„Der schwer gefasste Entschluss. Muss das sein? Es muss sein! Es muss sein!“ (Ludwig van Beethoven)
Wenn ein Musiker diesen klassischen Grundsatz aus dem als schwerstem Klavierstück Beethovens geltenden und zugleich letztem von ihm abgeschlossenen Wunderwerk seiner Musik, dem '16. Streichquartett' [4. Satz – Der schwer gefasste Entschluss: Grave, ma non troppo tratto (Muss es sein?) – Allegro (Es muss sein!) – Grave, ma non troppo tratto – Allegro (f-Moll – F-Dur)], seiner eigenen modernen Musik zugrunde legt, dann kann einen im Grunde anno 2023 nur ein wahrhaft seltsames, mitunter verrückt anmutendes Album erwarten, womit wir auch schon bei „Oportet 475“ des innovativ-kreativ-experimentellen mailändischen Multiinstrumentalisten und Produzenten ZE IN THE CLOUDS wären.
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ZE IN THE CLOUDS gestaltet seine Musik ähnlich wie ein kunstvolles Bild, über das er die unterschiedlichsten – mal grellen, dann wieder verhalten schimmernden – Farbschichten malt, die im Falle von „Oportet 475“, dem zweiten Album des Italieners, auf einer klassischen, alten, leicht vergilbten Leinwand entstehen. Dabei unterstützen ihn zwar verschiedene Künstler, doch den kreativen (mitunter wirren) Geist dahinter bewahrt sich ausschließlich der wolkige Musik-Freigeist, der sich viel Zeit für seinen wahrhaft sehr ungewöhnlichen Zweitling ließ und den Grund dahinter selber ausführlich zu Papier brachte: „In den letzten Monaten habe ich viel Zeit damit verbracht, herauszufinden, was für mich in der Musik erstrebenswert ist, und die Antwort war, mich in die klassische, ästhetische und musikalische Sprache zu vertiefen, die ich immer geliebt und nie geteilt habe.“
Und dass dazu eben besonders Beethoven gehört, erfahren wir schon aus der besagten Frage-Antwort-Spielerei, welches samt Noten gleich die erste Seite des Digipaks, in dem es auch ein achtseitiges Booklet zu entdecken gibt, ziert.
ZE IN THE CLOUDS überträgt die Frage sowie die darauf überdeutlich wiederholten Antworten auf unsere Gegenwart – oder wie er es ausdrückt: „Ich habe versucht, meine aktuelle Vision in einem chronologischen Pfad zusammenzufassen, der den Weg vom Futurismus des Don Carlo Gesualdo da Venosa um 1500, quer durch die Romantik, um die zeitgenössische Klassik, Bach, Beethoven, Maurice Ravel führt. Dann habe ich zusammen mit LNDFK versucht, ein Bindeglied zwischen den Epochen der klassischen Orchesterklänge sowie der zeitgenössischen und persönlichen Dimension zu projizieren. All dies gefiltert und ausgearbeitet durch eine futuristische und zeitgenössische Vision, die Jazz, Elektronik, Folk und Soul umfasst.“
Das Ergebnis dieses epochenübergreifenden Musik-Experiments ist in jedem Fall verblüffend!
Und für alle, denen beispielsweise das 'Kinder-Album' einer der größten und spannendste und experimentellsten britischen Bands aller Zeiten viel bedeutet, die werden sicher ziemlich sprachlos den Klängen hinter „Oportet 475“ lauschen. Gemeint sind natürlich RADIOHEAD (besonders „Kid A“ und „Amnesiac“) oder die experimentellen Alben bzw. Kollaborationen ihres Sängers THOM YORKE.
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Noch spannender ist für viele, denen noch immer der (auch nach 33 Jahren Deutsche Einheit) viel zu unbeachtete, aber trotzdem extrem klangvolle (und oftmals viel besser, als vieles westlich Hochgelobte und Angepriesene) Musik-Osten am Herzen liegt, aber sicher ein weiterer Vergleich mit einem echten Musik-Genie, der, ähnlich wie ein ZAPPA für Amerika, als Musik-Nationalheld Polens gilt.
Denn beim im Osten sozialisierten Kritiker kommen da tatsächlich Gedanken an ein bisher als komplett einzigartig empfundenes, ebenso extrem experimentelles, sich zwischen Klassik und Elektronik und Jazz bewegendes Album eines genialen (für diesen Musiker absolut zutreffend), leider längst verstorbenen, polnischen Musikers auf, das noch dazu durch eins der schönsten und traurigsten LP-Cover zugleich besticht: „Katharsis“(1976) von CZESLAW NIEMEN.
Oder um es schlicht und ergreifend bzw. klar und deutlich auszudrücken: Dieses „Oportet 475“ ist die Katharsis von ZE IN THE CLOUDS!
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FAZIT: Klassik der Renaissance trifft auf elektronische Musik und Jazz sowie die verrücktesten experimentellen Ideen, Effekte und Klänge, um so eine völlig neue 'Renaissance der Moderne' zu erschaffen. Das ist der Versuch einer Kurzbeschreibung hinter „Oportet 475“ (Hier sollten auch alle Beethoven-Freunde aufhorchen!) von ZE IN THE CLOUDS, einem außergewöhnlichen Multiinstrumentalisten aus Mailand. Einziger Vorwurf: Hier wäre bei all diesen überbordenden Ideen und unterschiedlichen Musik-Stilen doch bestimmt mehr als nur eine musikalische Halbestunde drin gewesen, als die klanglich auf „Oportet 475“ verewigte. Grandios, aber deutlich zu kurz!
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Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.10.2023
Ze In The Clouds, LNDFK
Francesco Fabiani
Ze In The Clouds, Uri Caine, Paolo Fresu
Edoardo Battaglia, Gianluca Pellerito
Paolo Fresu (Trompete, Effekte), LNDFK (Produzent)
TUK Music
31:23
06.10.2023