Dass sich „The Acceptance. The Sorrow.“ von WISENT um, logisch, Akzeptanz und Trauer dreht, ist jetzt nicht unbedingt überraschend. Die kleine Überraschung ist eher die thematische Zweiteilung des Albums, die mit jeweils fünf Stücken einen der beiden Pole bedient. Dabei treffen auf diesem Album Trauer und Hoffnung, Optimismus und Lebensverdruss sowie Nostalgie und Dankbarkeit aufeinander.
Die Texte schaffen es an einigen Stellen eine Lawine von Gefühlen loszutreten. Dabei muss die Musik keine Schnulzen-Ballade sein, es reicht eine ehrliche Haltung und griffige Kompositionen um den geneigten Hörer ins Herz zu treffen. Das drängende „Scars That Remain“ ist u.a. so eine Nummer, die sich in ihrer Intensität immer weiter steigert und doch nicht weinerlich klingt.
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„Martyr“ strahlt im Anschluss gar fast sowas wie Hoffnung aus, gefällt mit einem intensiven Aufbau und mehrstimmigem Gesang, der die Emotionalität des Vorgängersongs weiter trägt. Das klingt mal latent hoffnungsvoll, groovt musikalisch wie Hölle und begeistert mit Melodien, die diese beiden scheinbaren Gegensätze geschmeidig miteinander verschmelzen. „A Sea To Scream At“ gefällt zur Albumhalbzeit mit einer gewissen Kämpferhaltung, die im Text herauskommt, genauso wie der raue Gesang im Refrain in der Lage ist, die Nackenhaare im Spalier stehen zu lassen. Denn hier schwappt das Gefühl schon sehr direkt auf den Hörer über, ob das nun den Gitarrenmelodien, dem spürbaren Drang des Songs oder doch dem Gesang geschuldet ist, ist je nach Gemütszustand eine persönliche Interpretationsfrage.
Dass sowas wie Hoffnung aber ein Trugschluss ist, macht „Withered Away“ als Startpunkt des zweiten Teils von „The Acceptance. The Sorrow.“ klar. Zu drängenden Strophen werden im Refrain einige Streicher in den Sound integriert, die ein wenig Druck rausnehmen und eine dramatische Note in den Song einfügen, der am Ende in einem zermürbenden Finale aufbraust.
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Das wirkt nicht nur textliche wie ein vertonter Kampf mit dem eigenen Leben, den eigenen Gefühlen und Gedanken, sondern findet seinen Höhepunkt in der vertonten Identitätskrise „Burden“. So sehr die Varianz dank Streichern und melodisch-warmen Strophen weiter voranschreitet, so sehr geht dieser Song unter die Haut. Die Frage, ob, warum und wie das eigene Leben, die eigene Existenz zur Last für einen selbst und für andere werden kann/konnte, wird hier in einen aufreibenden Brocken Musik zwischen Aggression, Selbstzweifeln und Hoffnung verpackt, der als tränenreicher Ohrwurm großes Akustik-Kino ist.
Noch eine Spur (selbst)zerstörerischer geht „Alone In The Nothingness“ zu Werke. Wieder schlägt der Refrain tiefe Furchen im Seelenkleid, bekommt dank der Melodieführung und u.a. unter Zuhilfenahme einer Trompete aber auch ein hoffnungsvolles Element verpasst. Und selbst wenn „The Last Scavenger“ musikalisch anfangs Druck rausnimmt und den Fokus auf Piano und rauen Gesang setzt, explodiert das Stück letztendlich zu einem vertonten Elendsdrama, das dank der Streicher regelrecht opulent daherkommt, ohne auch nur einen Funken des zermürbenden Gefühls der Hoffnungslosigkeit auszulöschen.
Das schafft auch der Abschluss „Over The Horizon“ nicht, aber er kanalisiert diese Gefühle zu einem musikalischen Aufschrei, der aus der vorhandenen Negativität letzten Endes Kraft schöpft. Diese Kraft ist zwar zunächst in Form von Wut, Kampfgeist und dem Unverständnis gegenüber den Geschehnissen geprägt, aber sie ist da. Das Herz schlägt und der Stolz ist noch nicht komplett zugrunde gerichtet. Zeilen wie: „There is more over the horizen, I must go over the horizon“, wirken daher auch eher wie eine Kampfansage als lebensmüdes Abschiedsgeplänkel zu sein. Wenngleich die verdrückte Träne ob des zurückliegenden und möglicherweise bevorstehenden Leidensweges doch ein wenig salzig auf der Zunge schmeckt.
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FAZIT: WISENT beackern mit „The Acceptance. The Sorrow“ ein emotionales Trümmerfeld, dem man die zugrundeliegende Energie jederzeit anhört. Im übertragenen Sinn bluten hier Künstler ihre Musik aus. Das klingt mal schwer, rauscht mal schnell und unnachgiebig voran, wirkt aber stets authentisch rau und ehrlich und geht daher nicht nur gut ins Ohr sondern auch zügig ans Herz. Starker Einstand!
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.12.2023
Morris Duff
Stephen Lyons
Mathias Bauer
Oliver Ruß
Armin Kaltofen (Trompete)
Devil Duck Records
43:04
01.12.2023