"The Duchess Of Coolsville", so lautet der Untertitel auf dem Cover des neuen Albums "Pieces Of Treasure" von RICKIE LEE JONES. Momentchen, hatten wir das nicht schon mal? Genau, eine 2005 veröffentlichte Anthologie mit dreieinhalb Stunden Karriere-Zwischenbilanz hieß ebenfalls so. Und sie darf sich bei der Selbstbeschreibung natürlich auch mal wiederholen, diese "Herzogin der Coolheit", eine der exquisitesten Stimmen des US-Adult-Pops der vergangenen 44 Jahre. Mit einer Platte, auf der sich Jones erstmals in ihrer langen Karriere komplett dem "Great American Songbook" widmet, präsentiert sich die 68-Jährige auch als Interpretin von Jazz-Standards in großer, sentimentaler, aber nie kitschgefährdeter Form.
Ganz am Ende, unmittelbar nach den letzten Tönen der wunderschönen Ballade "It’s All In The Game" von Charles G. Dawes und Carl Sigman, schluchzt sie sogar kurz auf - cool ist das eigentlich nicht, aber anrührend ganz gewiss. "Ich gab alles, was ich hatte, und am Ende des Songs brach ich zusammen und habe sehr geweint", sagte die Sängerin in einem NDR-Interview über diese Aufnahme. "Russ kam rein, umarmte mich, und es wurde nichts geredet. Er hat verstanden, dass mit mir nichts weiter los war, sondern dass einfach nur viel Gefühl im Spiel war."
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Russ - das ist Russ Titelman, mit dem RICKIE LEE JONES für "Pieces Of Treasure" eine künstlerische Wiedervereinigung feierte, er war immerhin Co-Produzent ihres phänomenalen selbstbetitelten Debütalbums von 1979 (mit dem Hit "Chuck E.'s In Love") und des nächsten Schlüsselwerks "Pirates" von 1981. In aktuellen Interviews sind Jones und Titelman des Lobes voll über einander. "Man braucht menschliche Wesen, die bereit sind zuzuhören", erzählte die 1954 in Chicago geborene Sängerin jetzt dem "Rolling Stone" (Mai-Ausgabe). "Eines der Probleme von Menschen, besonders von Musikern, ist, dass sie alles, was sie zu sagen haben, die ganze Zeit über sagen wollen." Titelman indes sei "der großartigste Zuhörer, den ich kenne".
Der Produzent wiederum verliebte sich aufs Neue in RICKIE LEE JONES' typisch nasale, lässige Vocals. Diese hätten ja "immer etwas jünger geklungen, als sie eigentlich sollten", sagte Titelman laut PR-Text. "Aber auf dieser Platte klingt die gealterte Stimme sogar noch besser als die jugendliche. Da ist eine Resonanz und Wärme in ihrer tieferen Stimmlage, die es vorher nicht gab. Ich bewundere die junge Rickie Lee - aber noch mehr liebe ich die "große alte Dame", seit ich sie beobachtete, wie sie ihr Herz ausschüttete, sobald sie vor einem Mikrofon stand." Diese Intensität kulminierte in einem Gefühlsausbruch, der nun für immer auf Tonträger gebannt ist.
Nicht nur bei besagtem Closer "It’s All In The Game" ist das Songmaterial des Albums exquisit. Na klar, es sind ja auch allesamt Einträge ins "Great American Songbook", die RICKIE LEE JONES hier auf ganz unnachahmliche Weise nachempfindet, mit einer kleinen, handverlesenen Studioband uneitler Jazz-Virtuosen (Rob Mounsey/Piano, Russell Malone/Gitarre, David Wong/Bass, Mark McLean/Drums) an ihrer Seite.
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Natürlich sind Songklassiker wie "Just in Time" (Jule Styne/Betty Comden/Adolph Green) oder "They Can't Take That Away From Me" (George und Ira Gershwin) dabei, aber auch die Herbst-des-Lebens-Moritat "September Song" von Kurt Weill und Maxwell Anderson, die eine nun selbst nicht mehr junge RICKIE LEE JONES voller Tiefgang und Feingefühl zelebriert. "Ich habe dieses Lied artikulierter gesungen als je zuvor in meinem ganzen Leben", sagt sie. "Ich wollte, dass jeder hört, was ich zu sagen habe, wie intensiv man (das Leben) empfindet, bevor es irgendwann endet." Auch wenn sich die einstige Lebensgefährtin von Singer/Songwriter-Maestro Tom Waits offiziell weiterhin als "Duchess Of Coolsville" inszeniert - die Wärme und Lebensklugheit ihrer Interpretationen sprechen eine andere Sprache.
So schafft "Pieces Of Treasure" - was sich völlig zu Recht mit "wertvolle Kleinode" übersetzen lässt - etwas Besonderes: Dies ist ein Cover-Alben, das nie wie eine künstlerische Verlegenheitslösung rüberkommt. Denn oft ist es doch so: Wenn es in einer Karriere mal an Orientierung oder an Kreativität für eigene neue Songs fehlt, macht man sich halt über Klassiker und Standards her. RICKIE LEE JONES ist dessen unverdächtig, sie hat immer wieder mit Fremdmaterial brilliert.
Die 1991 veröffentlichte Platte "Pop Pop" enthielt bereits Blues- und Jazz-Standards, aber auch Jimi Hendrix' "Up From The Skies". Knapp zehn Jahre später brachte die Sängerin das Album "It's Like This" mit Songs von George Gershwin und Leonard Bernstein bis zu Steely Dan, Marvin Gaye und The Beatles heraus, 2012 dann "The Devil You Know" mit Rock- und Pop-Klassikern von den Rolling Stones, Van Morrison, Neil Young oder Donovan. "Kicks" (2019) enthielt Tracks von America, Elton John und Steve Miller, aber auch "Mac The Knife" von Bertolt Brecht/Kurt Weill. Bei RICKIE LEE JONES klangen solche Aneignungen immer ganz natürlich und logisch. Auf "Pieces Of Treasure" ist das nicht anders - wobei die Musikerin hier ein besonders hohes Level erreicht.
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FAZIT: Für ihr neues Album mit Cover-Versionen - erstmals komplett aus dem Jazz - hat sich die Coolness-Ikone RICKIE LEE JONES wieder mal mit dem legendären Produzenten Russ Titelman, einer Schlüsselfigur aus eigenen Jugendzeiten, zusammengetan. Das Ergebnis ist ein brillantes Dokument ihrer Fähigkeit, traditionsreiche Songbook-Standards sensibel zu würdigen und ihnen zugleich den RLJ-Stempel aufzudrücken. Nach "The Other Side Of Desire" von 2015 (mit selbstkomponierten Liedern) bastelt die US-Sängerin weiterhin an einem großartigen Spätwerk.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.05.2023
David Wong
Rickie Lee Jones
Russell Malone
Rob Mounsey
Mark McLean
Mike Mainieri (Vibrafon)
BMG Modern Recordings
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28.04.2023