<b>„Es war und wird immer meine Vorliebe sein, in einer kollaborativen, kreativen Einheit zu sein. Ich musste einfach herausfinden, wie ich das erreichen kann.“</b> (Ned Russin)
Bleiben wir einfach getreu des Albumtitels mal rational und begründen, warum „Rationale“ von GLITTERER ein gelungenes Musik-Kleinod voller Indie- und Punk-Rock, der sich gerne mal in Hardcore-Wahnsinn verflüchtigt, geworden ist. Und wie so oft ist mal wieder die erzwungene Isolation während der Covid19-Pandemie daran Schuld, die eben viele Musiker durch den Konzertverzicht dazu zwang, echt in sich zu gehen und darüber nachzugrübeln, wie es weitergehen sollte. Die einen entschieden sich für's Aufgeben, die anderen aber – so wie der singende, textende und komponierende (sowie seit „Horizontal Rust“ auch als Autor agierende) Bassist hinter GLITTERER, Ned Russin – für's Weitermachen unter anderen Bedingungen. Er machte sich eben nicht unsichtbar, wie er es gleich im Album-Opener seines aktuellen Albums besingt.
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Und genau das tut der Musik auf dem viel zu kurz geratenen Album hinter „Rationale“ gut, auch wenn's (schon der Laufzeit wegen) noch nicht zur wahren Offenbarung, aber immerhin einem interessanten Richtungswechsel kommt: „Ich hatte verschiedene Ideen, wie ich GLITTERER erweitern könnte. Aber nachdem ich ein Jahr lang allein Songs über Einsamkeit verfasst hatte, entschied ich, dass eine zusammenhängende Band der einzige Weg ist.“
So jedenfalls sollte es nicht bei dem „Same Oridnary“ bleiben, sondern vieles anders und extraordinär werden.
Mission ansatzweise geglückt, selbst wenn die wilden Wechsel innerhalb der extrem kurzen Songs zwischen 58 Sekunden und grundsätzlich unter 3 Minuten manchmal nur als ein seltsames Stückwerk daherkommen, auf die man sich gerade beim Hören eingestellt hat, und dem darauffolgenden flotten Richtungswechsel kaum noch folgen kann (oder will).
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Seiner Entscheidung folgend, holte sich Russin dann einen Gitarristen, einen Schlagzeuger und eine Keyboarderin in sein glitzernde Musik-Universum voller Einsamkeit, aber auch nach aufgestauter Wut klingendes Universum, um so „Rationale“ auf's Fan-Volk loszulassen und dabei gleich die im letzten Song des Albums besungenen Halbwahrheiten in der musikalischen Realität ankommen zu lassen: „Everybody lives to tell a lie / I say good morning when I mean goodnight“.
Allerdings grenzt eine Gesamtlaufzeit von 21:26 für das gesamte Album schon an echte Frechheit – aber irgendwie passt selbst das zur GLITTERER-Minimalismus-Realität...
Plastisch ist's auf jeden Fall, selbst wenn sich das in einem Song wie „Plastic“ ganz anders ausdrückt.
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GLITTERER nehmen sich eigentlich nicht ganz so ernst, aber das zu 100 Prozent – und darum setzen sie auf die knackigeren Indie-Alternativ-Rock-Rhythmen, denen sie hardcorige Bohrlöcher immer dann verpassen, wenn man es gerade nicht erwartet. Einlullen in behäbiger Eintönigkeit zählt nicht – so wie Wahrheit und Lüge auch nie voneinander zu trennen ist, wenn's einem der Erzähler gut verpackt. Nur dass es uns in diesem Falle vier Musiker gut verpacken und man nie weiß, woran man ist, wenn beispielsweise die Aussage hinter einem Song mit dem Titel „Big Winner“ genau das Gegenteil eines Erfolgsmannes wiedergibt: „Try to minimize the pain / Try to live life unafraid“.
Aber es ist eben doch „Just A Place“, in dem sich GLITTERER selbst in ruhigeren, fast hymnischen Momenten getrost einrichten, ohne dabei so familiär zu werden, wie sie es zwar in dem Song besingen, aber garantiert nicht in den Familien-Konsens einer Normalo-Familie schaffen, wenn die darüber nachdenken, welche Musik zum gemeinsamen Familientreffen aufgelegt werden soll.
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Übrigens werden im Promo-Schreiben Russins Texte als von 'dialektischen Grübeleien durchtränkt' bezeichnet.
Das passt bestens – und ähnlich dialektisch sowie mitunter verzerrt ist auch die Musik hinter den Texten, welche auch in puncto Sound gehörig in Richtung punkigen Garagen-Klang davonschrammeln kann.
Alles Absicht – definitiv! Und selbst dass sich Russin bei seinen musikalischen Vorbildern durchaus bei GUIDED BY VOICES wiederfindet, ist ebenso unüberhörbar.
In diesem Sinne: Hört auf die Stimmen von GLITTERER, auch wenn die im Falle von „Rationale“ viel zu schnell verklingen.
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FAZIT: Schwarzhumorige Texte auf weißem Vinyl – das passt doch bestens. Zumindest aus der Sicht von GLITTERER, die mit „Rationale“ ein ziemlich irrationales Album präsentieren, das sich neben den bereits besagten extrem einfallsreichen Texten auch in ihrer Musik nichts vormachen lassen und vom Indie Rock über Punk bis hin zum Hardcore zielstrebig auf die besungenen Desaster des unerträglichen Hier und Heute eingehen. Und als wäre das nicht schon auch für jeden Hörer an Herausforderung genug, wird er sich, sowie das westenweiße Vinyl auf seinem Plattenteller rotiert, verwundert fragen, warum der Sound so schleppend klingt, bis er feststellt, dass GLITTERER gehörig auf Tempo setzen und sich nicht etwa mit 33 sondern nur 45 Umdrehungen zufriedengeben.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.05.2024
Ned Russin
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ANTI- Records
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23.03.2024