Zurück

Reviews

Grace Cummings: Ramona

Stil: Singer/Songwriter, Cosmic American Music, Laurel Canyon Sound, Blues, Chamber-Pop, Country, Soul

Cover: Grace Cummings: Ramona

Für ihr erstes Album „Refuge Cove“ musste die australische Songwriterin GRACE CUMMINGS 2019 noch ein paar selbst eingespielte Folk-Songs zusammenkratzen, als sich ihr die Möglichkeit bot, eine LP zu veröffentlichen. Das zweite Album „Storm Queen“ von 2022 konnte sie dann bereits mit Label-Unterstützung herausbringen, aber immer noch nicht die von ihr angestrebte musikalischen Visionen eines großen orchestralen Sounddesigns produktionstechnisch realisieren. Für ihr nun vorliegendes drittes Album „Ramona“ erfüllte sich Gracie – wie sie sich selbst gerne ansprechen lässt – ihren lang gehegten Wunsch und arbeitete erstmals mit dem renommierten Produzenten JONATHAN WILSON zusammen. Für die Aufnahmen reiste sie sogar in die USA, um in dessen Fivestar Studio im Topanga Canyon ihre Vision eines cineastischen Big-Music-Sounds realisieren zu können.

<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/xjop3Iia1I4?si=I66a1KneXAq91-OE" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center>

Auf dem Album „Ramona“ präsentiert sich GRACE CUMMINGS nun als Frau mit vielen Gesichtern und schlüpft als Geschichtenerzählerin in viele verschiedene Rollen. Gleich in dem Opener „Something Going Round“ präsentiert sie sich etwa als philosophischer Konfuzius. In „On and On“ spielt sie die Rolle einer Mutter (die sie noch nicht ist) im Gespräch mit ihrem Sohn. In „I'm Getting Married To The War“ heiratet sie als Kriegsbraut symbolisch den Krieg, wohingegen sie im folgenden „Love And The Canyon“ mit dem Gedanken flirtet, sich einen reichen Hollywood-Magnaten zu suchen. Am weitesten lehnt sie sich in „Common Man“ als Cowboy aus dem Rollenspiel-Fenster – und dann ist da ja auch noch die Titelheldin „Ramona“, die sie in dem Titeltrack als Projektionsfläche anstrebt. Auf die Frage, wie viele Versionen ihrer selbst denn eigentlich in der Person GRACE CUMMINGS versammelt sind, antwortet sie, dass sie das selber noch nicht abschließend geklärt habe, aber willens sei, dieses Thema durchaus noch weiter zu vertiefen.

Die besagte „Ramona“ ist dabei übrigens keine ihrer Erfindungen, sondern eine der unzähligen komplexen Frauenfiguren, denen BOB DYLAN in seinen Songs literarische Denkmäler setzte. In dem Song „To Ramona“ von 1964 schildert Dylan eine Person, die ihrerseits mindestens so vielschichtig, komplex und kompliziert erscheint, wie GRACE CUMMINGS in den verschiedenen Rollen, die sie zuvor porträtierte. Wenn sie also in dem Titeltrack mit manischer Intensität mantraartig skandiert: „It's Time To Be Ramona, It's Time To Be Ramona“, dann nicht deswegen, weil sie diese Ramona als Ideal anstrebt, sondern weil die Figur für sie die (wie sie sagt) „schwierigen Dinge beziehungsweise Dinge, die im Leben eben schwierig sind und auch solche, die größer als das Leben sind“, bequem für sie zusammenfasse. Kein Wunder also, dass GRACE CUMMINGS mit dem bloßen Ansatz als Folk-Sängerin keine Möglichkeit mehr sah, ihre großen konzeptionellen Ideen zu Selbstfindung, Empowerment und autotherapeutischen Bemühungen adäquat musikalisch umsetzen zu können.

