Wie diverse Vorabsingles bereits erahnen ließen, ist auch „Bleed Out“ keine Rückkehr zum grazilen Symphonic- und Gothic-Metal aus „Mother Earth“-Tagen. Stattdessen untermauern WITHIN TEMPTATION mit dem neuen Werk ihren Status als scharfsinnige Dramatiker, denen der gesellschaftliche Zeitgeist nicht egal ist.
Dabei ist das mittlerweile achte Langeisen der Niederländer ein Werk voller Dynamik, das musikalisch wenig Raum für Kritik lässt. Denn zweifellos ist Sharon Den Adel eine fantastische Sängerin und ihre Mitmusiker müssen auch kaum mehr beweisen, dass sie in der Lage sind, klangliches Drama auf der Höhe der Zeit abzuliefern.
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Was „Bleed Out“ aber durchaus streitbar macht, ist die offensiv politische Ausrichtung der Texte, gerade wenn man sich die vorab ausgekoppelten Singles nochmal vor Augen führt. Denn egal ob Texte wie „Wireless“ als offensichtliche Pro-Ukraine Positionierung daherkommen, oder ob im Titeltrack die Lage um die Freiheit der Frauen im Iran thematisiert wird: Diese Themen werden letztendlich aus 'westlicher' Perspektive betrachtet, bzw. beruhen zu einem Großteil auf Informationen aus Drittquellen und Medienberichten (wie es um die Glaubwürdigkeit der sog. Massenmedien bestellt ist, sollte spätestens seit Corona zumindest hinterfragt werden).
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Natürlich ist es legitim, als Künstler das aktuelle Zeitgeschehen aufzugreifen und es auch zu kritisieren. Allerdings besteht dadurch eben auch die Gefahr, in undurchsichtigen Sachverhalten vorschnell Partei für eine wie auch immer geartete Seite zu ergreifen, was dem Kern von Kunst allgemein und Musik im speziellen diametral widerspricht. Denn beides sind Ausdrucksformen persönlicher Empfindungen und sollten im besten Fall eher verbinden statt zu spalten.
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In diesem Zusammenhang wirkt es beinahe ironisch, dass „Cyanide Love“ u.a. das 'Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen'-Prinzip aufgreift. Andere Themen wie z.B. die subtile Anklage auf die Unterhaltungsindustrie, die als schmissige Komposition den vielsagenden Titel „Entertain You“ trägt, werden mit einer gehörigen Portion Trotz vorgetragen. Woraus in besagtem Fall ein griffiger Ohrwurm entsteht.
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Und obwohl die Texte eine wesentliche Rolle auf „Bleed Out“ einnehmen: Losgelöst von den Themen, muss konstatiert werden, dass WITHIN TEMPTATION hier ein raffiniertes Album an der Schnittstelle von modernem Rock, Symphonic Metal und groß angelegter Inszenierung gelungen ist. Das beginnt beim drängenden Opener „We Go To War“, der die grundlegende Ausrichtung des Albums passend vorweg nimmt, findet in „Worth Dying For“ die Kurve zurück zu symphonischem Drama, ehe „Cyanide Love“ kurze Zeit später mit einer leicht mysteriösen Aura liebäugelt (was das erwähnte Prinzip der „Drei Affen“ passend untermauert).
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Und wie immer bei WITHIN TEMPTATION ist zu honorieren, dass Sharon den Adel eines charismatisches Goldkelchen besitzt. Daher ist es auch nicht zuletzt ihr Verdienst, dass „Bleed Out“ durchaus emotionsgeladen ist, aber den Sinn für Drama und Pomp nicht komplett außer Acht lässt. Womit dieses Album unterm Strich auch runder und musikalisch ausgeglichener wirkt als sein direkter Vorgänger.
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FAZIT: Auch wenn „Bleed Out“ in vielen Themenpunkten der Texte sicher für Diskussionsstoff sorgen dürfte, haben WITHIN TEMPTATION aus musikalischer Sicht alles richtig gemacht und ein spannendes Werk zwischen modernem Sound und symphonischer Tradition abgeliefert. Damit stellen sich die Niederländer erneut als charismatische Genre-Weiterdenker vor.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.10.2023
Jeroen van Veen
Sharon den Adel
Stefan Helleblad, Ruud Jolie, Robert Westerhold
Martijn Spierenburg
Mike Coolen
Force Music Recordings
47:27
20.10.2023