Wenn die Schwalben tief fliegen, dann kündigt sich schlechtes Wetter an!
Ganz anders sieht das aus, wenn die Robben tief fliegen – denn dann kündigt sich überraschend nach 26 Jahren Wartezeit ein richtig gutes neo- und retro-progressives Rock-Album von CHANDELIER an.
Begeben wir uns darum mit der Largha-Robbe und CHANDELIER auf den Tiefflug über den Strand und die progressiven Rock-Gefilde, wobei es viel zu entdecken gibt. Denn „We Can Fly“ trägt konkret wie symbolisch die Absicht hinter dem neuen Studio-Output der deutschen Neo-Progger schon im Titel. Man muss eben nach so vielen Jahren mutig abheben, um am Ende wieder auf die Beine zu kommen, ohne große Angst vor dem Straucheln oder Stürzen zu haben. Und auf „We Can Fly“ erheben sich CHANDELIER in gewohnte und wahrhaft gute Gefilde – so, als wären sie nach ihrem letzten Studio-Album „Timecode“ (1996) nie wirklich fort gewesen.
Die Wiedergeburt von CHANDELIER begann im Grunde mit der überraschenden Anfrage nach einem Auftritt bei der 'Night Of Prog' auf der Loreley, worüber uns ihr Sänger Martin Eden bereits <a href="http://www.musikreviews.de/interviews/16-09-2020/CHANDELIER/" target="_blank" rel="nofollow">in einem spannenden Interview</a> ausführlich Auskunft gab. Zu diesem Zeitpunkt galten CHANDELIER schon seit über 20 Jahren als aufgelöst. Das Konzert jedenfalls war ein voller Erfolg und selbst der IQ-Sänger Peter Nicholls zeigte sich begeistert von der Band, deren Nähe zu IQ früher wie auch heute deutlich herauszuhören ist.
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Schon mit dem Album-Opener „Space Controller“ machen CHANDELIER klar, wo die Reise hingeht. Progressives trifft auf eingängige Melodien und den unverkennbaren Gesang. Martin Eden besitzt eine charismatische, aber in den Szene-Kreisen nicht unumstrittene Stimme, die neben der typischen Prog-Instrumentalität für den sofortigen Wiedererkennungswert von CHANDELIER sorgt. Und auch seine Texte haben was zu sagen, beschäftigen sich (und auch hier wird das Cover, auf dem man weit und breit kein Wasser entdeckt, fündig) mit der Zerstörung unseres eigenen Lebensraums, sodass mitunter nur noch ein unmissverständliches „Help Me“ übrig bleibt, flehentlich vorgetragen mit einer traurigen Stimme in noch trauriger Stimmung: „A warm parade, light and shade, hell and heaven // Please, please, please, please help me / Now!“
Doch auch die 'echten' Longtracks fehlen mit „Spring“ (10:09) und dem das Album abschließenden „Forever And A Day“ (15:05) nicht, genauso wenig wie die herzerweichende Ballade „In Between“ – ein Duett mit dem GROBSCHNITTigen Toni Moff Mollo, der hinterm Mikro gleich auf insgesamt vier der sieben Songs zum Einsatz kommt.
Doch nicht nur die Stimme(n), auch die Orgel besticht auf dem Album, besonders in „Light“, der nächsten Ballade mit Mollo-Ende-Gesang, bis dann das epische viertelstündige „Forever And Day“ wortwörtlich seine Segel inmitten von Wellenrauschen und im anfänglichen Shanty-Style hisst, bis sich die E-Gitarre samt altMARILLIONschem Ruderschlag ihren Weg in den Vordergrund bahnt und uns Martin Eden & Toni Moff Mollo im Seemannssanges-Stil zum „Sail on, sail on!“ auffordern. Ein gewagter, seltsamer und daher zugleich bemerkenswert mutiger Longtrack, der das Album mit der fliegenden Robbe und den federleichten Prog-Melodien abschließt und uns erneut zeigt, dass CHANDELIER nach all den Jahren keinen Rost oder Staub bzw. Algen angesetzt haben, sondern nach wie vor mit ihrer Musik überzeugend eine tiefe Verbeugung vor dem Neo-Prog der 80er-Jahre, der durch solche Bands wie IQ und MARILLION geprägt wurde, absolvieren.
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FAZIT: Auch nach 26 Jahren Wartezeit auf ein neues Studio-Album-Lebenszeichen bleiben sich CHANDELIER treu und lassen nach einer fetten Hummel einfach mal eine stämmige Robbe durch die Welten neo- und retro-progressiven Schönklangs samt anspruchsvoller Texte fliegen. Mit „We Can Fly“ hebt die Band beeindruckend ab und nimmt ihre Hörer gekonnt dabei mit auf die Reise durch ihr eigenes Universum, das Anfang der 1990er-Jahre mit „Pure“ begann und alle progressiven Traditionen aufrecht erhaltend hoffentlich nach einem so guten Album wie „We Can Fly“ nicht zu schnell wieder endet.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.01.2024
Christoph Tiber
Martin Eden, Toni Moff Mollo
Udo Lang
Armin Riemer
Herry Rubarth
Rüdiger Blömer (Streicher)
Eigenproduktion
51:17
20.10.2023