<b>„Kurz nachdem sich COLOSSEUM aufgelöst hatte, wollte ich unbedingt eine deutlich Keyboard-orientiertere Band gründen, da ich noch jede Menge Ideen aus der COLOSSEUM-Periode im Kopf hatte. Allerdings wurde mir klar, dass der beste Weg hierfür ist, einen zweiten Keyboarder mit einzubinden, denn die Verwirklichung meiner Ideen waren mit nur zwei Händen einfach nicht möglich.“</b> (Dave Greenslade im Booklet von „Live At BBC“)
Es war für viele Fans der 1968 gegründeten progressiven englischen Jazz-Rock-Band COLOSSEUM (<a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2021/The-Graham-Bond-Organization/Wade-In-The-Water--Classics-Origins--Oddities/" target="_blank" rel="nofollow">hervorgegangen aus der GRAHAM BOND ORGANIZATION</a>), die gerade <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2021/Colosseum/Live-71--2020-Vinyl-Remaster-auf-3-LPs/" target="_blank" rel="nofollow">mit „Live“ eins der beste Live-Alben aller Zeiten</a>, das verschieden Live-Mitschnitte des Jahres 1971 enthielt, präsentiert bekommen hatten, eine erschreckende Nachricht, dass sich kurz darauf nach nur drei Jahren sowie vier Studio- und einem Live-Album diese Hoffnungsträger der Prog-Jazz-Rock-Szene, die sich besonders durch ihre suitenartigen Kompositionen – in denen sie Jazz, Rock, Blues, Klassik und wildes Gebläse sowie <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2017/Chris-Farlowe/Live-At-The-BBC--The-Complete-BBC-Recordings-1965-69/" target="_blank" rel="nofollow">den charismatischen Sänger Chris Farlowe</a> innovativ miteinander fusionierten – höchste Anerkennung erobert hatten, schon wieder 1971 auflösten.
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Nur dass diese Auflösung auch etwas Gutes hatte, beweisen GREENSLADE, die sich unter Federführung des namensgebenden COLOSSEUM-Keyboarders Dave Greenslade sowie COLOSSEUM-Bassisten Tony Reeves schon ein Jahr darauf gründeten und sich nunmehr auf eine progressive, stark durch die Keyboards dominierte Fusion aus Prog-Folk und -Rock mit breit angelegten akustischen wie elektrischen Instrumental-Passagen, welche deutlich symphonischen Charakter hatten und RENAISSANCE- sowie GENESIS-Tendenzen und im Falle von „Sundance“ ganz offensichtlichem ELP-Charakter besaßen, auszeichneten.
Das alles ist nun komplett auf dieser großartigen „At The BBC“-Doppel-CD im Jewelcase (eingeschoben in einen Papp-Schuber) samt 24 Seiten starkem Booklet von Repertoire nachzuhören.
Was sofort auffällt, ist der hervorragende (komplett remasterte) Klang der Aufnahmen, mit einem Sound, dass man glaubt, man befände sich in einem spitzenmäßig ausgestatteten Studio voller modernster Technik. Kristallklare Höhen, fette Bässe, grandiose Mitten und Stereo-Qualität allererster Güteklasse. Da schaut man schon zweimal auf dem CD-Cover oder im schön gestalteten, reich bebilderten und hochinformativen 24-seitigen Booklet (Linernotes von Chris Welch in Kombination mit einem Dave-Greenslade-Interview) nach, ob die Aufnahmen tatsächlich in den Jahren 1973 und 1974 entstanden.
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Wunderbar sind diesbezüglich neben der grandiosen Musik, die das Herz eines jeden Prog-Rockers garantiert höherschlagen lässt (selbst wenn die Band auf keinen Gitarristen, stattdessen aber zwei Keyboarder zurückgreift – ganz genauso wie die STERN-COMBO MEISSEN dies in den frühen Siebzigern in der DDR tat), auch die kleinen Anekdoten, die Dave Greenslade in dem im Booklet abgedruckten Interview erzählt, wenn er sich beispielsweise daran erinnert, dass er, als er die vielen GREENSLADE-Keyboards auf der BBC-Bühne im Vorfeld überprüfen und zur Probe anspielen wollte, von einem Bühnenarbeiter aufgefordert wurde, das zu unterlassen, und mit den Worten: „Entschuldigen Sie, aber Sie haben hier nichts zu suchen!“, von der Bühne komplimentiert wurde.
In den knapp 125 Minuten kommen einem reichhaltig die Stücke der ersten drei GREENSLADE-Alben zu Gehör – also „Greenslade“ (1973), „Bedside Manners Are Extra“ (1973) und „Spyglass Guest“ (1974). Und dass ein ROGER DEAN die ersten beiden Alben (so wie eben auch die von YES oder GENTLE GIANT sowie URIAH HEEP und viele mehr) illustrierte und für den Band-Schriftzug verantwortlich war (der ganz allein das „At The BBC“-Cover ziert), sagt dem Prog-Freund sicher schon viel auch über die hochwertige musikalische Qualität hinter solchen Covern aus!
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Leider ist bei den Aufnahmen der Gesang des zweiten Keyboarders Dave Lawson doch ein ziemlicher Schuss in den vokalen Ofen (was wohl auch daran lag, dass dessen Lunge nicht richtig arbeitete und später sogar auf dem dritten Album kollabierte – also genau während der Zeit, als die BBC-Aufnahmen entstanden), sodass man sehr froh darüber ist, dass die instrumentalen Anteile hinter GREENSLADE deutlich überwiegend und die vokalen nur marginal schmückendes, aber eben nicht gerade glänzendes Beiwerk sind.
Manchmal muss man sich wirklich ernsthaft fragen, welche Prog-Rock-Supergroup uns hier entgangen ist, da sich GREENSLADE dann 1976 wegen schweren Problemen mit dem Management auflösten (worüber Greenslade ebenfalls im Interview spricht) und damit vorerst auch deren grandiose Musik live wie im Studio verstummte.
„At The BBC“ bringt uns diese zum Glück nunmehr – dank Repertoire Records – genau 50 Jahre später wieder in bester Soundqualität zurück!
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FAZIT: Im Januar 1973 nahmen GREENSLADE, die um den Keyboarder Dave Greenslade und den Bassisten Tony Reeves von den gerade im Jahr 1971 aufgelösten COLOSSEUM hervorgegangen waren, ihre erste BBC-Session für 'Bob Harris' Sounds Of The 70s' auf, und ihr Fernsehdebüt folgte einige Wochen später in der BBC-Sendung 'The Old Grey Whistle Test', bei dem sie zwei Stücke ihres zweiten 1973er-Albums „Bedside Manners Are Extra“ aufführten. Spätere BBC-Sessions umfassten zwei Konzert-Aufnahmen im April 1973 und November 1974 – kurz darauf stieg Reeves aus der Prog-Rock-Band aus und zwei Jahr später war's das auch für GREENSLADE. Diese historischen Live-Aufnahmen von „At The BBC“ zeichnen nun die wichtigste Phase einer grandiosen Band auf dieser großartig klingenden „At The BBC“-Doppel-CD im Jewelcase (eingeschoben in einen Papp-Schuber) samt 24 Seiten starkem Booklet nach.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.10.2024
Tony Reeves
Dave Lawson
Dave Greenslade, Dave Lawson
Andrew McCulloch
Repertoire Records
124:12
14.06.2024