Im August 2024 erhalte ich per Email von Kyrck Productions & Armour einen Link zum Promo-Download des Albums "Liv Tar Slutt" von APTORIAN DEMON. Die Email im Wortlaut: <i>APTORIAN DEMON wurden von Gitarrist und Sänger Storhetsvanviddets Mester aka Ghâsh in der norwegischen Hafenstadt Trondheim gegründet. APTORIAN DEMON verkörpern den Geist und den rohen Sound des frühen nordischen Black Metal. Der Bandgründer und gleichzeitig das einzige Mitglied des Projekts hat diese Form des künstlerisch-musikalischen Ausdrucks ebenso bewusst gewählt wie die hasserfüllten, misanthropischen und satanischen Textinhalte. Das ist Black Metal. Storhetsvanviddets Mester ist ein Einzelgänger, der weder mit vorherigen Bandmitgliedschaften noch mit der Nidaros-Szene in Verbindung gebracht werden will. Mit den vorherigen Veröffentlichungen, der EP "Angst, jammer og fortvilelse" (2005) und dem Debütalbum "Libertus" (2012), konnten sich APTORIAN DEMON eine treue Anhängerschar im schwarzen Untergrund erobern – und das vollkommen ohne jegliche Social Media Präsenz. APTORIAN DEMON halten die Zeit für gekommen, um ihren zweiten Langspieler mit dem Titel "Liv tar slutt" ("Das Leben endet") zu veröffentlichen. Dieses Album hält das Versprechen, ein massives Ausrufezeichen im Black Metal zu setzen, welches die vorherigen Werke gegeben haben. Schwarze Seelen werden sich an den frostigen, harschen und messerscharfen Songs ergötzen. "Liv tar slutt" ist purer Black Metal aus Norwegern. Keine Gnade!</i>
Beim Lesen der Songtitel stutze ich: "Die Hexe von Buchenwald" sticht nicht nur als deutschsprachiger Titel aus den übrigen, meist norwegischen Titeln heraus, sondern greift auch den Titel eines Buches wie einer Fernsehdokumentation über Ilse Koch auf. Ilse Koch war die Ehefrau von Karl Koch, Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald, und wurde u.a. als die "meistgehasste Frau der Welt" bezeichnet, um deren menschenverachtendes Wirken sich nahezu mythische Erzählungen verdichtet haben.
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Da ich im Promo-Begleitschreiben keine Informationen zu dem Song finde, schreibe ich das Label an, frage den Songtext und weitere Infos dazu nach und erhalte folgende Antwort von Kyrck Productions & Armour:
<i>Hallo Thor, es sind keine Texte verfügbar, nur die folgende Aussage/Erklärung: "‘Die Hexe von Buchenwald‘ handelt von der düsteren und turbulenten Beziehung zwischen Ilse Koch und ihrem Mann, aus seiner Perspektive, während er der Hinrichtung entgegensieht. Es geht um Macht, Herrschaft und die harte Realität des Todes, wobei die Gefühle des Ehemannes gegenüber ihrer grausamen Geschichte betont werden. Trotz seines Schauplatzes in der Nazizeit berührt das Lied Themen wie Aufbruch und Selbstfindung."</i>
Das ist also offenbar alles, was ich aktuell von offizieller Seite dazu in Erfahrung bringen und mir vor diesem Hintergrund eine oberflächliche Einschätzung bilden kann. Ergo ordne ich den Song "Die Hexe von Buchenwald" zunächst ähnlich wie Slayers "Angel Of Death" ein: Eine plakative, Metal-typische Auseinandersetzung mit dem (vermeintlich) ultimativ Bösen und dessen Faszinationskraft, ohne dass sich daraus zwingend eine Verherrlichung der Titel stiftenden Person im Speziellen oder des Nationalsozialismus im Allgemeinen ableiten lässt. Ob ich mit dieser wohlwollenden Einschätzung richtig liege, weiß ich nicht, und angesichts der mir verständlichen Sprachfetzen im Song bleiben Zweifel: <i>"Du meine geliebte Hexe aus Buchenwald… Ilse Koch, meine geliebte Hexe von Buchenwald… Auf dich, meine geliebte Hexe, ein dreifaches…"</i> – Ein dreifaches was? Was wird da im Anschluss gerufen…?
