Es soll ja immer noch Leute geben, die JOE HENRY nur als Schwager von Madonna kennen. Tatsächlich ist der Musiker aus North Carolina seit 1987 mit Melanie Ciccone verheiratet und schob Madonna mit ihrer feschen Neuinterpretation seines Songs "Don't Tell Me" sogar mal einen Hit zu. Soviel zum Gossip-Faktor von JOE HENRY, der ansonsten ein Grammy-dekorierter Producer ist (für Solomon Burke, Aimee Mann, Elvis Costello, Allen Toussaint, Hugh Laurie und viele viele mehr). Und natürlich ein herausragender Singer-Songwriter unter eigener Flagge - ja, einer der besten im Fach Folk, Country, Blues und Jazz überhaupt.
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Diese Solo-Facette seiner rund 40-jährigen Karriere wird nun mit einer über gut drei Monate gestreckten Veröffentlichungs-Trilogie (23.08./18.10./06.12.2024) gewürdigt, in der einige seiner besten Alben in edlen remasterten und erweiterten Neuauflagen erscheinen. Mit Recht als erste Platte kommt im August "Civilians" aus dem Jahr 2007 heraus - nach Meinung vieler Kritiker (und bei denen steht JOE HENRY viel höher im Kurs als bei Musikkäufern) seine stärkste Arbeit.
Produziert wie immer von HENRY selbst, im Studio musikalisch umgesetzt mit einer Reihe genialer Sidekicks wie Bill Frisell, Greg Leisz, Patrick Warren, David Piltch und Jay Bellerose (seiner Hausband) sowie prominenten Gästen wie Loudon Wainwright III und Van Dyke Parks, ist "Civilians" ein monumentales Werk nicht nur im Katalog dieses Singer-Songwriters und Gitarristen, sondern im Americana-Genre schlechthin.
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Das Album sei "a naked light bulb, late-night reflection on what is impurely beautiful, profanely sacred, and beautifully treacherous", urteilt das Online-Lexikon "Allmusic" in seiner 4,5-von-5-Punkte-Bewertung - was man als eine mit Widersprüchen spielende Pop-Prosa kaum übersetzen kann. Vielleicht nur so viel: Die Platte ist "eine spätabendliche Reflexion über das, was unrein schön, profan heilig und schön verräterisch ist". Alles klar? Jedenfalls ein sagenhaft gutes Album.
Die "Civilians"-Kompositionen (meist zutiefst melancholische Balladen) und ihre Texte klingen archaisch und zugleich zeitlos, es geht um "Parker's Mood" und den "Civil War", um das Amerika von früher und von heute, aber auch um sehr persönliche Reflexionen und Gefühle ("Love Is Enough", "I Will Write My Book", "God Only Knows"). Und immer umschmeichelt den Hörer diese nicht im klassischen Sinne schöne, aber sehr intensive und ungeheuer warme JOE HENRY-Stimme.
Die Arrangements der zwölf Original-Tracks sind durchweg fabelhaft - man kann nur den Hut ziehen vor so viel Ambition, Feingefühl und profunder Kenntnis der vergangenen 70 bis 80 Jahre Musikgeschichte. Auch die vier auf Gitarre/Piano/Vocals reduzierten Demo-Aufnahmen (darunter das nicht auf dem 2007er Album enthaltene "Bread & Flowers") sind großartig.
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Später in diesem Jahr werden noch die ebenfalls sehr lohnenden JOE HENRY-Werke "Blood From Stars" (erstmals 2009 veröffentlicht/VÖ 18.10.2024) und "Invisible Hour" (2013/06.12.2024) als erweiterte Remaster-Versionen folgen. "Für mich ist es spannend, dieses Trio (...) mit der Reissue-Serie wieder aufleben zu lassen, da diese Alben zusammen eine Art Erwachsenwerden für mich als Künstler darstellen, weil ich aufgehört habe, die Grenze zwischen der Komposition eines Songs und seiner Artikulation im Studio zu betrachten", sagt der inzwischen 63 Jahre alte JOE HENRY. "Alles wurde zu einem einzigen Impuls für mich (...), der direkt in meinem Keller in die Tat umgesetzt wurde."
Bleibt nur zu hoffen, dass noch viel mehr Hörer diesen wunderbaren Musiker für sich entdecken. Und dass bald etwas Neues von JOE HENRY erscheint - das formidable Album "All The Eye Can See" von Anfang 2023 (auch an dieser Stelle gewürdigt mit dem Fazit "Henry, ein vielfach ausgezeichneter Studioproduzent und seit langem Kritikerliebling für seine feingesponnenen Lieder und hochwertigen Alben, gehört in den Songwriter-Olymp") ist schließlich auch schon wieder ein Weilchen her.
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FAZIT: Eine tolle Remaster-Reissue-Serie würdigt in diesem Jahr wichtige Alben von Joe Henry. Los geht's mit "Civilians", dem wohl größten Meisterwerk des US-Musikers. Selten hört man im Americana-Genre so viel Feingefühl und Stilsicherheit wie in diesen Lieder des renommierten Produzenten und Singer-Songwriters. Wie gelbstichige Fotos huschen prächtige Melodien vor dem inneren Auge vorbei, Folk, Blues, Country und Jazz werden kongenial in Beziehung gesetzt. Eine der schönsten Platten der Nuller-Jahre, jetzt noch besser klingend und um vier wunderbare Solo-Demo-Aufnahmen des Meisters erweitert.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.08.2024
David Piltch
Joe Henry, Loudon Wainwright III, Chris Hickey
Joe Henry, Bill Frisell
Patrick Warren, Van Dyke Parks, Joe Henry
Jay Bellerose
Eric Gorfain, Daphne Chen (Violine), Leah Katz (Bratsche), Richard Dodd (Cello)
earMUSIC/edel
74:37
23.08.2024