<b>„'Don't Let The Gray Hair Fool You' ist auch ein Rückblick auf all' die guten und schlechten Zeiten, geplatzten Träume und großen Erfolge, die EPITAPH zu dem gemacht haben, was sie heute sind: Eine erstklassige Classic-Rock-Band! Still standing strong, alive and kicking after 55 years!“</b> (Zu entdecken im Booklet des ergrauten wie modernen '2024er-Geburtstagsalbums' von EPITAPH)
Schon für das Albumcover mit dem alten grauen Hund, der verunsichert vor der grellen Graffiti-Wand samt einer darin eingelassenen Tür sitzt und sich offensichtlich zu fragen scheint, wie er da reinkommt (oder ob er bei so viel Knallbuntem da überhaupt rein will), muss man EPITAPH und ihr aktuelles Album, das noch dazu den ironisch wie altersweisen Titel „Don't Let The Gray Hair Fool You“ trägt, einfach lieben und beglückwünschen.
Was sollte es eigentlich für einen besseren Titel als diesen grauhaarig-närrischen geben, wenn man es als deutsche Kraut-/Classic-/Hardrock-Band geschafft hat, anno 2024 sein nunmehr 55-jähriges Bestehen zu feiern?
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Zwar kommt es bei solchem Jubiläum ganz speziell auf die Musik an – doch die ist all den grauen Haaren und den legendären Erinnerungen aller Ehre wert.
EPITAPH sind – ob mit oder ohne graue Haare – so lebendig wie noch in ihren frühen, haarwallenden Siebziger-Grüne-Hüpfer-Zeiten und beweisen mit diesem nagelneuen, fast 70 Minuten langen Studio-Album wie hochleistungsfähig ihr Musikmotor, der immer wieder intensiv von den beiden Gitarristen Glass & Jackson geschmiert wird, noch läuft und wie weit der flotte Vierer davon entfernt ist, sich auch nur eine Sekunde lang zum Narren zu machen – oder altersweise (fast philosophisch) über die grauen Haare nachzudenken, wie es eine Band wie PUR bereits hitlauthals beim ersten entdeckten grauen Haar tat und gleich einen ganzen Song daraus machte, der durch solche Zeile wie: „Ich seh' ein graues Haar / Wieder geht ein Jahr“ bestach.
Zum Glück singen EPITAPH mit und durch ihren Cliff Jackson, ein in Sheffield geborenes britisches Urgestein, nur Englisch und auch fabriziert er als Stammtexter der Band nicht solch lyrisches Kauderwelsch, sondern setzt eher auf so direkte, klare Worte wie: „One truth, no lies / No one blind our eyes...“ („One Heart“)
Auf „Don't Let The Gray Hair Fool You“, das gleich mit dem stadionrocktauglichen „One Heart“ durchstartet, geht es jedenfalls nicht um körperliche Gebrechen, die man vielleicht mit dieser Haarfarbe in Verbindung bringt, sondern um das genaue Gegenteil: Nämlich was man als Musiker mit oder ohne graue Haare (oder gleich Glatze wie der EPITAPH-'Jungspund' Carsten Steinkämper) zu leisten in der Lage ist. Und so spielen EPITAPH auf ihrem aktuellen Album geschickt alle Zeiten und musikalischen Ideen ihrer Karrierelaufbahn durch, die sie schon seit nunmehr 55 Jahren ausmachen. Oder um es mit den Worten von EPITAPH im sechsseitigen Booklet auszudrücken: „'Don't Let The Gray Hair Fool You' ist der vorläufige Höhepunkt unserer sehr langen, unglaublich ereignisreichen und manchmal auch abenteuerlichen Reise durch fünf Jahrzehnte Rockgeschichte.“
Ach ja – und während momentan alle über DEEP PURPLE und ihr aktuelles Album sprechen und sich dabei mitunter den einen um den anderen Wunderbeutel umhängen, auch wenn der Gesang (im Gegensatz zur Retro-Instrumentalarbeit) von Ian Gillan darauf eigentlich nur noch mittelmäßig klingt, sollte man unbedingt mal als Gegenstück dieses nur eine Woche später erschienene EPITAPH-Album zum Vergleich heranziehen, da es ebenso ausgiebig die Classic- und Hardrockschiene bedient und gesanglich altbewährt und nicht enttäuschend klingt. Eine schlechtere Figur macht „Don't Let The Gray Hair Fool You“ wirklich nicht, wofür bereits der knackige Titeltrack steht oder die sich ganz dem 70er-Jahre-Hardrock zuwendenden „Black Cat Bones“ und „Highway Of Fear“.
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Demgegenüber überraschen „The First Day“ und „Riding Round In Circles“ mit Blasinstrumenten wie Altsaxophon und Querflöte. Ungewohnt, doch eine großartige Erweiterung des Soundbildes. Weiter so!
Mit „Wild Blue Yonder“ fehlt auch eine bluesige Ballade nicht, die mit fein souligen Hintergrundgesang und einem bestechenden Blues-Gitarrenspiel aufwartet, bei dem man glaubt, ein GARY MOORE wäre wiederauferstanden.
Ihr Meisterstück aber gelingt dem grauhaarigen wie glatzköpfigen Quartett allerdings mit dem längsten Stück des Albums, das einem über sieben Minuten den Blick in eine Zukunft öffnet, in der sich URIAH HEEP oder UFO ebenfalls ein melodisch hardrockendes Eckchen reserviert haben. „Look To The Future“ klingt wie der nie ausgeträumte Traum nach den Zeiten, in denen die Musik beispielsweise als Space-Rock noch Raum und Zeit, aber nicht Stream-Klickzahlen, eroberte, während gleich darauf mit „Riding Round In Circles“ die Zeitmaschine in Form einer Hommage an die frühen Siebziger weit zurück in die krautigen Anfänge saust und nach den EPITAPH-Ursprüngen klingt.
Eine gelungene Gegenüberstellung von Vergangenheit und Zukunft, wobei nunmehr „Don't Let The Gray Hair Fool You“ zur überzeugenden EPITAPH-Gegenwart geworden ist.
FAZIT: Mit ihrem 12. Studio-Album, das EPITAPH sich und ihren Anhängern im Rahmen des 55. Band-Geburtstags spendieren und mit einem selbstironischen 'Alter, liebevoller Hund'-Cover sowie dem Titel „Don't Let The Gray Hair Fool You“ versehen, zeigen die Jungs, was sie auch nach so vielen Jahren noch in puncto Hard- und Classic-Rock draufhaben. Die Band beschreibt die musikalische wie textliche Absicht in ihrem Booklet selber am treffendsten: „'Don't Let The Gray Hair Fool You' ist ein sehr persönliches Album geworden, das einer musikalischen Zeitreise in all ihren Facetten ähnelt. Von den Anfängen anno 1969 in den dunklen, kalten Kellern des 'Fantasio' in Dortmund bis hin über unsere Zeit in Amerika sowie ausgedehnten Tourneen durch viele Länder bis ins Heute.“ Wen wundert's da, dass der längste Song des Albums „Look To The Future“ heißt. Die Reise geht offensichtlich weiter – und nach diesem Album braucht einem um EPITAPH wirklich nicht bange zu sein.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.08.2024
Bernd Kolbe
Cliff Jackson, Bernd Kolbe
Heinz Glass, Cliff Jackson
Roger Wahlmann
Carsten Steinkämper
Richard Wester (Altsaxophon, Flöte), Heinz Glass, Carsten Steinkämper, Harvey Ranwig, Claudia Herzog (Hintergrundgesang)
M2 Music/In-Akustik
68:44
27.07.2024