Zurück

Reviews

Die Maßnahme: Sommer Kaputt

Stil: Punk, Garage- und experimenteller Deutsch-Rock

Cover: Die Maßnahme: Sommer Kaputt

Was bitte ist das für eine bescheuerte Idee, sich 'Die Maßnahme' zu nennen, um sich dann in Großbuchstaben auf dem Platten-Cover DIE MASSNAHME nennen zu müssen?
Das ist ernsthaft ziemliche 'Scheiße' bzw. SCHEISSE...

Gut, eine Review so zu beginnen, ist nicht die feine englische Art, aber zum Glück kommt DIE MASSNAHME ja aus Deutschland und klingt bei weitem spannender, verrückter, explosiver und extremer als ihr seltsam anmutender Bandname, auch wenn der Album-Titel „Sommer Kaputt“ schon wieder im Vorfeld ein eigenartiges Stirnrunzeln hinterlässt. Kaputte Sommer sind in etwa so sinnvoll wie frühlingshafter Schrott.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/iaeq149Tqog?si=eGM0raRUsdxYXkb0" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

DIE MASSNAHME machen einen durchaus nachdenklich und ein bisschen wütend. Doch da scheint, spätestens wenn man das Album komplett gehört hat, tatsächlich Absicht hinter zu stecken. Denn dieses weibliche Trio scheint wütend zu sein und haut einem rohen Garagen-Sound, gezielt eingesetzte Stimmeffekte wie Autotune und Genderpitch, sowie eigenartige Keyboard-Experimente mal vokal flüsternd oder auch schrecklich schreiend um die Ohren, so als würden sie mit Noten und DaDa-Texten ein expressionistisches Musik-Bild malen, was ja bekanntlich seine Schönheit oder Ablehnung immer über die Augen des Betrachters – und im Falle von „Sommer Kaputt“ über die Ohren des Hörers entfaltet, der sogar damit leben muss, dass die netten wie wütenden Musikerinnen lautstark eine „Alien Invasion“ heraufbeschwören.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/revYKRf1khU?si=9wyAfns8QLukv9iK" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

Das so naiv anmutende Cover täuscht hierbei genau über das hinweg, was einen musikalisch hinter diesem zarten Bildchen erwartet. Denn hier tritt nicht etwa eine froh gestimmte Damen-Reiter-Gruppe zum Ausflug an, sondern eher die Apokalyptischen Reiterinnen, die musikalisch und textlich auf einen eindreschen und wenn man am Boden liegt, darüber hinweg-galoppieren.
Der aus der DDR stammende Kritiker fühlt sich jedenfalls bei DIE MASSNAHME sofort an die Jahre des DDR-Untergangs erinnert, als plötzlich in der Musik 'die anderen bands', wie DER EXPANDER DES FORTSCHRITTS, HERBST IN PEKING, AG GEIGE, DIE SKEPTIKER oder FEELING B auftauchten, die mit brachialen Rhythmen, experimentellen Sounds und punkiger Härte sowie für die damalige Zeit unglaublich provokante (oft seltsam verklausulierte) Texte, das Land auf ihre Art aufmischten – und damit ernsthaft Erfolg hatten.
Sie waren auf jeden Fall einer der musikalischen Sargnägel der DDR.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/6qKjYPBh_Kg?si=PmVx_crqsmTSNG2p" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

Selbst – um auch den weniger osterfahrenen 'Wessi' glücklich zu machen – DAF (Deutsch-Amerikanische-Freundschaft) kommen einem sofort in den Sinn, als die ihren Mussolini tanzten. Auf ganz ähnliche Art tanzt bzw. läuft DIE MASSNAHME mit „Caroline“ durch „dunkle Ruinen im Nebel“, wobei sie angeblich „keine Angst“ haben, sich allerdings trotzdem in eine Ekstase des Entsetzens steigern. Wer auf dieser Art ein Album beginnt, der hat viel zu sagen und schreien, auch wenn danach das „Kaugummigirl“ zartgestimmt sein ganzes Glück als 'Denglisch-Variante' (eine seltsame Kombination aus deutschen und englischen Text-Zeilen) heraussingt, weil alles so schön grün ist.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/1ht3hGa6Jmw?si=Cd2zi5nxhDckdfE3" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