Mit seinen Arbeiten als Produzent für etwa FATHER JOHN MISTY, CONOR OBERST, ERIN RAE oder MARGO PRICE – um wirklich nur einige zu nennen – betreibt der Songwriter und Produzent JONATHAN WILSON mit seiner zeitgemäßen Revitalisierung des Laurel-Canyon-Sounds und dem, was GRAM PARSONS 'Cosmic American Music' nannte, sozusagen seit Jahren Grundlagenforschung in Sachen orchestraler Produktionstechniken. Es waren genau diese Aspekte, welche GRACE CUMMINGS begeisterten, als sie sich die von Wilson produzierte Scheibe „Big Time“ von ANGEL OLSEN hörte, da sie schon lange auf der Suche nach jemandem war, der ihre Vorstellungen eines organischen, monumental/orchestralen Sounddesigns auf elegante Weise implementieren könnte. Also nahm sie ihren Mut zusammen und kontaktierte Wilson, der sich sofort für eine Zusammenarbeit mit ihr begeistern konnte.

<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/GxkMRNPLr_g?si=TzVWIzdojB4lnMtB" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center>

In Wilsons Studio entstanden dann in enger Zusammenarbeit zwischen GRACE CUMMINGS, JONATHAN WILSON (der auch die meisten Instrumente – inklusive Drums – einspielte) und Arrangeur/Multiinstrumentalist DREW ERKISON eine dicht gewebte, aber dennoch transparente Klangpalette aus organischen, teils orchestralen, teils psychedelisch aufgebohrten, teils dramatisch, teils poppig inszenierten Elementen, die GRACE CUMMINGS als Vokalistin zwar vor neue Herausforderungen stellte, welche sie mit Bravour und einer unglaublich emotionalen Intensität bewältigte und zu Höchstleistungen motivierte, die sie etwa im Titeltrack, aber auch in Songs wie „Something Going Round“ oder „Everybody's Somebody“ gesanglich an die Grenzen des emotional Machbaren führt.

<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/FeEYoamJhoQ?si=ux8xOOLXePZLb3Pp" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center>

Stilistisch zwingt JONATHAN WILSON den ungewöhnlich strukturierten und sich für gewöhnlich vom sachten Windhauch zum orgiastischen Sturm aufbäumenden Songs keinen bestimmten Sound auf, sondern nutzt die Charakteristika verschiedener Genres – wie Blues, Chamber-Pop, Country, Soul, Torchsong und Gospel – um jedem Song eigentlich ein eigenes musikalisches Mäntelchen anzuziehen und vor allen Dingen GRACE CUMMINGS als teils gar archaisch agierende Vokalistin gut aussehen zu lassen. Was die Songs dann musikalisch verbindet, ist eine gewisse Unerbittlichkeit und Konsequenz, die stets zu einem furiosen Finale führt. In diesem Sinne ist dann nicht nur die Figur der Ramona, sondern auch die Musik „größer als das Leben“ ausgefallen.

FAZIT: Groß und raumgreifend wie von GRACE CUMMINGS gewünscht, plüschig, mystisch und orchestral mag das Album „Ramona“ mit all seinen Chören, Streichern, Bläsern und flächigen Soundscapes am Ende dann zwar schon sein – aber es ist auch nie erdrückend und bombastisch. Obwohl GRACE CUMMINGS die Songs völlig alleine schrieb, hat Produzent und Multiinstrumentalist JONATHAN WILSON einen großen Anteil am Gesamtergebnis und half so dabei, dass sich GRACE CUMMINGS als Künstlerin und Vokalistin erstmals eigenständig und selbst verwirklichen konnte.

Punkte: 14/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.04.2024

Tracklist

  1. Something Going Round
  2. On And On
  3. I'm Getting Married To The War
  4. Love And The Canyon
  5. Work Today (And Tomorrow)
  6. Everybody's Somebody
  7. Common Man
  8. Without You
  9. Ramona
  10. A Precious Thing
  11. Help Is On It's Way

Besetzung

  • Bass

    Drew Erickson

  • Gesang

    Grace Cummings

  • Gitarre

    Jonathan Wilson, Grace Cummings

  • Keys

    Grace Cummings

  • Schlagzeug

    Jonathan Wilson

  • Sonstiges

    Mary Lattimore (Harfe)

Sonstiges

  • Label

    ATO Records

  • Spieldauer

    44:48

  • Erscheinungsdatum

    05.04.2024

© Musikreviews.de