Zwanzig Jahre lang war NICK DRAKE auf dem Weg in die Vergessenheit. Nach seinem einsamen Tod mit nur 26 Jahren durch eine Überdosis Antidepressiva am 25. November 1974 - vermutlich Suizid wegen schwerer Depressionen - wurde es noch stiller um den englischen Singer-Songwriter, der schon zu Lebzeiten mit seiner filigranen Musik kaum Erfolg gehabt hatte. Aber dann geschah etwas sehr Profanes, das neues Interesse an dem tragischen Supertalent weckte und bis heute eine Verehrung sondergleichen auslöste:
Eine Automarke nutzte Drakes Lied "Pink Moon" in den 90er Jahren für einen Werbespot - und es war so, als würden sich endlich verdientermaßen die Schleusen öffnen für einen Nachruhm, der seither immer größer wird. Die nur drei Studioplatten von NICK DRAKE ("Five Leaves Left" von 1969, "Bryter Layter" von 1970 , "Pink Moon" von 1972) sind heute Juwelen der anspruchsvollen Songwriter-Musik, sein Gesamtwerk von kaum mehr als 40 Liedern gilt als ikonisch.
Darauf baut auch das wunderbare Cover-Album "The Endless Coloured Ways – The Songs Of NICK DRAKE" auf, das wenige Wochen nach dem 75. Geburtstag des Folk-Jazz-Genies (19. Juni) erschienen ist.
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Es führt eine erstaunlich diverse Tribute-Schar zusammen, die 25 Drake-Lieder sehr unterschiedlich aufgefasst und interpretiert haben. Das war auch die Absicht der Macher von "The Endless Coloured Ways". Cally Callomon, die Managerin des NICK DRAKE Estate, und Jeremy Lascelles, der Mitbegründer von Blue Raincoat Music und CEO beim federführenden Label Chrysalis Records, wollten Songversionen, die nicht am Original kleben.
Es habe einen ganz einfachen Auftrag an alle Beteiligten gegeben, sagt Lascelles. "Dass sie nämlich Nicks ursprüngliche Aufnahme ignorieren und das jeweilige Lied neu erfinden sollten in ihrem ureigenen Stil. (...) Als die Ergebnisse nach und nach eintrafen, waren wir elektrisiert von der Brillanz und dem Einfallsreichtum, die jeder einzelne Künstler investiert hatte. Sie hatten getan, was wir erhofften - sie hatten den Song zu ihrem eigenen gemacht."
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Angefangen beim britischen Country-Folkpop-Quartett The Wandering Hearts mit der Acapella-Prelude "Voices" über die irische Postpunk-Band Fontaines D.C. mit einem rauen "Cello Song" sowie "Hazey Jane II" in der zarten Version der Französin Camille bis zur Folktronica-Fassung von "Saturday Sun" mit Elbow-Frontmann Guy Garvey und dem Soundtüftler Mike Lindsay: Es geht sogleich in die Vollen mit dem Konzept, viele Wege zur herrlichen Musik von NICK DRAKE zu öffnen. Auch die Idee, große, aber nicht unbedingt weltberühmte Musiker mit Coverversionen zu betrauen, wird schon in den ersten vier Tracks sichtbar.
Also kein Peter Gabriel, kein Sting, kein Ed Sheeran, kein Elton John (der Ende der 60er Jahre immerhin selbst als junger Studiomusiker bei Probeaufnahmen von NICK DRAKE dabei war). Auch Jazz-Größen wie Norah Jones oder Brad Mehldau, der schon seit den 90ern mit Piano-Interpretationen von Drake-Stücken wie "River Man" oder "Day Is Done" ein Cover-Vorreiter war, blieben außen vor.
Dies ermöglicht dem Hörer von "The Endless Coloured Ways" spannende, auch unerwartete Entdeckungen: Let’s Eat Grandma etwa mit ihrer Fassung von "From The Morning"; die schottische Sängerin Karine Polwart und ihr Partner Kris Drever mit der Ballade "Northern Sky"; Katherine Priddy mit dem erst nach Drakes Tod entdeckten Lied "I Think They’re Leaving Me Behind", das nun so cineastisch opulent daherkommt wie ein James-Bond-Song...
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...die neuseeländischen Sängerinnen Aldous Harding ("Three Hours" als Krautrock-Stück zusammen mit John Parish) und Nadia Reid ("Poor Boy"); die ätherische Norwegerin Aurora mit dem Schlüsselsong "Pink Moon"; die britische Soul-Dame Emeli Sandé mit "One Of These Things First", das von einem coolen HipHop-Beat getragen wird; oder die Kanadierin Feist mit einem wie im Drake-Original herzzerreißend schönen "River Man".
