<img src="http://vg02.met.vgwort.de/na/d959a1451e8b4db58954f326f3bda87d" width="1" height="1" alt=""> Von einem Meilenstein und bislang ungehörter Musik ist im Zusammenhang mit "Absolute Elsewhere" die Rede, und insbesondere in den nordamerikanischen Szenemedien (das Decibel Magazine) werden die experimentierfreudigen Death-Metaller BLOOD INCANTATION im Zuge ihres dritten Studioalbums nahezu kritiklos auf Händen getragen. Begeistert darf man durchaus über die Platte sein - zumal nach der zumindest für diesen Schreiber nichtssagenden Ambient-EP "Timewave Zero" (2022) -, was allerdings nicht bedeutet, sie sei ohne Tadel.
Der Plattentitel bezieht sich auf die gleichnamige Space-Prog-Combo mit unter anderem Fusion-Schlagzeug-Ass Bill Bruford (King Crimson), deren 1976er Album "In Search of Ancient Gods" wiederum vom Geschreibe des Schweizer Pseudowissenschaftlers Erich Von Däniken inspiriert war. Im Rahmen der Promo-Kampagne zu "Absolute Elsewhere" hat man allgemein den Eindruck gewonnen, solche Nebensächlichkeiten seien wesentlicher für das Urteil, es handle sich um ein Meisterwerk, als die eigentliche Musik, die sich auf die jeweils dreiteiligen Tracks 'The Stargate' und 'The Message' beläuft. Für Hammondorgel, Mellotron und allerlei andere Tasteninstrumente zeichnet Hällas-Organist Nicklas Malmqvist verantwortlich.
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Immerhin verschanzte sich das Quartett aus Denver im US-Bundesstaat Colorado gemeinsam mit dem derzeitigen Go-To-Produzenten schlechthin - Arthur Rizk, höre Power Trip, Kreator, Sumerlands und andere - in den geschichtsträchtigen Hansa Tonstudios in Berlin, die nicht zuletzt durch David Bowie berühmt geworden und die Anlaufstelle für mehrere Acts gewesen sind, die Blood Incantation beeinflusst haben - allen voran die Berliner-Schule-Pioniere Tangerine Dream, weshalb es nahelag, Thorsten Quaeschning hinzuzuziehen, der seit Tangerine-Dream-Mastermind Edgar Froeses Tod 2015 musikalischer Leiter der Kultband ist.
Sein Beitrag ist in 'The Stargate [Tablet II]' zu hören, wobei es sich zufälligerweise um den einzigen empfindlichen Schwachpunkt von "Absolute Elsewhere" handelt: Ambient-Geplänkel zu Beginn, Sprachfetzen aus dem 1980er-Science-Fiction-Streifen "Contamination" (Deutsch: "Astaron - Brut des Schreckens"), dann eine kurze Akustikgitarren-Episode und schließlich etwas Death Metal wie als Alibi, weil dies eben der Stil der Gruppe ist. Das episodenhafte Klangbild, das man hier hört, stellt sich zwischendurch wiederholt ein und spiegelt das auf diesem Werk nicht hundertprozentig durchdachte Songwriting des Quartetts wider.
Am anderen Ende der Qualitätsskala steht neben 'The Stargate [Tablet III]' - viehisches Gehämmer und Passagen mit filigran verzahnten Melodieinstrumenten wechseln sich stetig auf einen Höhepunkt hinarbeitend ab - das elfeinhalbminütige Finale von 'The Message': Es bleibt grundsätzlich rasant, pendelt sich aber auf eine erhebende, gelöste Stimmung ein und setzt einen dramatischen Schlusspunkt. Der Rest des episch angelegten Materials ist meistens genauso kunstvoll detailverliebt gestrickt, mit Tribal-Trommeln, einem gelegentlichen orientalischen Einschlag (dazu passen Vocals von Malte Gericke, der sich mit seiner früheren Band Necros Christos und bei Sijjin einer ähnlichen melodischen Sprache bedient) und einem andauernden Kontrast zwischen friedlichen und aufwühlenden Momenten (Paradebeispiel: 'The Message [Tablet II]')
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Unter Strich gelingt das Unterfangen monumentale Klangkulissen aus Death Metal und früher "Kosmischer Musik" zu schaffen, relativ gut, auch wenn definitiv noch Luft nach oben ist. Die ersten beiden Blood-Incantation-LPs waren ohne offene Elektronik-Hommage kompositorisch spritziger, hier liegt der Schwerpunkt auf abstrakten, weltfernen Stimmungen, die in den vielen hochtönenden Gitarrenleads (oft mit Keyboard-Unterfütterung) auf den Punkt gebracht zu werden scheinen. Das wunderschöne Artwork des seit gut 50 Jahren tätigen Sci-Fi-Illustrators Steve R. Dodd setzt das i-Tüpfelchen auf diesen achtbaren Entwurf von futuristischem Extrem-Metal im Fahrwasser von "Testimony of the Ancients" und "Spheres" von Pestilence, generell Vektor, den sträflicherweise vergessenen Briten Mithras und natürlich den Keyboard-Death-Metal-Pionieren Nocturnus.
FAZIT: Blood Incantations zweiter Longplayer "Hidden History of the Human Race" (2019) bleibt in puncto Prägnanz ungeschlagen, doch sollte "Absolute Elsewhere" eine neue Ära für die Band einleiten, darf man sich auf mehr Musik mit einzigartiger Atmosphäre durch die Verzahnung verträumter Prog-Rock/Berliner-Schule-Versatzstücke mit letzten Endes angenehm vertraut klingendem Death Metal der verspielten Sorte freuen. In Sachen Songwriting ist das hier aber wie gesagt teils fragmentarisch und somit ausbaufähig.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.09.2024
Jeff Barrett
Paul Riedl
Paul Riedl, Morris Kolontyrsky
Isaac Faulk
Century Media / Sony
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04.10.2024