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Reviews

Karl Bartos: The Cabinet Of Dr. Caligari

Stil: Electronic, Sinfonik, Soundtrack

Cover: Karl Bartos: The Cabinet Of Dr. Caligari

1984 veröffentlichte Giorgio Moroder seinen Soundtrack zu einer speziell geschnittenen, auf 87 Minuten verkürzten Version von Fritz Langs „Metropolis“. Ein einziger langer Videoclip, der immerhin im Kino lief, einige Zuschauer anlockte und bis zu den Restaurierungen von 2001 und 2010 die vollständigste Fassung der filmischen Meilensteins darstellte. 2000 bearbeitete Jeff Mills die Filmmusik Richtung Techno. Gemessen am Inhalt von „Metropolis“ nicht die abwegigste Entscheidung.

Weitere Künstler und Bands haben neue Musik zu alten Filmen komponiert. Michael Nyman und WE STOOD LIKE KINGS widmeten sich auf recht unterschiedliche Weise dem dokumentarischen Spielfilm „A Sixth Part Of The World“ (1926) des russischen Regisseurs Dziga Vertov. Tomas Bodin, bekannt von den FLOWER KINGS, nahm sich F. W. Murnaus „Nosferatu“ vor. Nur eine kleine Auswahl.
Jetzt gesellt sich Karl Bartos zur illustren Riege. Dass der gewandte Musiker eine Weile bei KRAFTWERK spielte, dürfte hinlänglich bekannt sein.

Karl Bartos Bearbeitung von Robert Wienes Klassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) unterscheidet sich grundlegend von Girorgio Moroders Herangehensweise an „Metropolis“. Bartos nähert sich dem Film sorgsam, mit Feingefühl und dem Verständnis um seine kulturelle Bedeutung. Er klebt nicht an der originalen Filmmusik, sondern interpretiert das Geschehen auf der Leinwand auf eigene Weise. Dabei wirkt die elektronische Musik, insbesondere was die Wahl der Sounds angeht, ungemein passend und nicht wie ein Fremdkörper.

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Bartos nähert sich den Figuren, Situationen mit der Wahl seiner Themen und wiederkehrenden Melodien enorm effizient, geschickt und stilsicher. Caligari bekommt ein verstiegenes, rumpelndes Motiv zugeschrieben, die Kirmesmusik steht ebenso wie die fließenden romantischen Sequenzen mit mehr als einem Fuß im Alptraumhaften. Gelungen auch die collagenartigen Passagen mit Sprachfetzen sowie die Umformung des filmischen Geschehens in Klang. Das gibt den Massenszenen zusätzlichen Elan.

Trotzdem wahrt der Soundtrack seine Eigenständigkeit, verkommt nie zur Geräuschkulisse. Karl Bartos gelingt der Tanz auf einem zweischneidigen Schwert, seine Filmmusik ist einprägsam, trägt den Stummfilm über die Sichtung hinaus, ohne ihn zu überlagern oder zum bloßen manipulativen Druckmittel abzurutschen. Es existiert genügend Raum, um die Bilder im Nachklang wiederzuerwecken, ermöglicht aber ebenso, einen eigenen Film zu kreieren.

„DU MUSST CALIGARI WERDEN!“

„Das Cabinet des Dr. Caligari“ erstrahlt in erstaunlicher Bildqualität, ohne grobe Körnung oder aseptischen Glanz. Die Restaurierung (in 4k!) der F. W. Murnau-Stiftung ist hervorragend gelungen. Karl Bartos Soundtrack erschafft ein atmosphärisch adäquates Soundfundament dazu.

Der 1920 entstandene Film zeigt, zu welchen Leistungen Filme in der Lage sind, wenn Kreativität und Verstand wirken. Die expressionistisch gezeichneten Kulissen verbinden kongenial die Innen- mit der Außenwelt. Dagegen erscheinen aktuelle CGI-Blendgranaten farb- und ausdrucklos. Hier illustrieren die liebevoll gestalteten Interieurs das Ringen der Figuren um Aufklärung und Verstand. Was wie der Vorläufer eines Serienkiller-Thrillers beginnt, wird zu einer Studie über die Verschiebungen und unterschiedlichen Wahrnehmungen der Realität. Edgar Allan Poes Rollentausch-Geschichte „The System of Doctor Tarr and Professor Fether“ findet ihren Widerhall, sein Gedicht „A Dream Within a Dream“ könnte als Motto fungieren.

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FAZIT: Karl Bartos stützt mit seiner komplexen wie eingängigen Musik die fantastischen Elemente von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und intensiviert die Wirkung des Films, der gerade in dieser Bearbeitung auch nach über hundert Jahren keineswegs alt erscheint. Das Kino als magischer Ort. Den Weg dorthin weist die Musik.

Neben der bloßen Filmmusik gibt es auch noch käuflich zu erwerben:
Limited CD box (2000 copies worldwide) incl. the album on CD, the Caligari movie on DVD, 48p booklet
Limited LP box (2000 copies worldwide) incl. the album on 2-LP, the Caligari movie on DVD, 16p booklet

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.02.2024

Tracklist

  1. Act 1:
  2. Prologue
  3. Scary Memories
  4. Atonal Floating
  5. Full Of Life
  6. In The Town Hall
  7. At The Funfair
  8. Act 2:
  9. A Mysterious Crime
  10. At The Funfair 2
  11. The Cabinet Of Dr. Caligari
  12. Jane's Theme
  13. March Grotesque 2
  14. Jane’s Theme 2
  15. Shadows
  16. Act 3:
  17. Tragic Message
  18. Suspicion
  19. Tragic Message 2
  20. The Plan
  21. A Dark Figure
  22. Caligari's Theme
  23. Arrest Of The Suspect
  24. Caligari's Theme 2
  25. Act 4:
  26. Worried Jane
  27. Interrogation
  28. Jane's Fear
  29. Francis's Observation
  30. Cesare's Attack And Escape
  31. Safe And Sound
  32. Act 5:
  33. Francis At A Loss
  34. Caligari's Deception
  35. Lunatic Asylum
  36. In Search Of The Truth
  37. Act 6:
  38. Out In The Field
  39. The Director Rants And Rages
  40. Scary Memories 2
  41. Who’s Mad Here?
  42. Francis Rants And Rages
  43. Epilogue

Besetzung

  • Keys

    Karl Bartos

  • Sonstiges

    Karl Bartos, Mathias Black, Ensemble Of Sound

Sonstiges

  • Label

    Electric Music/Bureau B

  • Spieldauer

    75:37

  • Erscheinungsdatum

    16.02.2024

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