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Samia: Honey

Stil: Art Pop, Singer/Songwriter

Cover: Samia: Honey

So viel „Honey“ auch auf dem SAMIA-Album stehen mag, in ihm geht es um mehr als irgendwelches „Honey“-Liebesgesäusel, das einen zu umgarnen versucht. Nein, in „Honey“ dreht sich alles um die leidenschaftlich vertonten Geschichten, die das Leben erzählt und die aus der Perspektive eines Menschen erzählen, der auf sein Leben zurückblickt – und all das so bewegend von einer 27-jährigen Musikerin vorgetragen, dass einem beim Hören der elf Songs mitunter die Kinnlade runterklappt.

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Mit „Kill Her Freak Out“ eröffnet bereits ein bitterböser Song das Album, in dem die eindringliche, herzzerreißende Stimme von SAMIA – nur von einer Orgel begleitet – ihrer großen Liebe mitteilt, dass sie hofft, dass diese das Mädchen aus seiner Heimatstadt ehelicht, damit sie, die Betrogene, diese Dame grausam killen oder in den Wahnsinn treiben kann. Und wie wichtig SAMIA gerade dieser Song als Einstieg in ihr nicht leichtverdauliches, dafür aber umso schmackhafteres Album ist, betont sie in einem eigenen Statement dazu unmissverständlich: „Ich habe 'Kill Her Freak Out' geschrieben, als ich am einsamsten und wahnhaftesten war. Ich habe meine wahren Gefühle unterdrückt, aus Angst, dass mich jemand verlassen würde. Der Refrain ist eine Reaktion auf das ständige Herunterspielen der Emotionen, die sich falsch anfühlten; das war kathartisch...“

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Oh ja, das ist verdammt fett – und diese Stimmung von Verletzlichkeit und bitterböser Ironie bleibt und verfolgt den Hörer das gesamte Album über, welches Melancholie und Bitternis in sich vereint genauso wie schwarzhumorigen Pop-Appeal und eine Atmosphäre, die einen weit mitnimmt in eine musikalische Vergangenheit, welche der Gegenwart knallhart die Stirn bietet.

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Doch SAMIA und ihre Band gehen noch viel weiter, wenn sie beispielsweise auf dem grandiosen „Sea Lions“ sogar offensichtlich mit RADIOHEAD liebäugeln oder in „To Me It Was“, wenn sie die Geschichte um einen Sami-Song singend erzählt und ihn am Song-Ende in der Originalsprache singt.
Würde man jeden Song einer speziellen Betrachtung unterziehen – in jedem würde man etwas Besonderes entdecken können, egal ob es den Text oder songwriterische Überraschungen betrifft. Was allerdings durchgängigen Bestand hat, ist der eindringliche Gesang von SAMIA, der fragil, melancholisch und leidenschaftlich zugleich erscheint, ein unglaubliches Charisma besitzt und beispielsweise auf dem den „Breathing Song“ abschließend herausgeschrieenen „No! No! No!“ komplett unter die Haut geht und dort einen eiskalten und heißen Schauer zugleich entfachtet, selbst wenn diesem mit dem Titelsong die melodiöseste und hitverdächtigste Nummer folgt.

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Bei der textlichen Herangehensweise wählt Samia Najimy Finnerty, so der vollständige Name der 27-jährigen Tochter einer libanesisch-amerikanischen Schauspielerin und eines amerikanischen Schauspielers, einen sehr interessanten Ansatz, der sich ganz im Sinne ihrer Eltern auch zu einem guten Film eignen würde, denn sie nimmt die Position einer kurz vor dem Ende ihres Lebens stehenden Person ein, welche ihre sehr persönliche, deutlich an Finnertys orientierte Lebensgeschichte erzählt und dabei mitunter um Wiedergutmachung bittet, aber auch zeigt, dass sie ihr Verhalten im Grunde immer mit der Absicht verfolgte, Anderen ihre Liebe zu zeigen.

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Vieles von dem, was wir hier zu hören bekommen, bewegt einen aus musikalischer wie textlicher Sicht dabei ganz ähnlich wie der faszinierende SUZANNE VEGA-Song „Luka“, in dem ein kleiner Junge der unter ihm wohnenden Mieterin zu erklären versucht, dass sie sich nicht darüber wundern soll, wenn es über ihr manchmal etwas lauter zugeht, weil er eben, wenn er angeblich was falsch gemacht hat, dafür Prügel bezieht. Ähnlich nah gehen einem auch SAMIAs Texte und die dazugehörige Musik. Oder um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: „Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie ich am Ende des Lebens auf alles zurückblicke und was ich in diesem Moment dazu sagen würde. Dies ist ein kleiner Teil davon.“

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FAZIT: SAMIAs Musik hat rundum den Blues, auch wenn es musikalisch kein Blues, sondern kunstvoller Indie-Pop und Art-Rock mit der konzeptionellen Absicht ist, „die Liebe um einen herum zu sehen und zu erkennen, dass gerade die kleinen Dinge die wichtigsten sind“ (Originalton: SAMIA). Die Stimmung von „Honey“ gehört so im Grunde jeder blauen Stunde und allen geheimnisvollen blauen Blumen eines Novalis-Romantikers an. Dass noch dazu die Farbe des Vinyls blau ist, passt so ideal zu der gesamten Stimmung hinter „Honey“, das zudem mit viel Liebe gestaltet, einem Extra-Textblatt versehen und als extrem rares Highlight auch noch eine 45er-Flexidisc-Single mit einer Cover-Version von den YEAH YEAH YEAHS enthält, dass man unweigerlich zu „Honey“ sagen will: Ey, Honey, alles absolut richtig gemacht! Chapeau!

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.02.2023

Tracklist

  1. <b>Seite A</b> (22:13):
  2. Kill Her Freak Out (4:20)
  3. Charm You (2:41)
  4. Pink Balloon (2:16)
  5. Mad At Me (3:38)
  6. Sea Lions (5:19)
  7. Amelia (3:59)
  8. <b>Seite B</b> (17:47):
  9. Breathing Song (3:13)
  10. Honey (3:23)
  11. Nanana (3:44)
  12. To Me It Was (3:41)
  13. Dream Song (3:46)
  14. <b>Flexi Disc</b> (3:23):
  15. Maps (Original bei YEAH YEAH YEAHS)

Besetzung

  • Bass

    Megan Mahoney, Mitchell Seymour

  • Gesang

    Samia, Christian Lee Hutson, Dawson Freeman, Brenna Kassis, Hannah Cole, Papa Mbye, Briston Maroney, Jake Luppen, Raffaella Meloni

  • Gitarre

    Christian Lee Hutson, Dawson Freeman, Cameron Schmidt

  • Keys

    Sam Rosenstone, Christian Lee Hutson, Mitchell Seymour

  • Schlagzeug

    Jon Lindquist, Joey Hays

Sonstiges

  • Label

    Grand Jury (Fatpossum/Membran)

  • Spieldauer

    40:00 + 3:23 (Flexi-Single)

  • Erscheinungsdatum

    27.01.2023

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