<b>„John eröffnete 1973 für Pink Floyd. Ein Typ kommt raus, setzt sich hin und verkündet: 'Ich bin die Vorband.' Wir fingen an zu buhen. Dann beginnt er, durch Floyds Surround-Sound in einem Open-Air-Stadion zu spielen. Als er fertig ist, schreien wir nach mehr. Dieser Typ hat im Alleingang ein paar tausend ungeduldige Gemüter umgehauen, und ich habe diesen Abend nie vergessen. Pink Floyd waren übrigens mit Dark Side of the Moon auf Tournee, sie waren jung und stark, eines der besten Konzerte, die ich je gehört habe.“</b> (Bob N. Johnson unter einem Konzert-Mitschnitt von „Small Hours“ aus dem Jahr 1978 von JOHN MARTYN)
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Wenn JOHN MARTYN, der am 11. September 1948 als Iain David McGeachy in New Malden, Surrey, geborene und am 9. Januar 2009 in Thomastown, County Kilkenny, Irland gestorbene Singer/Songwriter und sich auf viele effektvolle Experimente an der Gitarre einlassende Musiker die Bühne betritt, dann kann es nicht nur musikalisch recht spannend, sondern auch ziemlich erheiternd werden. Das durfte jedenfalls das am 17. März 1978 im Hamburger Audimax versammelte Publikum im Rahmen des Martyn-Rockpalast-Auftritts live und in Farbe miterleben, selbst wenn die hier als DVD/CD-Kombination im dreiflügeligen Digipak vorliegende nur in mäßiger guter Bild- wie Ton-Qualität ausgefallen ist, aber die spielt im Grunde bei diesem abwechslungsreichen, voller Überraschungen angereicherten Konzert, nur eine untergeordnete Rolle. Denn dieser JOHN MARTYN präsentiert sich im Rahmen seiner Rockpalast-Vorstellung in Topform, der eine ziemlich geile, extrem unterhaltsame Solo-Performance präsentiert und noch dazu jede Menge Humor beweist.
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Zum Glück ist dieses Konzert aber nicht eins nach dem Motto: Ein Mann und seinen Gitarre trägt ein paar Lieder vor, sondern JOHN MARTYN – selbst wenn er wirklich nur allein mit seinen Gitarren auf der Bühne steht – widmet sich speziell auch den Klangexperimenten, die man mit Gitarren sowie jeder Menge technischer Effektgeräte erzeugen kann und nimmt gleich mit dem zweiten Stück „Outside In“ das Hamburger Publikum fast 12 Minuten lang mit auf einen schwer psychedelischen Trip, bei dem er Klänge aus seiner akustischen Gitarre mithilfe diverser elektronisch verstärkter Effekte zaubert, die wie jenseits dieser Welt klingen.
Bei JOHN MARTYN kommen einem immer wieder zwei außergewöhnliche Musiker in den Sinn: KEVIN AYERS und NICK DRAKE.
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Das ist wenig verwunderlich, denn gerade Drake und Martyn waren sehr eng verbandelt und sehr gut befreundet. Schließlich lebten beide in den Siebzigern gemeinsam in einer Wohngemeinschaft und schienen sich gegenseitig anzustacheln, weshalb beide als ein echter Geheimtipp in der Singer/Songwriter-Szene galten. Als Drake, der Extrem-Melancholiker, dann mit nur 26 Jahren am 25. November 1974, vollgepumpt mit einer Überdosis Antidepressiva, tot in seinem Bett gefunden wurde, begann Martyn gerade immer mehr Aufmerksamkeit als Musiker zu erlangen, wobei er kurz zuvor 1973 den Titelsong seines Albums „Solid Air“ dem depressiven Drake gewidmet hatte. Ein Song, der auch in der Mitte dieses Konzerts zur Aufführung kommt und bei dem wie aus einer himmlischen Fügung heraus, doch tatsächlich eine Gitarren-Saite reißt.
Gerade dieser seltsam erhellende wie verwirrende Moment ist einer der schönsten und lustigsten des Konzerts, weil Martyn beim Stimmen seiner Gitarre nicht nur die Saite reißt, sondern er sich ein paar neue Saiten bringen lässt und total lustig darauf reagiert, indem er das Publikum bestens beim Anbringen der neuen Saite unterhält. Ähnlich begeisternd hat man solche Aktion wohl noch nie live während eines Konzerts erlebt. Hinzu kommt, dass ihm das deutsche Büchsenbier bestens zu schmecken scheint, welches er reichlich während des Konzerts konsumiert und seine Stimmung (genauso wie die des Publikums) damit mehr und mehr anhebt. Sogar mehrere Rülpser und einen ganz besonders fetten zum Ende des Konzerts gibt es live zu hören und sehen.
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Überhaupt offenbart sich JOHN MARTYN bei diesem Konzert als eine absolute (bierdurstige) Witzkanone, was man ihm eigentlich bei der Tiefe und Schwere vieler seiner Songs überhaupt nicht zugetraut hätte. Das macht ihn außerordentlich sympathisch, extrem publikumsnah und dieses Konzert zu einem seltsamen wie außergewöhnlichen und in dieser Art wohl kaum zu erwartenden Höhepunkt im Rahmen der Konzertpalast-Reihe, die uns einen ungewöhnlichen Blick auf einen außergewöhnlichen Musiker werfen lässt!
Im (überflüssigen) Bonus macht Martyn dann als ein um 12 Jahre gealterter Musiker in einer Art Werbevideo einen auf großen Schmuse-Barden, der hinter hübschen Frauengesichtern seinen gruseligen mit Saxofon-Schmalz verfeinerten Schmachtfetzen „Look At That Girl“ singt. Ein im Verhältnis zum rüpeligen Rockpalast-Auftritt ziemlich verfehlter Bonus.
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FAZIT: Ein außergewöhnlich unterhaltsames und ereignisreiches Rockpalast-Konzert von JOHN MARTYN gibt es auf dieser DVD/CD-Kombination plus achtseitigem Booklet „Live At Rockpalast 1978“ mit dem Konzert am 17. März 1978 im Hamburger Audimax, das etwas abrupt abbricht, zu erleben, bei dem sich Martyn als außerordentlich unterhaltsamer wie witziger und trinkfreudiger Musiker beweist, der selbst solche Unbilden wie mitten im Konzert gerissene Gitarren-Saiten mit Bravour und jeder Menge Sinn für Humor meistert. Noch dazu begeistert einen, mit welchen Effektgeräten er die ungewöhnlichsten – mitunter richtig psychedelischen – Klänge seiner Gitarre entlockt. All das (und noch viel mehr) lässt Martyn außerordentlich sympathisch sowie extrem publikumsnah erscheinen und dieses Konzert zu einem seltsamen wie faszinierenden und in dieser Art wohl kaum zu erwartenden Höhepunkt im Rahmen der Konzertpalast-Reihe werden, die uns einen ungewöhnlichen Blick auf einen außergewöhnlichen Musiker werfen lässt!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.09.2024
John Martyn
John Martyn
John Martyn (Effektgeräte)
MIG music
DVD + CD jeweils 73:16
26.07.2024