Donnernde Drums, zähfließende Gitarrenwände, langgezogene sphärische Leads und abartiges kehliges Gekeife – der düstere Doom-Brocken namens „Flamethrowers“ weist bereits zu Beginn einige zentrale Elemente des neuen Albums von PHANTOM WINTER aus und versetzt den Hörer für „Her Dark Materials“ in die richtige Erwartungshaltung. Auch macht er keinen Hehl daraus, dass die Würzburger Formation, welche einst aus den Ruinen von OMEGA MASSIF erstanden ist, im Kern keine fröhliche oder angenehme Musik macht. Aber das kommt für Kenner der Band natürlich nicht überraschend.
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Entsprechend unheilvoll erklingen die dezenten Gitarrenanschläge, die gegen Ende des nachfolgenden „Her Wound Is Grave“ zwischen Brutalo-Rhythmen aus dem Extrem-Hardcore und noisigen Leadgitarren herausragen. Die melodischen Ansätze vom zweiminütigen Songauftakt halten sich dabei vornehm zurück. Gerade letzter Punkt hat offenbar System: Weder für diese Nummer noch für das ganze Album kann man nämlich eine große Melodiedichte konstatieren. Bei mehrfachem Durchhören der guten Dreiviertelstunde Musik mag sich zwar der Verdacht von Eingängigkeit einschleichen, das melodische Potenzial des führenden Sechssaiters wird jedoch kaum ausgeschöpft. Viel eher werden ihm maschinelle, krachige oder sphärische Töne entlockt, was harmoniebedürftige Metal-Fans ein bisschen auf die Geduldsprobe stellt. Das ist natürlich eine bewusste Entscheidung. Genehm ist primär, was sich als Soundtrack einer düsteren Coming-Of-Age-Story (angelehnt an einen Novellenzyklus von Philip Pullman) eignet. Um der beklemmenden Atmosphäre zu dienen, darf sich die Leadgitarre dann auch einmal wie eine Sirene oder ein rostiges Scharnier ausnehmen („Shadow Barricade“, „Dark Lanterns“). Das harmonisch bespielte Akustik-Outro des Albumrausschmeißers „The Unbeholden“ wirkt dagegen fast schon außergewöhnlich musikalisch.
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In Sachen Dynamik nehmen PHANTOM WINTER immer wieder Lautstärke zurück und erzeugen sanftere Tonfolgen, die allerdings nicht weniger verstörend daherkommen als der Rest, nur um im Anschluss mit voller Wucht erneut in den Song einzusteigen. Beispielhaft kann dafür der dritte Track „When I Throw Up“ stehen. Dieser zeigt überdies eine weitere Besonderheit der Musik – diesmal auf vokalischer Seite. Die extremen Gesangsbeiträge, welche perfekt zum drückenden Doom-Sound passen, werden hier und ebenso an anderer Stelle („Dark Lanterns“) mit cleanen Vocals vermischt, was beim ersten Durchlauf geradezu gewöhnungsbedürftig und dezent abstoßend klingt. Dennoch sollte man das nicht vorschnell als Kritikpunkt sehen, weil sich die mitunter schrägen Klargesangseinlagen irgendwann auf bizarre Weise im Gehörgang festgraben und, in Kombination mit der auf Atmosphäre ausgelegten Instrumentierung, stimmungsvoll wirken können.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Würzburger mit ihrem aktuellen Output (wie auch mit der nunmehr vierteiligen Diskographie als Ganzes) eine eigene Ästhetik bzw. Identität bewahren: Die Musik punktet mit Eigenständigkeit, das Cover-Artwork ist traditionell in Schwarzweiß gehalten und zahlreiche Zitate während der einzelnen Lieder sowie im Booklet verleihen dem Gebotenen eine gewisse Bedeutungsschwere. Um den Wert des Gesamtkunstwerks vollends anzuerkennen, muss man sich indes mit den teils recht sperrigen Songstrukturen und am besten noch mit den literarischen resp. kulturellen Referenzen im Zusammenhang mit dem Albumkonzept auseinandersetzen.
FAZIT: Die Würzburger Band PHANTOM WINTER nennt ihren Musikstil selbst „Winterdoom“. Dahinter verbirgt sich ebenso auf „Her Dark Materials“ eine schwerfällige, brachiale und intensive Hörerfahrung, die weniger auf Melodie bedachte Doomster definitiv hinter dem heimeligen Ofen hervor- und in die sprichwörtliche winterliche Kälte hinauslocken dürfte. Während alte Fans blind bei diesem bedeutungsvollen Konzeptalbum zugreifen, müssen neue zuvor mit der zwar durchaus originellen, aber oft unzugänglichen Düstermucke warm werden.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.11.2023
Kevin Gaertner
Christian Krank, Andreas Schmittfull
Andreas Schmittfull, Florian Brunhuber
Christof Rath
This Charming Man Records
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10.11.2023