe, dass hier ein räumliches, topographisches Konzept entworfen wurde. Auf diese Weise nimmt Kohlstedt den Hörer mit auf eine spannende Klangreise mit ungewissem Ausgang – wobei offensichtlich der Weg das Ziel markiert.
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Der relativen Klarheit der kompositorischen Elemente (die hauptsächlich mit getweakten Klavier und E-Piano-Sounds bestimmt werden) steht dieses Mal ein erweitertes Klangspektrum als jenem des „Flur“-Albums entgehen. So setzte der Musiker hier neben des verstärkten Einsatzes elektronischer Elemente und Samples auf die Zusammenarbeit mit den Perkussionisten DAVE DANIEL BRÖSCH und MICHAEL NAGLER, arbeitete selbst auch mit Bass-Synthesizern, verzichtete dafür aber auf symphonische Elemente und verzierte einige Tracks mit nonverbalen Gesangselementen, Bläsern, Viola und Saxophon.
Auch griff Kohlstedt wieder verstärkt auf seine Erfahrungen als Filmkomponist zurück und arbeitete in Tracks wie „OHM“, „PIX“ oder „VIM“ mit Leitmotiven, während Stücke wie „ELZ“, „LIN“ oder „DIA“ eher lautmalerischen oder illustrativen Charakter aufweisen. Hier erzeugt er Spannungen, welche mit den dramaturgischen Mitteln eines Filmkomponisten sich in steigernden Klangströmen auflösen.
Für alle, die bislang noch keinen Zugang zu einem der unberechenbarsten, innovativsten Crossover-Künstler unserer Tage hatten, wäre das vielseitige und zugängliche „Feld“ übrigens eine geeignete musikalische Visitenkarte.
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FAZIT: Bei seinen Live-Konzerten reagiert MARTIN KOHLSTEDT nicht nur auf seine Tagesstimmung, sondern lädt das Publikum ein, ihm bei der Steuerung seiner Inspirations-Ströme beratend zur Seite zu stehen. So etwas lässt sich bei Studio-Produktionen nicht einfach realisieren, weswegen er hier auf der Suche nach den Zwischentönen, die er im Rahmen seiner kompositorischen Vorarbeit noch nicht hatte erkennen können, ist. Ganz richtig heißt es in der aktuellen Bio, dass auch im heimischen Studio „die Fragilität, das Suchen und Scheitern, der Zufall und das zügellose Gleiten“ im Zentrum seines Interesses stehen – und weniger das Format. In diesem Sinne ist der Mix aus Neo-Klassik, Ambient, Club-Elementen und Elektronika auf „Feld“ bemerkenswert vielschichtig, kurzweilig und zugänglich gelungen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.04.2023
Martin Kohlstedt
Dave Daniel Brösch, Michael Nagler (Percussion)
Edition Kohlstedt
44:14
31.03.2023