<b>„LIEBE: Ist die Fähigkeit, sich selbst im Anderen zu erkennen.“</b> (Hartmut Enke im Inneren der „Schwingungen“-LP von ASH RA TEMPEL)
Genau heute feiern wir den 72. Geburtstag von MANUEL GÖTTSCHING. Doch den können wir leider nur mit einer Krokodilsträne in den Augen begehen, ganz ähnlich wie seine Frau Ilona Ziok, die sicher gerade heute in einerseits glücklichen Erinnerungen wie andererseits besonders traurigen schwelgen wird – denn am 4. Dezember 2022 verstarb völlig überraschend der kosmische Pionier und einer der größten Innovatoren der Berliner Schule, dem wir musikalisch so unglaublich viel zu verdanken haben – und der wie kein Zweiter seit der Geburt des Krautrocks, aus dem sich dann speziell die Berliner Schule als völlig eigenständiges Pflänzchen mit ASHRA bzw. ASH RA TEMPEL aka MANUEL GÖTTSCHING sowie TANGERINE DREAM unter Federführung von EDGAR FROESE und KLAUS SCHULZE solo emanzipierte.
Welch wunderbare Zeit und Musik!
Nur leider sind alle hier genannten Freigeister und Musik-Enthusiasten sowie Kreativ-Genies bereits verstorben. Eine traurige wie schreckliche Tatsache – denn mit ihnen wurden auch die Ursprünge eines außergewöhnlichen Musik-Genres zu Grabe getragen. Wobei noch immer viel zu oft vergessen oder gar nicht gewusst wird, dass <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2016/Manuel-Goettsching/E2-E4-2016er-Vinyl-Edition/" target="_blank" rel="nofollow">das wichtigste und weltweit einflussreichste Album dieser Zeit tatsächlich von MANUEL GÖTTSCHING veröffentlicht wurde und den Titel „E2-E4“</a> trägt!
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Doch hier geht es nicht um „E2-E4“, sondern um „Schwingungen“ von ASH RA TEMPEL aus dem Jahr 1972 (ein Album also, das genau ein halbes Jahrhundert vor Manuel Göttschings Tod entstand und in seiner hier besprochenen „50th Anniversary Edition“ noch kurz vor seinem Tod veröffentlicht wurde) und um Göttsching selber, den wir hier aus Anlass seines Geburtstags im Rahmen dieser Review ebenfalls ein wenig zu ehren versuchen – genauso wie wir dies aus Anlass seines Todestags mit <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2023/Ash-Ra-Tempel/Ash-Ra-Tempel--The-50th-Anniversary-Vinyl-Edition/" target="_blank" rel="nofollow">ASH RA TEMPELs Debüt-Album „Ash Ra Tempel“ (1971)</a> getan haben.
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Viele fragen sich daher sicher: „Was kann einen Gitarristen und Keyboarder sowie zugleich Multiinstrumentalisten dazu bewegt haben, sich diesen seltsamen Bandnamen zu verpassen?“
Auch hierauf findet man im Grunde in der wunderschön gestalteten LP (ein nacktes Paar im Flower-Power-Stil, ähnlich wie Adam & Eva oder die Sirenen auf einem Stein sitzend und in Richtung Horizont blickend), wenn man diese aufschlägt, eine Antwort (Wobei man vielleicht noch wissen sollte, dass RA der ägyptische Sonnengott ist...), die sich aus folgenden Worten ergibt: „Ich bin vom Sound erfüllt, den wir morgen für dich spielen werden. Ein Tempel ist mein Körper, der mich trägt in seinen visionären Gitarrenfingern, ekstatisch brennend, während mein Leib, geräuchert vom Smog des Benzins, ein Automat unter Automaten, wandelt, lebe ich in den Universen meines Liedes für dich, das dich hören macht, was den unendlichen Kosmos schwingend durcheilt: DIE ENERGIE DES LEBENS.“
Eine Energie, die leider am 4. Dezember 2022 verrauchte und selbst mit den größten Akkus nicht wieder aufzuladen ist – denn wenn ein Herz stehen bleibt, dann tritt an die Stelle des Herzschlags das ewige Schweigen und was bleibt, sind nur die „Schwingungen“, die derjenige bei den Lebenden zurücklässt.
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„Schwingungen“ gilt noch heute als eines der wichtigsten Krautrock-Alben aller Zeiten, das zugleich das psychedelischste aus Göttschings wie ASH RA TEMPELs Sicht ist.
„Schwingungen - 50th Anniversary Edition auf Vinyl“ wurde extra in 2021 unter persönlicher Leitung von Manuel Göttsching neu geschnitten, sodass wir hier eines seiner letzten Werke erleben dürfen, mit dem er sich noch bis kurz vor seinem Tode in dieser Intensität auseinandergesetzt hat und das auf diese Weise wohl seine für alle ungeahnte Hinterlassenschaft an uns wurde, wobei die erste LP-Seite aus einem hellen, in die Sonne schauenden („Light: Look At Your Sun“) und einem finsteren, den Tod heraufbeschwörenden Teil („Darkness: Flowers Must Die“) besteht.
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Beide Teile zeichnen sich zu einer schwer psychedelischen Hinwendung erst in Richtung PETER GREEN („Albatross“) und dann PINK FLOYD („Saucerful Of Secret“ in Kombination mit „Meddle“ sowie „Careful With That Axe, Eugene“) aus und zu dem gewagten Experiment, einen – nennen wir ihn mal seltsamen – Sänger auf die vor ihrem Plattenspieler sitzende Menschheit loszulassen, der sich mit mitunter schrägen Tönen durch die Musik der ersten Seite sprechsingt, krächzt, schreit, heult oder flüstert. Sowas bekommt wirklich in dieser trotzdem grandios erscheinenden Art einfach nur ein Göttsching inmitten seines ASH RA TEMPELs hin!
