Wenn sich das Debüt-Album von PAULA PAULA – insbesondere für aufmerksame Konzertgänger – streckenweise auf gewisse Art vertraut anhört, dann hat das einen ganz einfachen Grund, denn PAULA PAULA ist keine Person, sondern der Name, den sich die Berliner Songwriterin Marlène Colle und ihre Mitstreiter(innen) für ihr All-Star-Projekt ausgesucht haben. Marlène Colle selbst war bis dahin zunächst mit dem Trio YIPPIE YEAH und später unter ihrem Vornamen schlicht als MARLÈNE in Sachen multilingualer Chanson- und Piano-Pop-Songs mit poetischem Einschlag unterwegs. Dabei unterstützte sie zuletzt beispielsweise auch solo GISBERT ZU KNYPHAUSEN und AGNES OBEL als Tour-Support-Act.
Womit wir auch schon bei dem Projekt PAULA PAULA angelangt wären, denn dieses besteht - außer aus Marlène Colle selbst - im Kern aus Gisbert zu Knyphausen sowie der Cellistin/Songwriterin Kristina Koropecki und Peter Bartz, die beide auch schon bei dem YIPPIE YEAH-Projekt mit an Bord waren. Drummer Joda Förster spielte zuvor bei Max Prosa oder Dota und ist Teil der 'Schlagzeugmafia'. Der Songwriter-Kollege Daniel Freitag half schließlich noch als Keyboarder und Synthie-Spezialist aus.
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Alle beteiligten Musiker sind nicht nur als 'angestellte' Instrumentalisten an dem Projekt beteiligt sind (wobei Gisbert zu Knyphausen dabei als Bassist tätig ist), sondern ausdrücklich auch als Komponisten gelistet. PAULA PAULA ist also ein echtes Bandprojekt, denn während die Texte zwar von Marlène Colle stammen, entstand die Musik im gemeinsamen Miteinander. Hierin liegt zugleich der Haupt-Unterschied zu den bisherigen Projekten, denn auf diese Weise entstand ein kunterbuntes Indie-Pop-Album mit vielen musikalischen Facetten, die sich in dieser Konsequenz nur in der Addition der verschiedenen Beiträge ergeben konnten.
So beginnt „Schade Kaputt“ zunächst mit einem Hörspiel der besonderen Art – einem Field-Recording wirrer Unterhaltungen, wie sie (nur) in Berlin an jeder Straßenecke passieren können - das dann langsam in die allmählich um Streicher- und Bläser-Arrangements erweiterte Piano-Ballade „Planeten“ übergeht, die von Menschen in der Fremde erzählt. Das nächste Stück „Kaputtes Gerät“ kommt in Form einer fast schon aggressiven New Wave-Nummer daher, in der vorrangig effektbeladene Bässe – und nicht so sehr Gitarren – den Ton angeben.
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„Digitale Augen“ - die vermutlich erste Ode an die Probleme digitaler Fernbeziehungen - ist dann E-Pop mit Kinderlied-Charme.
In „Futur Foutu“ singt Marlène Colle auf Französisch davon, dass nicht nur die Geräte, sondern auch die Zukunft kaputt gehen können – während sich die Band klanglich in Rita-Mitsouko-Gefilden austobt. Es folgt die mit akustischer Gitarre intonierte Trennungs-Folk-Elegie „Wenn Du jetzt gehst“, die vielleicht noch am ehesten an Colles Solo-Arbeiten erinnert.
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„Übersehen“ ist Folk-Kook-Pop der Extraklasse und das auf Englisch rezitierte „The Flood“ bietet eine romantisierte Noir-Stimmung, während die Hommage an das „Stammhirn“ musikalisch eine Art psychedelische Dreampop-Fingerübung markiert.
„Shutupandwork“ schließlich kommt als abschließende systemkritische Kammerpop-Nummer rüber, bei der Kristina Koropecki ihr Mellotron in raumgreifender Manier zum Einsatz bringt.
Kurzum: Jeder einzelne Song findet sein ureigenes musikalisches Mäntelchen. Inhaltlich hat Marlène Colle mindestens genau so viel zu erzählen, wie die Band musikalisch leistet – und macht sich auf poetische Manier über die Unzulänglichkeiten unserer modernen Welt mit all ihren physischen, psychischen, organischen, systemischen, politischen und natürlich digitalen potentiellen Fehlerquellen lustig.
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FAZIT: Zwar ließe sich vermuten, dass das Projekt PAULA PAULA vom Gesang Marlène Colle's zusammengehalten würde. Jedoch führt der unbedingte Wille, das Ganze vor allem als Band-Projekt zu betrachten, dazu, dass sich selbst die designierte Frontfrau dem Gemeinschaftsgedanken im Sinne des jeweiligen Songs unterordnet und auch ihren Gesang der jeweiligen Stimmung anpasst (über die gewählte Sprache etwa, teilweise auch mittels Effekten oder aber durch die Betonung). „Schade Kaputt“ ist ganz klar eine Ensemble-Leistung. Interessant ist besonders die Tatsache, dass trotz des musikalischen Eklektizismus' die Musik niemals ziel- oder richtungslos wirkt, weil hier Musiker am Start sind, die ganz genau wissen, wozu sie in der Lage sind. Vielseitigkeit ist tatsächlich eher Programm als etwa das Ergebnis eines Selbstfindungsprozesses.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.05.2023
Gisbert zu Knyphausen
Marlène Colle
Marlène Colle, Daniel Freitag, Kristina Koropecki
Joda Förster, Peter Bartz
Kristina Koropecki (Cello)
Listenrecords
34:25
05.05.2023