Welch eine Traum-Band, die sich da der Tenorsaxophonist ALEX HITCHCOCK für diese grandiose 3-CD-Edition unter dem Titel „Dream Band: Live In London“ zusammengestellt hat! Stellenweise vermag man es kaum zu glauben, welche Vielzahl von Jazz-Größen Hitchcock hier live an drei Abenden begleiteten und gemeinsam mit ihm ein progressives Jazz-(Rock-)Feuerwerk entzündeten, bei dem neben dem typischen Rock-Instrumentarium (Bass, Gitarre, Schlagzeug) zusätzlich klassisches Piano, Trompeten und Vibraphon zum Einsatz kommen, wobei es ungemein angenehm ist, dass sich Saxophonist Hitchcock auf der Bühne nicht permanent in den Vordergrund spielt, sondern seinen großartigen Mitstreitern viel Freiraum an ihren Instrumenten lässt, sodass beispielsweise gleich der Album-Opener „Abaqua“ intensiv auch vom Vibraphon-Spiel Lewis Wrights lebt. Schnell, ganz schnell werden bei diesen spannenden Live-Aufnahmen Erinnerungen wach – und zwar an PASSPORT von KLAUS DOLDINGER, selbst wenn der noch stärker die rockigere Seite des Jazz in den Vordergrund stellte, während Hitchcock mehr deren akustische betont.
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Insgesamt enthält dieses Jazz-Dreierpack drei Konzerte, welche sich allerdings nicht über jeweils eine CD pro Abend erstrecken, sondern bunt gemischt über die drei Silberlinge verteilt wurden und bei denen die einzig durchgängige Bezugsgröße tatsächlich nur der britische Tenorsaxophonist ist, während seine Begleiter wechseln. Durch diese unkonventionelle Anordnung der Songs im Rahmen eines Live-Albums wird einerseits für großen Abwechslungsreichtum und andererseits auch für das Wahrnehmen der beachtlichen Spielbreite und Stilvielfalt gesorgt, die Hitchcocks Kompositionen ausmachen, welche eben jedes Mal durch völlig unterschiedliche Musiker verwirklicht werden, wobei diese zusätzlich auch ihr Improvisationstalent mit ins reichhaltige Jazz-Spiel einbringen können.
Aber es gibt noch eine zweite Bezugsgröße, in diesem Falle eine rein lokale, denn alle drei Konzerte wurden an drei Abenden im legendären Londoner Vortex Club aufgenommen.
Ruhiger und verträumter (und ein wenig an JAN GARBAREK erinnernd) klingen speziell die Aufnahmen mit Sängerin Liselotte Östblom, die Hitchcock am ersten Abend begleitete, während am zweiten Abend an deren Stelle der Vibraphonist Lewis Wright tritt und sich der dritte und letzte Abend auf Tenorsaxophon, Bass, Gitarre, Trompete, Piano und Schlagzeug beschränkt.
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So ist jedes Konzert für sich schon einzigartig, wobei sich das Tenorsaxophon als vereinendes Element durch die drei unterschiedlich gestalteten Konzerte zieht und diesen den speziell wiedererkennbaren Charakter verleiht. Dabei verfolgte Hitchcock ein eigenes und zugleich ungewöhnlich gewagtes Ziel: „Ich habe mich der Idee verschrieben, am Tag der Aufnahme die Kontrolle abzugeben und den Raum zu schaffen, in dem die anderen arbeiten können – da ist viel Vertrauen im Spiel. Es ist ein Schnappschuss eines Moments in der Zeit, von etwas, das sich immer weiter entwickelt – die Kontrolle abzugeben, um zu sehen, was passiert.“
Während Hitchcock bei seinen Titeln auf Ein-Wort-Minimalismus setzt, holt er musikalisch dahinter aber weit aus – oder um es mit seinen eigenen Worten auszudrücken: „Ich habe das Glück, von so vielen unverwechselbaren und kontrastreichen Stimmen umgeben zu sein und möchte diese Vielfalt auf Platte bannen und den Musikern genug Raum geben, sich auszudrücken und meine Musik zu gestalten.“
So wird aus den Musikern, selbst wenn sie nicht alle zusammen spielen, eben die 'Dream Band', die da live in London in unterschiedlicher Besetzung, aber mit dem gleichen Hang zur Perfektion drei Konzerte einspielt, welche man sogar beliebig miteinander kombinieren kann und die trotzdem wie aus einem Guss klingen.
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FAZIT: Zeitgenössischer, vielfältiger, aber auch traumhafter Jazz... So haben wir es auf „Dream Band: Live In London“ also nicht mit nur einer Traum-Band, sondern gleich mit dreien und zwar pro Abend jeweils einer, die im legendären Londoner Vortex Club auftreten, zu tun. Für jede Band komponierte ihre Leader, Tenorsaxophonist ALEX HITCHCOCK, speziell die Musik, sodass beispielsweise auch die Sängerin Liselotte Östblom gleich am ersten Abend zum Zuge kommen konnte, während die beiden folgenden Abende ausschließlich instrumental blieben, sich aber neben allen Unterschieden zu einem sich ergänzenden Gesamtwerk vereinten. Deswegen wohl wurden für dieses beträchtliche 3-CD-Set die insgesamt 20 Live-Aufnahmen auch bunt gemischt, anstatt sich an die dreiabendliche Live-Chronologie zu halten. Jazz für Feinschmecker, denen ein Tenorsaxophon ebenso wichtig ist, wie eine breit aufgestellte, von unterschiedlichen Jazz-Größen beherrschte Live-Atmosphäre.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.01.2024
Conor Chaplin, Rio Kai, Orlando Le Fleming
Liselotte Östblom
Rob Luft, Ant Law
Kit Downes
Marc Michel, Jamie Murray, James Maddren
Alex Hitchcock (Tenorsaxophon), James Copus, Mark Kavuma, Alexandra Ridout (Trompeten), Lewis Wright (Vibraphone)
Whirlwind Recordings
151:55
01.12.2023