Zurück

Reviews

Andreas Vollenweider & Friends: Live At Rockpalast 1982

Stil: Art Pop, Weltmusik, Neo Classic, Jazz

Cover: Andreas Vollenweider & Friends: Live At Rockpalast 1982

<b>„Als Hörer muss man sich die Zeit nehmen, diese Musik zu hören und zu verstehen. Wer die innere Ruhe dazu aufbringt, wird reich belohnt werden.“</b> (Gottfried Schmiedel im Rahmen der 1984er-AMIGA-LP, die in der DDR unter dem Titel 'Andreas Vollenweider' verkauft wurde, aber eins zu eins dessen Album „Behind The Gardens – Behind The Wall – Under The Tree...“ entsprach.)

Mit ANDREAS VOLLENWEIDER verbinden sich für den Kritiker so einige Erinnerungen, die nicht gerade schöner Natur sind, aber keinesfalls die Musik des mutigen, experimentierfreudigen Schweizer Harfenisten, sondern den Umgang einiger überheblicher Journalisten damit betreffen. Wobei die allerersten Vollenweider-Erinnerungen noch fest verwurzelt in der DDR und im Jahr 1984 sind – und die dem unmündigen DDR-Bürger die streng rationierten und raren Lizenz-Platten betreffen. Zu dieser Zeit war bei AMIGA, dem DDR-Plattenlabel, bei welchem der Devisen wegen die Lizenz-Ausgaben rar gesät waren und man sich stundenlang zuvor an den Plattenläden der Republik anstellen musste, um eins der begehrten Lizenz-Exemplare zu ergattern, obwohl man im Vorfeld nie wusste, welche Band oder Musiker ausgewählt worden war, die Lizenz-LP des völlig unbekannten Schweizer Musikers auftauchte. Jedenfalls waren viele, nachdem sie mehrere Stunden in einer Schlange vor dem Plattenladen gestanden hatten, ziemlich enttäuscht und desillusioniert, als die ersten mit einer VOLLENWEIDER-Platte aus dem Laden kamen, den kaum jemand kannte und in seiner Hoffnung auf einen deutlich bekannteren Act nur aus Verzweiflung kaufte. Vielleicht könnte man ja das noch dazu nicht gerade prickelnd anzuschauende Album (Motiv war das Bild auf der Rückseite der Original-LP) mal gegen ein anderes eintauschen. Ein Vorhaben, das man wohl nach dem ersten Hördurchgang durchaus überdachte, denn die Musik war eben doch beeindruckend, weil sich der junge Züricher Musiker mit seinen elektronisch verstärkten Harfenklängen so in etwa zwischen alle Stühle von der Klassik über den Rock und die Elektronik bis hin zum Jazz setzte. Die Begegnung zwischen ihm und vielen Ostdeutschen hinterließ jedenfalls Wirkung.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/VU3jymKv1A8?si=O7-eNS5FHbCyQ071" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

Jahre später fiel die Mauer und schnell versuchte der Osten die ihm so lange vorenthaltene 'West-Musik' für sich nachzuholen – doch irgendwie blieb einem ein ANDREAS VOLLENWEIDER dabei immer in Herz und Hirn sowie im Hinterkopf hängen. Zumindest aus der Sicht des Kritikers, der zu diesem Zeitpunkt auch längst den 'Rolling Stone' abonniert hatte und eines Tages in einem kurzen Artikel zu der Doppel-CD „Live 1982 - 1984“ des besagten Züricher Harfenisten las, der in der gruseligen Feststellung gipfelte, dass diese Musik nur was für „Lehrer und Latzhosenträger“ sei und in einem üblen Verriss endete (und damit auch die Loreley-Rockpalast-Aufnahmen einschloss).
Ich jedenfalls gehörte zur Kategorie der Lehrer, war aber nie Latzhosenträger – doch dafür bei solch herablassender wie überheblicher Journalisten-Art stinksauer und griff wütend zu der einzigen Möglichkeit, mit der man sich im Kapitalismus wehren konnte (wie ich es zwischenzeitlich als 'Ossi' von den 'Wessis' gelernt hatte) und kündigte mein 'Rolling Stone'-Abo. Außerdem schrieb ich noch einen bösen Leserbrief, der wahrscheinlich nie veröffentlicht wurde.

Das alles ist nunmehr schon gute 30 Jahre her – doch heute, im Jahr 2024, habe ich, selbst zum Kritiker geworden, die große Ehre, ein Konzert von ANDREAS VOLLENWEIDER & FRIENDS von vor 42 Jahren im Rahmen der Rockpalast-Reihe zu besprechen, die unter dem Titel „Live At Rockpalast 1982“ als DVD+CD-Version im dreiflügeligen Digipak samt achtseitigen Booklet erscheint und mir aus heutiger Sicht erneut bestätigt, dass meine 'RS'-Abo-Kündigung zu 100% gerechtfertigt war!