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Statt eines womöglich langweiligen Superstar-Inputs sind auf dem Tribute-Doppelalbum weitere relevante britische Musiker (Bombay Bicycle Club, Philip Selway von Radiohead, David Gray, Craig Armstrong) vertreten. Hinzu kommen hoch angesehene US-Kollegen wie Christian Lee Hutson, Ben Harper, Joe Henry, Meshell Ndegeocello, Liz Phair und John Grant. "NICK DRAKE war ja nicht so sehr darauf aus, sich als Künstler zu vermarkten", sagt seine Nachlassverwalterin Cally Calloman über den notorisch schüchternen Jungen vom Lande. "Aber ich denke, er wäre außer sich gewesen vor Freude darüber, dass so viele tolle, talentierte Künstler seine Musik neu vorstellen. Wir fühlen uns geehrt und sind so dankbar gegenüber allen unseren Freunden, den alten und den neuen, die an dieser Arbeit ihren Anteil hatten."
In Großbritannien wird derzeit - auch über das ambitionierte Tribute-Werk von Chrysalis hinaus - allerorten an den Folk-Jazz-Pionier erinnert. Fast 50 Jahre nach seinem Tod sei "der tragische Mythos des NICK DRAKE" ungebrochen, schrieb etwa das renommierte UK-Musikmagazin "Uncut" in seiner Juli-Titelstory und legte dem Heft die CD "Made To Love Magic - 15 Tracks In The Spirit Of NICK DRAKE" bei. Auf dieser hervorragenden Zusammenstellung sind spürbar durch Drake inspirierte Kompositionen unter anderem von James Elkington, Adrienne Lenker (The Big Thief), Cass McCombs, José González, Daniel Rossen (Grizzly Bear) und Robyn Hitchcock zu hören.
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Auch diverse dicke Bücher über den großen Singer-Songwriter und virtuosen Fingerpicking-Gitarristen sind in den vergangenen Jahren erschienen - erst kürzlich die ziegelsteinschwere Biografie "NICK DRAKE – The Life" von Richard Morton Jack, die das kurze Leben des sanften Genies und seine Nachwirkungen bis heute in allen Aspekten ausleuchtet. Und dann gibt es natürlich eine stetig wachsende Zahl an Musikern, die in Drakes Stil eigene Lieder schreiben.
Wer hier aktuell fündig werden möchte - allein aus den vergangenen Monaten sind beispielsweise zu nennen: der Fontaines D.C.-Frontmann Grian Chatten mit seinem großartigen, soften Solodebüt "Chaos For The Fly"; die Italienerin Emma Tricca mit ihrem starken Album "Aspirin Sun"; der Engländer David Brewis mit dem fragilen "The Soft Struggles"; sein Londoner Kollege Tara Milton, dessen von NICK DRAKE und Nick Cave gleichermaßen beeinflusstes Singer-Songwriter-Juwel "Serpentine Waltz" vor kurzem in einer edlen Vinyl-Version auf dem Mod-Pop-Label Heavy Soul! Records erschien; die Mitte Juli veröffentlichte opulente Platte "Dear Departed" des jungen US-amerikanischen Folkpop-Crooners Sam Burton.
Ein weiterer Hinweis für Drake-Sammler: Zusätzlich zum Doppelalbum "The Endless Coloured Ways" wurden in den vergangenen Wochen fünf geschmackvoll designte 7-Inch-Singles herausgebracht, auf denen bereits zehn Cover-Tracks der Kompilation vorab zu hören waren. Diese Serie wird laut Label noch durch eine Bonus-Disc vervollständigt, die eine lange verschollene Aufnahme von NICK DRAKE (Bob Dylans "Tomorrow Is A Long Time") enthält.
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FAZIT: Vor fast fünf Jahrzehnten starb - wohl durch Suizid - der supertalentierte englische Singer-Songwriter NICK DRAKE, völlig vereinsamt und schon bald danach nahezu vergessen. Aber, oh Wunder: Seit den 90ern wurde er wiederentdeckt als Musik-Pionier, der in seinem melancholischen Songwriting Folk und Jazz kongenial verknüpfte. Diese Fackel wird längst von vielen talentierten Musikern weitergetragen. Das zeigt sich jetzt wieder auf dem Tribute-Album "The Endless Coloured Ways – The Songs Of NICK DRAKE", einer Zusammenstellung von 25 inspirierten Coverversionen ohne jeden Ausfall zum 75. Geburtstag des Musikers.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.07.2023
Chrysalis
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07.07.2023