OCTOBER TIDE sind seit jeher das Betätigungsfeld des Ex-KATATONIA-Gitarristen Fredrik Norrman, welcher das Projekt zunächst mit wechselnden Musikern betreibt. Erst mit Erscheinen des Albums „In Splendor Below“ (2019) werden neue Songs von einem konstanten Line Up realisiert, wobei Norrmans Bruder Mattias und Sänger Alexander Högbom – im Jahre 2012 hinzugetreten – zu dem Zeitpunkt fast schon zum alten Eisen zählen. Dass der aktuelle Silberling „The Cancer Pledge“, insbesondere im direkten Vergleich mit früheren Glanztaten wie „Grey Dawn“, einmal mehr die Handschrift von Fredrik Norrman trägt, dürfte angesichts der Bandhistorie also wenig überraschen. Freunde des Frühwerks mögen ihre alten OCTOBER TIDE deshalb schnell wiedererkennen, müssen sich allerdings auch auf Neuerungen einstellen, die ihnen vielleicht nicht immer schmecken werden.
Sei es durch mitreißende Eingangsriffs, die träumerische Tendenz zur Ruhe oder Refrains, die unter Mitwirkung von Doublebass-gestützter Leadgitarre die Lieder zu effektiven Headbangern werden lassen – Norrman und seine Mitstreiter können markante Punkte im Songwriting setzen und den Hörer so zum Aufhorchen animieren. In angenehmem Kontrast zur melodiereichen Darbietung des neuen Materials stehen jene Anteile, die im Gesamtverlauf der Dreiviertelstunde Musik eher groovy und vertrackt daherkommen („Tapestry Of Our End“). Währenddessen werden am Schlagzeug – in der Regel – keine Geschwindigkeitsrekorde gebrochen.
Wer die Band in die melodische Doom/Death-Tradition einordnet, hat natürlich auf eine Weise recht, da Norrman immer wieder unverhohlen das Bekenntnis zu seiner früheren Hauptband, vor allem zu deren Zweitwerk „Brave Murder Day“, abliefert und den Songs dabei sein unverkennbares Gepräge aufdrückt. Die schmissigen Melodien etwa eines „Season Of Arson“ wecken ebenso Erinnerungen an finnische Acts wie RAPTURE (die ohne die schwedischen Vorbilder, am Rande bemerkt, vermutlich anders geklungen hätten).
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Man muss allerdings sagen: OCTOBER TIDE spielen auf Albumlänge rhythmisch vielseitiger auf, als es der Verweis auf eine nordische Doom/Death-Tradition vermuten lässt. Vielleicht können daher die gelegentlichen Blastbeat-Eruptionen wie im Opener „Pieceful, Quiet, Safe“ oder im schwedisch getexteten „Blodfattig“ als emanzipatorische Versuche angesehen werden, die streng traditionelle Spielwiese zu verlassen und etwas andere musikalische Räume zu betreten. Auch beim Gesang – an sich ausdrucksstark herübergebracht – sucht man hier und da nach offenen Stellen, um nicht ganz den gängigen Trademarks zu folgen. Das Resultat: Bisweilen lässt sich Frontblöker Högbom zu „cleaneren“ Ausrufen hinreißen. Geschmackssache.
FAZIT: Als Fan von OCTOBER TIDEs frühem Schaffen mag man so Einiges am neuen Output „The Cancer Pledge“ wertschätzen. Das hat sicherlich viel mit der durchweg gelungenen Gitarrenarbeit zu tun. Vielleicht ist das nunmehr siebte Album der Schweden ein typisches Werk von Fredrik Norrman. Denn auch wenn das aktuelle Material bisweilen vertrackt und flott ausfällt, kann dieser seine Wurzeln im melodischen Doom Death Metal nicht verleugnen.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.10.2023
Johan Jönsegård
Alexander Högbom
Fredrik Norrman, Mattias Norrman
Jonas Sköld
Agonia Records
45:40
06.10.2023