Auch bin ich mir nicht sicher, wie ich die allgemeine Ignoranz beim Umgang mit dem Songtitel "Die Hexe von Buchenwald" bewerten soll: Zahlreiche Metal-Medien übernehmen die Infos aus der Promo-Email in ihre News-Rubriken, ohne dass der Songtitel ein einziges Mal Anlass zur Verwunderung zu geben scheint? Buchenwald – woran erinnert bloß dieser Name…? Dass das Album derweil bei allerhand Mailordern gelistet ist, ohne dass der Songtitel einen leisen Verdacht weckt, gehört offenbar zum trägen "business as usual" einer "Szene", deren Beschäftigung mit Musik oft vor allem im Erwerb bzw. Horten von Tonträgern liegt. Tieferes Interesse an der Musik und den darin transportierten Inhalten ist weithin nicht zu erkennen. Das schließt die übereifrigen Moralapostel und Maulhelden in Internetforen ein, von denen drei Monate nach Album-Ankündigung nichts zu APTORIAN DEMON zu vernehmen ist. Vielleicht hat diese Szene es letztlich verdient, herablassend behandelt – nicht um zu sagen: verarscht – zu werden?
Von alledem bleibt unbenommen, dass mit "Liv Tar Slutt" ein in musikalischer Hinsicht grundsätzlich hörenswertes Black-Metal-Album vorliegt, das der "einsame Wolf" Storhetsvanviddets Mester mit den beiden versierten Gjendød-Musikern K. und K.K. aufgenommen hat.
Die drei Norweger haben ein ebenso atmosphärisches wie dicht arrangiertes Album eingespielt, das mit erhebenden Momenten nicht geizt und von einer Getriebenheit geprägt ist, die ein ums andere Mal nicht zuletzt an Armagedda erinnert. Abwechslung wird auf "Liv Tar Slutt" groß geschrieben, und jeder Song bzw. jede Komposition unterscheidet sich von den anderen auf einem Album, in das hörbar viel Leidenschaft geflossen ist und auf dem der traditionale Black Metal von Ruhephasen kontrastiert wird.
Gellende Schreie, ahnungsvolle Trommelklänge und düstere Akkorde fließen im Intro "Rashanais" zusammen, bevor mit "Når Livet Tar Slutt" der erste Song erklingt, dessen entrückte Vocals abrupt etwas Wahnhaftes verströmen, während es hurtig voran geht.
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Es folgt das bereits erwähnte Stück mit zunächst vergleichsweise gemächlichem Tempo. Wie sich hier verschiedene Ebenen nach und nach verdichten, Flüster-Gesang und Schreie die ohnehin vielschichtige Musik intensivieren, ist prinzipiell großes Black-Metal-Kino, und dürfte den Vorstellungen einer komplex bösen Musik der Genreväter ziemlich nahe kommen. Das Stück verklingt unheilvoll mit einer Minute düsterem Ambient.
Fast schon hell und ein wenig versöhnlich tönen die ersten Akkorde von "Ildskjær", doch damit ist schnell Schluss: Erneut wird gezetert und gewütet, während sich die Saitenfraktion zur Hochform aufschwingt. Wie hier nach einer Weile (semi-)akkustische Akkorde zur Atmosphäre beitragen, ist beispielhaft und erinnert an Genre-Klassiker, ohne diese zu kopieren.
Im Anschluss wird "Sviking" über vier Minuten auf der Akustikgitarre intoniert, bevor es ebenfalls ambient ausklingt, und "Liv Tar Slutt Vokt Di Ega Grav" in anderthalb Minuten das Ende mit verzerrter Gitarre einläutet und dann mir-nichts-dir-nichts endet.
"Liv tar slutt" erscheint in zwei Vinyl-Versionen (schwarz und rauchfarben) sowie als CD einem Buch mit Lederimitat-Umschlag. Das Album-Cover hat David Thiérrée illustriert und damit eines seiner bisher "angriffslustigsten" Werke vorgelegt.
FAZIT: Im Vergleich mit aktuellen Black-Metal-Veröffentlichungen hat "Liv Tar Slutt" von APTORIAN DEMON die Nase weit vorn. Meine Freude an der zweifelsohne starken Musik wird allerdings durch das Kasperletheater des schwammigen Umgangs mit dem Song "Die Hexe von Buchenwald" erheblich getrübt – ist es anno 2024 wirklich noch nötig, Black Metal mit solch uneindeutiger Nähe zu einer NS-Täterin zu besudeln?
Die Bewertung in Punkten bezieht sich folglich nur auf die Musik.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.11.2024
Storhetsvanviddets Mester
Storhetsvanviddets Mester, KK
K
KK
Kyrck Productions & Armour
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15.11.2024