Wenn man seinen Lebensunterhalt als konfessioneller Singer/Songwriter bestreitet, wie das der irische Barde JAMES VINCENT MCMORROW tut, ist es ja vielleicht gar nicht so hilfreich, wenn man so von der Muse getrieben wird, dass praktisch jedes Jahr eine neue LP das Licht der Welt erblicken muss; denn irgendwann muss ja auch der philosophischste Liedermacher mal innehalten und neue Dinge erleben, über die es zu reflektieren gilt.
So etwas Ähnliches musste sich McMorrow gedacht haben, als es daran ging, den Nachfolger seines 2022er-Albums „The Less I Knew“ zu planen. Auf diesem Post-Pandemie-Werk hatte er sich – nicht nur im Titeltrack – damit beschäftigt, dass er sich den Erwartungshaltungen, die an ihn als Künstler und Musiker herangetragen wurden, nicht mehr weiter stellen wollte; wohl weil er das Gefühl hatte, dass er zu viele Kompromisse eingehen müsse.
Ergo überdachte McMorrow seinen Ansatz und verzichtete darauf, nach der letzten Tour gleich wieder ins Studio zu gehen, sondern nahm sich Zeit, seine neuen Songs gründlich zu erforschen, bevor er sie schließlich einspielte.
„Für mich geht es auf dem Album darum, Befreiung vom Kreislauf des Lebensdrucks zu finden“, sagt er selbst zur neuen Songsammlung. Um herauszufinden, wie er diese Botschaft in geeigneter Weise musikalisch vermitteln könne, kam er auf die Idee, die frisch geschriebenen Songs an zwei Abenden in der National Concert Hall in Dublin live vor Publikum aufzuführen – diesen Prozess aber nicht zu dokumentieren; denn ein Teil des Konzeptes des neuen Albums beinhaltet eine gewisse Technologie-Skepsis. Der Haupt-Grund für diesen ungewöhnlichen Prozess war aber, die Songs gemeinsam mit dem Publikum zu entdecken und zu erleben – um so, bei den darauffolgenden Aufnahmen, diese Erfahrung in die Produktion einfließen zu lassen.
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Der Tenor des Albums manifestiert sich dann am deutlichsten in dem zuvor als Single ausgekoppelten Track „Never Gone“, in dem sich McMorrow damit beschäftigt, dass es im Leben nicht alleine darum gehen sollte, gegen die Bedeutungslosigkeit anzukämpfen – wie er das bis dahin stets getan hatte – und der schließlich in der Sinnfrage des Lebens gipfelt: „Cuz what the fuck are any of us really doing here? Do we even exist at all?“.
Dass MCMORROW als Ire dafür deftige Worte findet, ist nicht wirklich überraschend, dass er so seinen bisherigen Lebensentwurf in Frage stellt, indes schon eher.
Die Zweifel, die ihn diesbezüglich auf den eigenen Anspruch als erfolgreicher Künstler plagten, kommen so in Songs mit Titeln wie „No One Get's What They Wanted“, „Day The Lights Went Out“ oder „Darkest Days Of Winter“ zum Ausdruck.
Die Erkenntnis, die sich aus der Selbstanalyse für ihn ergab, bestand darin, die eigene Bedeutung künftig nicht mehr zu überschätzen, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben, anstatt ständig nach Steigerungen und Herausforderungen zu suchen und letztlich die Endlichkeit als solche zu akzeptieren, was wiederumThema solcher Tracks wie „Stay Cool“ - einer Art Selbstgespräch mit spirituellem Bezug oder „Give Up“ - einem Duett mit seiner kleinen Tochter, die ihn mit der Zeile „Everybody's Sad“ zu der Erkenntnis brachte, dass er nicht der Einzige sei, der traurig darüber ist, nicht den Sinn von Allem ergründen zu können, ist.
Und dann ist da noch der Titeltrack „Wide Open, Horses“ mit dem McMorrow nun – nicht nur sprichwörtlich – zu der Erkenntnis gelangt, dass das wahre Glück vielleicht tatsächlich einfach auf dem Rücken der Pferde zu finden sei.
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Musikalisch ist dieser Song im ersten Teil als entspannte, meditative Folkpop-Ballade angelegt, während sich im zweiten Teil eine ulkige Artpop-Orgie entwickelt, in der ein wild dahin galoppierendes Schlagzeug die besungenen Pferde fast schon wieder hinter sich lässt. Denn von seinen klassischen Folk-Roots hatte sich JAMES VINCENT MCMORROW schon lange entfernt. Bereits sein zweites Album „Post Tropical“ richtete er vor 10 Jahren in einem psychedelischen Tropicalia-Setting an und spätestens seit seinem 2021er-Werk „Grapefruit Season“ hatte er sein Herz der Pop- und Club-Musik gegenüber weit geöffnet. Ganz so wild geht es im Allgemeinen auf „Wide Open, Horses“ nun nicht mehr zu – allerdings demonstriert der Meister auch hier wieder sein Interesse an unkonventionellen, musikalischen Problemlösungen und arbeitete mit ungewöhnlichen Arrangements, aufgebrochenen Strukturen, atmosphärischer Transparenz, rhythmischen Experimenten und Genre-sprengenden Effekten.
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Das führt dann - nicht nur im Titeltrack - zu wirklich außergewöhnlichen Ergebnissen. In dem Song „Look Up!“ finden etwa ein elektronischer Bass, ein Banjo, psychedelische Steel-Gitarren, Chöre und Drone-Sounds in poppiger Effizienz auf wundersame Weise zueinander.
„White Out“ bleibt als unbehandeltes, verrauschtes Demo im Raume stehen.
„Give Up“ kommt als unwiderstehliches Mitsing-Kinderlied mit rollenden Bassläufen und psychedelischen Klangwolken daher und das abschließende, eigentlich als melancholisch/atmosphärische Elegie angelegte „Meet Me In The Garden“ wird unvermittelt von sich überschlagenden, polternden Drum-Attacken überwältigt. Dafür, dass das alles nicht irgendwie auseinanderfällt, sorgt schon alleine McMorrows charakteristischer Falsett-Gesang – seit jeher ein Markenzeichen des Künstlers, das er auch immer wieder in den Dienst anderer Künstler stellte, was wiederum zeigt, dass er die Erfahrungen, die er durch seine Kollaborationen mit DRAKE, KYGO, CLAPTONE oder RUDIMENTAL machte, durchaus mit Gewinn für seine eigenen Arbeiten zu nutzen weiß. Langweilig wird es auf diese Weise jedenfalls so schnell nicht, womit auch das sechste Album des Iren wieder eine Weiterentwicklung dokumentiert – sowohl in konzeptioneller und musikalischer, mit Sicherheit aber auch in persönlicher Hinsicht.
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FAZIT: Der irische Songwriter JAMES VINCENT MCMORROW gehört aufgrund seiner ungebrochenen Produktivität gewiss zu den von der Muse getrieben Vertretern seiner Zunft. Sympathisch also, dass er mit seinem sechsten Album „Wide Open, Horses“ einen Schritt zurück nahm und eine Perspektive erarbeitete, die es ihm ermöglicht, sich vom Prinzip „schneller, höher, weiter“ insofern abzusetzen, als dass er den Sinn seiner Kunst nicht mehr mit der Suche nach Bedeutung gleichsetzt, sondern dem Wertschätzen des Erreichten und dem Akzeptieren des Gegebenen.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.06.2024
James Vincent McMorrow
James Vincent McMorrow
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14.06.2024