Alleinmusiker Stefan Johannes nimmt sich unter dem Banner GEGENENTWURF der künstlerischen Aufarbeitung des Themas Autismus an. Das Ventil dafür ist experimentell-unterkühlter Black Metal, der durch seine unberechenbare Stimmung das, nicht immer geradlinige, Empfinden eines Menschen per se vertont.
Denn auch wenn sich die Texte explizit auf das Empfinden eines Autisten beziehen, so weit weg von den potenziellen Gefühlen und Gedanken eines 'normalen' Menschen sind die Texte nicht. Denn Reizüberflutung („Grelles Flackern“), Hilflosigkeit („Kollaps“), oder die eigene Nichtentsprechung einer etwaigen Norm („Von der Bedeutungslosigkeit der Norm“) lassen sich, gerade in Anbetracht des aktuellen Zeitgeistes, auch auf den allgemeinen Alltag übertragen.
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Mit diesen Themen hat Stefan Johannes zwar sicher auch das eigene Leben aufgearbeitet, aber (vielleicht auch unabsichtlich) sowas wie ein aufrüttelndes Plädoyer für das Leben als solches geschaffen. Denn so absurd sich manche Gedankengänge eines Autisten für den 'Normalo' anhören mögen, so absurd wirkt die 'Kollektiv-Psychose', durch welche die Menschheit in den letzten Jahren gegangen ist bzw. immer noch geht.
Dabei werfen Projekte wie GEGENENTWURF immer wieder die Frage auf, was denn eine Norm ist, bzw. inwieweit es gesund oder einer lebensförderlichen Entwicklung zuträglich ist, ihr zu entsprechen. Diese Aspekte lassen sich auch auf die musikalische Ebene von „Tosendes Weiß“ übertragen. Die Songs brodeln sehr rau, mitunter unangenehm drückend und werden ihren Titeln gerecht. Bestes Beispiel: „Grelles Flackern“, ein gut achtminütiges Zeugnis emotionaler Kälte, Dissonanz und schmerzhafter Entrücktheit.
In Anbetracht seiner Thematik passt auch die unterkühlte Atmosphäre und der scheppernde Lo-Fi-Charakter von „Tosendes Weiß“ sehr gut. So erzeugt die Musik ein beständiges Unwohlsein, wirkt beinahe zwanghaft und bringt eine Menge Potenzial für klangliche wie auch emotionale Überforderung mit, sodass sich Musik und Text bestens ergänzen.
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FAZIT: „Tosendes Weiß“ ist sicher kein Easy-Listening, das soll und will es auch gar nicht sein. Denn die ständige Überforderung mit dem Alltag, dem Leben als solches, ist auch kein Zuckerschlecken. Insofern gelingt GEGENENTWURF der eigene Anspruch einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Autismus sehr authentisch. Auch eine gewisse Ästhetik schält sich nach und nach aus dem Gehörten heraus, wenngleich eine intensive Auseinandersetzung mit dem Material von Vorteil ist.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.03.2024
Stefan Johannes
Stefan Johannes
Stefan Johannes
Stefan Johannes
Stefan Johannes (Theremin)
Eigenproduktion
54:58
01.12.2023