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Als „Schwingungen“ erstmals 1972 auf dem 'Ohr'-Label erschien, bestand die Band aus Manuel Göttsching und Hartmut Enke, nachdem Klaus Schulze nach dem selbstbetitelten Debütalbum (1971) bereits ausgestiegen war, um sich seiner Solo-Laufbahn zu widmen, die zwar für hohe Bekanntheit in Deutschland sorgte, aber ein Göttsching, der als 'Prophet im eigenen Lande' nicht so viel zählte, war in der Welt um Längen bekannter und viel höher verehrt.
Das erste Stück „Light: Look At Your Sun“ verstand die Band als eine Hommage an PETER GREENs Kult-Instrumental bei FLEETWOOD MAC: „Albatross“ – das sollte man tatsächlich wissen, denn sonst könnte man Schwierigkeiten dabei bekommen, diese Parallele herauszuhören. Allerdings mit genau solchem Hintergrundwissen, schlägt man sich beim Hören an den Kopf und denkt: 'Aber klar doch! Hier fliegt tatsächlich der Albatros durch den seltsamen Psyche-Song!'
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Dieses Album ist in all seiner Verrücktheit einfach kaum zu übertreffen, aber zugleich auch eins der unterschätztesten aus dem Göttsching-Umfeld, was wohl einerseits an dem Ausstieg von Schulze und andererseits an dem seltsamen Sänger John L. lag, der extrem schräg rüberkommt und dadurch (in gewisser Weise) unvergesslich bleibt. So wird der „Darkness“-Teil zur totalen Eruption, die zum Ende hin brutal explodiert, weil John L. lauthals schreit und jammert: „Die Blumen müssen sterben, die Blumen müssen sterben...“ und dann nur noch ein „Stirb! Stirb! Stirb!...“ abfeuert, bis das totale, gar free-jazzige Inferno ausbricht und Göttsching ein Gitarren-Solo hinlegt, das einfach nicht aus dieser Welt und darum wohl direkt aus der Hölle kommen muss.
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Die zweite LP-Seite ist von gänzlich anderer Qualität, denn sie richtet sich deutlich an dem Band-Debüt aus, das ja mit jeweils zwei Longtracks aufwartete, von dem der eine ruhig, der andere druckvoll war.
In genau diesem Sinne erfährt der 19 Minuten lange Titeltrack ebenfalls eine Zweiteilung mit seinem sehr ruhigen, schwebend-psychedelischen, kosmischen Beginn, der dann gehörig an Fahrt aufnimmt und sich über ein treibendes Schlagzeugspiel ekstatisch steigert.
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Ach, wie schön wäre es doch, wenn getreu des zweiten Stücks der LP nur die Blumen gestorben wären, doch leider folgte diesen der musikalische Genius MANUEL GÖTTSCHING, der heute seinen 72 Geburtstag feiern dürfte, am 4. Dezember 2022, sodass man ihn und all seine „Schwingungen“, die er über ein halbes Jahrhundert lang in der Musikwelt hinterließ, gemeinsam neben dem Sonnengott 'Ra' im ASH RA TEMPEL betten darf!
Alles Gute zum Geburtstag, lieber Manuel! Du fehlst!
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FAZIT: Die ASH RA TEMPEL-Jubiläumsausgabe von „Schwingungen - 50th Anniversary Edition auf Vinyl“ erscheint im wunderschönen Gatefoldcover mit Sticker und enthält als exklusive Printbeilage eine Kopie der Original-Pressemitteilung von Metronome aus dem Jahr 1972, in der es eine für damalige Zeiten sehr kräutrig-kosmisch-abgehobene Beschreibung der Musik auf dieser imposanten LP gibt, in der es original heißt: „Die LP 'Schwingungen' hat drei Stücke mit sehr unterschiedlichen Klangfarben: Cosmic Blues und Cosmic Rock auf der ersten Seite, ergänzt durch den Gesang von John L., Cosmic Music auf dem Titelstück 'Schwingungen', das die ganze zweite Seite einnimmt und an den Sound der ersten LP anschließt.“ Besser kann man's nicht beschreiben! Auch erfahren wir aus der Pressemitteilung, dass die Musiker ihrer langen Haare wegen während der Plattenproduktion aus dem Hotel, in dem sie eingecheckt hatten, geworfen worden, obwohl sie gerade erst als zweitbeste Newcomer-Band des Jahres ausgezeichnet worden waren, was der auf Ordnung und kurze Haare achtende Wirt in seiner biederen Kleinbürgerlichkeit wohl nicht zu wissen schien. Das Leben ist jedenfalls ungerecht und Ärsche gibt’s überall und zu allen Zeiten, was hiermit bewiesen wäre. Aber es gab und gibt auch musikalische Helden, deren Aura unendlich strahlt, egal, ob unter der Ägide ASH RA TEMPEL oder ASHRA. Dieser Held, der heute Geburtstag hat und vor knapp zwei Jahren seine persönliches Heldentum auf ewig in Richtung Himmel sandte, aber mit seinem musikalischen Heldentum für immer bei uns auf der Erde bleibt, heißt MANUEL GÖTTSCHING und „Schwingungen - 50th Anniversary Edition auf Vinyl“ ist ein weiterer Beweis dafür!
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Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.09.2024
Hartmut Enke
John L.
Manuel Göttsching, Hartmut Enke
Manuel Göttsching
Wolfgang Müller
Manuel Göttsching, Hartmut Enke (Electronics), John L. (Maultrommel, Percussion), Matthias Wehler (Altsaxophon), Uli Popp (Bongos), Bernd Bendig (Visionen)
MG.ART
37:40
05.04.2022