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Pearl Jam: Vs. (30th Anniversary Edition)

Stil: Alternative Rock

Cover: Pearl Jam: Vs. (30th Anniversary Edition)

<img src="http://vg07.met.vgwort.de/na/41b5630f22dd486999a9d681f655e515" width="1" height="1" alt=""> Lassen wir den feierlichen (und lukrativen) Special-Edition-Firlefanz im Zusammenhang mit dem 30-jährigen Jubiläum von PEARL JAMs "Vs." zunächst einmal außen vor und fragen uns: Warum sollte man das zweite Studioalbum der 1990er-Alternative-Rock-Säulenheiligen wieder oder zum ersten Mal hervorkramen, was macht die enthaltenen Songs 2023 abseits fadenscheiniger Nostalgie relevant, lehrreich, zeitlos, bahnbrechend, et cetera pp…?

Zunächst zur zeitlichen Einordnung von "Vs.": Die am 19. Oktober 1993 über den Major Epic veröffentlichte LP entstand ab Anfang desselben Jahres nach einer langen Tournee zum äußerst erfolgreichen Banddebüt "Ten" (1991) und markierte nicht nur den Einstand des bereits 1991 eingestiegen Drummers Dave Abbruzzese, sondern auch den Beginn der erste Kollaboration des Quintetts mit Produzent Brendan O'Brien, die bis zuletzt ("Lightning Bolt" vor genau zehn Jahren) andauerte.

Der Ruhm, der Pearl Jam durch ihr erstes Album zuteil geworden war, manövrierte die Musiker in eine Abwehrhaltung; die Singles - anfangs nicht in den USA veröffentlicht, bis man Mitleid mit den teure Importe kaufenden Fans bekam - wurde von keinerlei Musikvideos begleitet, und anfangs sollte der Titel "Five Against One" lauten. Auf der Erstpressung des Albums suchte man den Titel "Vs." vergeblich, die erste Idee wurde im Artwork mit einer geöffneten Hand (fünf Finger) sowie einem "against" angedeutet.

Nichtsdestoweniger bricht die Platte mit der sinnfreien Angoraziege auf dem Cover etliche Rekorde und verklärt Pearl Jam umso mehr zu Helden, auch wenn insbesondere Sänger Eddie Vedder arge Probleme mit der allseitigen Verehrung hat. Insofern lässt sich die Tatsache, dass die Gruppe die Erfolgsformel des Vorgängers nicht kopierte, im Kontext der erwähnten Kommerzverweigerung verstehen (siehe/höre auch das Nirvana-Pendant "In Uterto" oder den Kampf der Band gegen Ticketmaster). "Vs." ist zunächst etwas schwerer zugänglich als "Ten", weil die Hits vorhanden, aber nicht so offensichtlich sind.

Dafür rangiert das Material auf konstant hohem Niveau und schreibt Tiefgang groß - nicht zuletzt auf der inhaltlichen Ebene. Vedder schmachtet und schreit sich die Stimmbänder wund, während die Instrumentalisten zwischen Punk ('Blood' oder 'Go' das einer der gewaltigsten Opener der Rockgeschichte sein dürfte) und getragenen Balladen ('Daughter', Elderly Woman Behind The Counter In A Small Town) changieren. Über die Bedeutung der Texte des Frontmanns wurde viel diskutiert; fest steht, dass er mal Persönliches verarbeitet und mal bittere Sozialkommentare oder politische Breitseiten vom Stapel lässt.

'W.M.A.' steht beispielsweise für „White Male American“ und wurde im Zuge des Todes des Afroamerikaners Malice Green (das CD-Booklet enthält ein Foto von ihm) geschrieben, der Ende 1992 von zwei weißen Polizisten misshandelt worden war… vermutlich weder der erste noch der letzte solche Fall, wenn man etwa an George Floyd 2020 denkt. Exemplarisch für die rauere, weniger schablonenhafte Gangart stehen der nicht nur textliche Befreiungsschlag 'Leash' und speziell 'Dissident', was die spielerische Seite mit einem raumgreifenden Drumbeat und schnurrendem Fretless Bass anbelangt. Selbst die eher der Sparte "Sleeper" zuzurechnenden Nummern 'Rats' und 'Indifference' entwickeln eine süchtig machende Sogwirkung, ob man sie nun im Kontext der restlichen Stücke oder vom Album losgelöst hört.

Abgesehen von den verschiedenen Tonträgerformaten mit den bereits von früheren Neuauflagen bekannten Bonustracks gibt es heuer für digitale Audiophile einen Dolby Atmos Spatial Audio Mix Albums, sinnvoller wäre wohl eine Compilation der vielen alten Single B-Seiten (etwa die Akustikversion von 'Elderly Woman Behind The Counter In A Small Town') zum Album gewesen. Aber na ja, das 40- und 50-jährige Jubiläum kommen bestimmt…

FAZIT: "Vs." ist selbsredend ein Rockklassiker höchsten Grades und eines der Schlüsselwerke des ursprünglichen Alternative Rock, gerade weil es so erfolgreich wurde und den Grundgedanken hinter der Bewegung (genauso wie Nirvana oder Soundgarden) praktisch negierte. Pearl Jam fraßen sich 1993 durch allen Dreck der Welt (der heute bedauerlicherweise gar nicht großartig anders aussieht), nahmen meistens das Tempo aus ihrer Musik heraus und schufen ein Dutzend erst auf den zweiten Hör hymnischer Lieder, die letzten Endes aufbauten… und dies auch heute noch tun. Eine Jubiläumsausgabe kann man als Nichtbesitzer des Originals kaufen, ansonsten brauchen nur Die-Hard-Fans sie.

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Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.11.2023

Tracklist

  1. 1. Go
  2. 2. Animal
  3. 3. Daughter
  4. 4. Glorified G
  5. 5. Dissident
  6. 6. W.M.A.
  7. 7. Blood
  8. 8. Rearviewmirror
  9. 9. Rats
  10. 10. Elderly Woman Behind the Counter in a Small Town
  11. 11. Leash
  12. 12. Indifference

Besetzung

  • Bass

    Jeff Ament

  • Gesang

    Eddie Vedder

  • Gitarre

    Stone Gossard, Mike McCready

  • Schlagzeug

    Dave Abbruzzese

Sonstiges

  • Label

    Sony

  • Spieldauer

    46:11 (Originalalbum)

  • Erscheinungsdatum

    17.11.2023

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