Schon der Klang dieser alten Aufnahmen ist ausgezeichnet und ungewohnt gut (ja, hervorragend), wenn man diesen mit ebenso alten Aufnahmen anderer Rockpalast-Konzerte dieser Zeit vergleicht.
Hinzu kommt das herrlich sympathische wie zurückhaltende Auftreten von Vollenweider, der gemeinsam mit dem Schlagzeuger Walter Keiser und dem Perkussionisten Pedro Hademann ein mitunter auch an die Weltmusik erinnerndes Feuerwerk abschießt – und jeden, der zwischenzeitlich vielleicht zudem seine Liebe für eine LOREENA MCKENNITT entdeckt hat, in wahre Begeisterung versetzen.
Noch dazu ist der Ort für dieses Konzerts bestens geeignet und der Art der Musik ideal entsprechend: das Amphitheater 'Loreley', das sicher vielen auch von der „Night Of The Prog“ bekannt ist, auch wenn diese in diesem Jahr das letzte Mal in dieser Freilichtbühne auf der Loreley stattfand.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/xCZUykgrnCE?si=2dlCajJ1d9JxSsRF" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

Bis Vollenweider seine Harfe so weit hatte, dass diese dessen Vorstellungen von besonderer, gänzlich ungewöhnlicher (Harfen-)Musik entgegenkam, dauerte es recht lange, wozu er selber einstmals feststellte: „Verschiedene Dinge habe ich umgebaut und dadurch entsteht eine differenzierte Harfenmusik. Ich trete fast nie Pedal, ich spiele in Skalen. Ich möchte, dass es klingt, so wie das Wasser fließt. Ich spiele total intuitiv. Ich will vor allem auch des Rhythmus wegen kurze Töne spielen können, auch hart, glashart. Deswegen habe ich einen Dämpfer gebaut, den ich mit dem Knie bedienen kann und der die Töne abdämpft, ähnlich wie der Dämpfer beim Klavier. Dadurch kann ich, wenn ich will, manchmal so richtig 'funky' spielen.“ (Alles nachzulesen auf der AMIGA-LP, die neben der Lizenzausgabe oft auch durch umfangreiche, informative wie wissenschaftlich – aber leider auch mitunter sehr ideologisch geprägte – fundierte Texte überzeugte.)

Auf jeden Fall kann man nun auf „Live At Rockpalast 1982“ ausgiebig sehen und hören, wie VOLLENWEIDER & FRIENDS diese Absicht umfangreich auf der Bühne in die Tat umsetzt, wobei hauptsächlich die Stücke seines 1981er-Albums „Behind The Gardens – Behind The Wall – Under The Tree...“ zur Aufführung kommen.

Doch nicht nur das! Denn der Humor der beiden Schlagzeuger sorgt sogar dafür, dass wir live eine Nacktbauch-Percussion bei „Micro-Macro“, die von einem frenetisch jubelnden Publikum begleitet wird, erleben – und jederzeit die bewundernswerte Abstimmung zwischen Harfenisten und Perkussionisten bewundern dürfen, die sich zum Ende hin in einem Schlagzeug-Solo mit anschließender 'Verbalattacke' bei „Skin And Skin“ entlädt.

Ein wahres Konzert-Erlebnis, das garantiert alle musikalisch interessierten Bevölkerungsschichten begeistern wird und nicht nur die 'Lehrer und Latzhosenträger'...
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/xvWDeTyUiLE?si=5UzNYZU_0ROI0PBW" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

FAZIT: Unfassbar, dass wir so lange auf diese hervorragenden Aufnahmen vom 29. August 1982 warten mussten! Doch das Warten hat sich im Falle von ANDREAS VOLLENWEIDER & FRIENDS „Live At Rockpalast 1982“ definitiv gelohnt! Ein echtes Highlight – vom Konzert wie vom Sound her – der kompletten Rockpalast-Reihe, auch wenn Vollenweider und seine Harfe sowie die ihn begleitenden Schlagwerker weit entfernt vom Rock, aber unglaublich nah an der Faszination weltbewegender Musik sind! Ein Feuerwerk für die Sinne, das zudem mit der Freilichtbühne auf der Loreley seinen idealen Ort gefunden hat.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/9ko4F3v6NWY?si=FnTx7OxpFAX7AS--" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

<i>PS:</i> Übrigens ist im zahlreichen Publikum auf der Loreley (über das sehr oft die Kamera schwenkt, genauso wie über die landschaftlich wunderschöne Ansicht der Loreley) kein einziger Latzhosen-Träger zu entdecken. Dann werden das wohl alles Lehrer sein – bei dieser unsagbaren Begeisterung, die am Ende des Konzerts entfacht wird.

Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.09.2024

Tracklist

  1. <b>DVD/CD</b> (je 47:14):
  2. High Above
  3. Montrööt
  4. Vergeletto
  5. Micro-Macro
  6. 2 für 3
  7. Skin And Skin
  8. Lion And Sheep
  9. Pyramid
  10. Behind The Gardens, Behind The Wall, Under The Tree

Besetzung

  • Keys

    Pedro Haldemann

  • Schlagzeug

    Walter Keiser

  • Sonstiges

    Andreas Vollenweider (Harfe), Pedro Haldemann (Percussion)

Sonstiges

  • Label

    MIG music

  • Spieldauer

    47:17

  • Erscheinungsdatum

    27.09.2024

© Musikreviews.de