Der wohl unwahrscheinlichste (englischsprachige) Musikführer des Jahres 2024 (geschrieben wurde er bereits ein Jahr zuvor) liegt ab sofort in Form des rund 70-seitigen Büchleins "101 Dungeon Synth Albums You Must Hear…Before You Rot In A Dungeon" vor. Verfasst vom eifrigen Schreiberling Sebastian Wójcik, seines Zeichens Herausgeber des grandiosen DUNGEON SYNTH Zines.
Sebastians Schreibe ist locker-flockig, entwaffnend humorvoll und trotzdem nahezu durchweg auf das Wesentliche fokussiert. Um den heißen Brei herumschreiben ist sein Ding nicht, gleichwohl er seine Texte mit Infos garniert, die mich oft schmunzeln lassen. "Diese Liste sähe anders aus, wenn ich sie vor einem Jahr notiert hätte", so der Dungeon-Synth-Enthusiast in seinem Vorwort, "und in einem Jahr wird sie wieder anders aussehen. (…) Habe Spaß mit dieser Liste. Stelle sie in Frage. Diskutiere sie. Kritisiere sie. Wenn du sie für schlecht hältst, stelle deine eigene zusammen. (…) Nimm sie bloß nicht 100 Prozent ernst. Es gibt ja Menschen, welche alles so ernst nehmen, dass sie selbst lächerlich werden. Hab‘ einfach Spaß!"
Auf dieses Vorwort, den Versuch einer Definition und einen Ratgeber ("How to succeed in Dungeon Synth?"!) folgt eine Doppelseite, auf welcher Dungeon-Synth-Projekte verschiedenen Autoren zugeordnet werden, die ihr Schaffen beeinflusst haben: Ähnlich wie im Black Metal kann der Nachhall von J.R.R. Tolkien auch hier kaum zu hoch bewertet werden, und umso interessanter ist es, in aller Kürze nachzuvollziehen, dass auch die Werke von H.P. Lovecraft, Terry Pratchett, Ursula Le Guin oder Michael Moorcock im Dungeon Synth ein eigenes Echo erzeugen.
Die in chronologischer Reihenfolge vorgestellten 101 Alben repräsentieren nicht die "reine Lehre", sondern eine persönliche Auswahl, die Sebastian nachvollziehbar begründet. Satyrs Projekt Wongraven aus dem Jahr 1996 ginge selbst heute allenfalls als "progressiver" Dungeon Synth durch (was einem Widerspruch in sich selbst gleichkäme), und bei Summonings Demo "Minas Morgul" kann, wie der Autor einräumt, von Dungeon Synth zwar keine Rede sein, doch der Einfluss der Österreicher auf die Szene sei so gewaltig, dass eine Liste der wichtigsten Alben ohne Summoning für ihn schlichtweg "lächerlich" wäre. Dem werden sicher viele zustimmen.
Beginnend mit Jim Kirkwoods "King Of The Golden Hall" (1990) und Mortiis‘ "The Song Of A Long Forgotten Ghost" (1993) listet Sebastian Tonträger aus rund drei Jahrzehnten auf, von denen einige längst Kultstatus erreicht haben und andere vielleicht als verborgene Juwelen gelten dürfen. Zweifelsohne dürfte selbst der kauzigste Keyboard-Kobold in dieser Liste Aufnahmen finden, die er noch nicht kennt. In dieser Hinsicht entpuppt sich das schön gestaltete Büchlein als eine wahre Schatzkiste des Wunderlichen, Obskuren und Eskapistischen.
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FAZIT: Weil Sebastian Wójcik bereits auf den ersten Seiten klar macht, dass es sich bei seiner Auflistung von 101 Dungeon-Synth-Alben in diesem Buch nicht um eine handelsübliche "Best-Of-Zusammenstellung" handelt, nimmt er etwaigen Besserwissern, denen dieses oder jenes Album hierin fehlen könnte, geschickt den Wind aus den Segeln. Trotzdem enthält seine Liste zahlreiche frühe Meilensteine der Pioniere, Genre-Klassiker und ausgesuchte Aufnahmen, die aus verschiedenerlei Gründen eine Entdeckung wert sind – wenigstens Neugier an dem Musikstil vorausgesetzt. Die Präsentation von je zwei Alben auf einer DinA5-Doppelseite ist enorm kurzweilig geraten, und der sympathische Fanzine-Charm dieses Druckwerks lässt wahrscheinlich noch auf Jahre hin jede Möchtegern-professionelle Behandlung dieses Musikstils jämmerlich erscheinen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.03.2024
Sebastian Wójcik
Eigenveröffentlichung
72 Seiten
09.03.2024