Alpine Metal, die Dritte: Auf "Freiweitn" spielen die im Salzburger Hinterland beheimateten VINSTA gemäß dem Albumtitel freier denn je auf, und nehmen ihrer Hörerschaft beherzt an die Hand, um sie hinauf in ihre Bergwelt zu geleiten. Dort angekommen, eröffnen sich nicht nur finstere Panoramen, deren musikalische Inszenierung mehr denn je Atem beraubend wie Stil-übergreifend gerät.
Die Bezeichnung "Melodic Death Metal" wird den facettenreichen, immer wieder auch auf dem Hackbrett intonierten Klangbildern nur ansatzweise gerecht, gleichwohl dieser Stil eine Basis bildet und melodische Passagen eine von mehreren Stärken VINSTAs sind. Vor allem wenn Violinistin Moni Hahn ihre Stimme erhebt und als gleichwertige Sängerin neben Multiinstrumentalist Christian Höll singt und jodelt. Im Kontrast dazu growlt der Bandgründer gelegentlich auf eine Weise, die dem Bandnahmen alle Ehre macht: Im ersten längeren Song "Schwoaze Låckn" grollt Höll wie ein Rachegott, der mit einem Gewitter im Gefolge Furcht verbreitet.
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Und genau hier kommt das Alpine ins Spiel: VINSTAs Musik spiegelt die harschen Kontraste der Bergwelt musikalisch, ohne sich stilistisch anzubiedern oder zu begrenzen. Vieles auf "Freiweitn" ist folkig und progressiv arrangiert, ohne dass die Band auch nur in die Nähe der Niederungen dessen käme, was gemeinhin als – machen wir uns nichts vor: vorhersehbarer, nicht um zu sagen einfältiger - Folk- oder Progressive Metal bezeichnet wird. Doch "Freiweitn" ist ein Album, auf dem zum Beispiel auch mancher Basslauf ein Ohrenschmaus ist – und entdeckt werden möchte, und zu entdecken gibt es in jedem Lied Bemerkenswertes.
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Erweist sich "Freiweitn" deshalb als verkopft, gar unzugänglich? Mitnichten! In der Mitte des Albums wartet mit "Entarische Gstoit" ein Brecher von einem Song auf, der binnen einer halben Minute nahezu jeden Death-Metal-Fan am Schopfe gepackt haben sollte und mit sich fortreißt. Die Nummer ist ein weiteres Paradebeispiel dafür, dass vermeintlich Genre-fremde Instrumente – in diesem Fall zunächst die Geige – metallische Härte und Dunkelheit keineswegs verwässern müssen. Und schöner ein Saxophon auf einem Metal-Album seit Amorphis‘ "Tuonela" wohl kaum mehr erklang als wie in den beiden das Album beschließenden Stücken "Einkehr" und "Hoamat". Es ist daher nur folgerichtig, diesen abenteuerlichen Stilmix Alpine Metal zu nennen, zumal die im Salzburger Dialekt vorgetragenen Texte einmal mehr Sagen und Natur des Tennengau behandeln.
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Die Gestaltung von "Freiweitn" hat erneut Alexander "Irrwisch" Trinkl übernommen, der bereits das vorige Album "Drei Deita" mit ungewöhnlichem Design aus der Masse der Metal-Veröffentlichungen herausstechen ließ. Die Farbgebung von "Freiweitn" mag zwar weniger ungewöhnlich geraten sein, ästhetisch werden jedoch einmal mehr eigene Akzente gesetzt, was einer Band wie VINSTA nur gut zu Gesicht steht. Und endlich erscheint die Musik der Österreicher auch auf (schwarzem und blauem) Vinyl.
Perspektivisch steht nach "Freiweitn" die Frage im Raum, inwiefern es Christian Höll gelingen kann, auf diesem im Metal-Kontext zuweilen herausragenden Niveau den nächsten Schritt einmal mehr in konzentrierter Heimarbeit zu gehen, oder ab wann der Zeitpunkt gekommen ist, zum Beispiel mit Hilfe eines externen Produzenten vielleicht bislang ungeahnte Potentiale freizulegen.
FAZIT: Die mehr als nur musikalische Ausgestaltung des Alpine Metal gelingt VINSTA auf dem dritten Album dieses Stils souveräner denn je. Wurde insbesondere bei "Vinsta Wiads" der Name Opeth noch recht häufig zum Vergleich herangezogen, so könnte im Hinblick auf die virtuose Einflechtung folkloristischer Klänge nun auch Amorphis genannt werden, wobei die Integration des Jodelns in den dunklen Metal (meines Wissens nach) ein Verdienst der Österreicher ist.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.07.2023
Tobias Langthaler
Christian Höll, Moni Hahn
Christian Höll, Gerald Huber (12-string guitar)
Flo Musil
Christian Höll (Hammered Dulcimer, Soprano Saxophone), Moni Hahn (Violin)
Eisenwald
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28.07.2023