Mitunter aber übertreiben DIE MASSNAHME mit ihren punkigen Experimenten und zerren mit ihrem schrägen Geschrei und den auf die Dauer doch viel zu naiv wirkenden Textwiederholungen an den Hörer-Nerven, der aufgeschlossen nach dem Sinn hinter Musik und Text sucht, ihn aber nicht wirklich immer findet. Und dass gerade der dem Album seinen Titel verleihende Song einer der schlimmsten auf dem Album ist, spricht nicht gerade für diese LP, in der man zudem auch ein Textblatt findet. Gut, dass man diese lyrischen Seltsamkeiten noch einmal nachlesen kann. Doch auch danach ergeben sie oft nicht wirklich einen Sinn: „Ich bin ein Stein / Ich sinke / Ich bin ein Teich / Ich schmelze / Ich bin ein Sumpf / Ich tropfe...“ („Sumpf“)
...und ich bin ein Kritiker, ich verschwinde.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/nPxDgZUXsnM?si=DWgPupcX21xcZBrJ" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>

FAZIT: Die Hamburger Rockband 'Die Maßnahme', die sich auf ihrer ersten LP „Sommer Kaputt“ DIE MASSNAHME schreiben, gründete sich zu Silvester 2019/20 und erscheint auf ihrem Debüt-Album ähnlich kaputt, seltsam verspielt, aber auch aggressiv oder dadaistisch unterwandert, wie man es wohl zu Silvester wahrnimmt, nachdem man sich reichlich das alte Jahr schön- und das neue hoffnungsvoll noch schöner getrunken hat, obwohl man nicht weiß, welche Maßnahmen und Veränderungen da noch auf einen zukommen. Egal, ob das nun kaputte Sommer oder angepisste Winter sind – schräg muss es sein, dann wird’s schon irgendwie gut, aber nie gerade. Die drei Musikerinnen stehen den musikalischen Herren ihrer Schöpfung jedenfalls in nichts nach, wenn es darum geht, den richtigen Garagen-Sound, den boshaftesten Punk-Ausbruch oder die schrägsten tonalen Experimente herauszuhauen. Das kann durchaus nerven, aber auch faszinieren. Und so setzt sich DIE MASSNAHME ganz ähnlich zwischen alle musikalischen wie lyrischen Stühle wie dies zu den finsteren DDR-Jahren noch 'die anderen bands' taten und damit kurz vor Mauerfall noch ein echter Lichtblick in den düster-diktatorischen Zeiten waren, indem die Provokation den Gehorsam, die wilde Kakophonie den angepassten Schönklang vertrieb. Etwas, das in Ampel-Zeiten wieder mehr als hilfreich, gar notwendig, erscheint.

Punkte: 10/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.09.2024

Tracklist

  1. <b>Seite A</b> (16:14):
  2. Caroline (4:09)
  3. Kaugummigirl (4:34)
  4. Alien Invasion (2:38)
  5. Tiny Little Angels (4:53)
  6. <b>Seite B</b> (18:39):
  7. Your Punishment (4:40)
  8. Sick Of You (2:43)
  9. Sumpf (3:26)
  10. Sommer Kaputt (4:00)
  11. Messages Of Love (3:50)

Besetzung

  • Bass

    Signe Raunkjær Holm

  • Gesang

    Signe Raunkjær Holm, Philomena Lauprecht, Toni Montgomery

  • Gitarre

    Philomena Lauprecht

  • Keys

    Signe Raunkjær Holm

  • Schlagzeug

    Toni Montgomery

Sonstiges

  • Label

    Misitunes

  • Spieldauer

    34:53

  • Erscheinungsdatum

    13.09.2024

© Musikreviews.de