Das waren noch Zeiten, als man sich in den Spätsechzigern und Frühsiebzigern so voll und ganz gehen lassen konnte – egal ob im persönlichen oder musikalischen Bereich und nicht ständig vor der immer größer werdenden moralinsauren Mega-Moralkeule Angst haben musste, in irgendein Fettnäpfchen zu latschen, weil man ein falsches Wort gesagt oder ein zu anzügliches erotisches Momentum intensiviert hatte. Oh ja, da durfte man in Deutschland auch gerne ein megafettes, faules Schwein auf seinem Platten-Cover platzieren (ohne dass der Tierschutz alarmiert wurde) oder einen wunderschönen (aber von den bösen, böseren, am bösesten Chinesen) Namen tragen, um seine Band danach zu benennen. Noch dazu klang der Name zwar wunderschön und lautete wortwörtlich sehr blumig übersetzt 'Pflaumenzweig in einer Vase'...
...doch, oh Schreck, dieser Name entstammt doch tatsächlich einem Romantitel aus der Ming-Dynastie des 16. Jahrhunderts und war dem gleichnamigen, voller sinnlich erotischen wie knackig pornografischen Passagen geliebt und verachteten Sittenroman entlehnt. Ohhh jaaahhh, da knisterte es beim Lesen im Höschen und unter dem Röckchen, im Gewand und in der Rüstung. Denn was für die Inder ihr 'Kamasutra' war, für die Italiener ihr 'Dekameron', das war für die Chinesen ihr 'Kin Ping Meh', in dem es um einen reichen Apotheker sowie Seidenhändler geht, der neben seiner Hauptehefrau gleich zusätzlich fünf weitere offizielle Gattinnen besitzt, die allesamt irgendwie befriedigt sein wollen, wobei ihm doch tatsächlich buddhistische und taoistische Geistliche mit Potenzpillen, magischen Ritualen und Geisterbeschwörungen versorgen, damit er seinen ehemännlichen Pflichten genügen kann, beistehen...
Und damit wären wir auch schon bei der ganz speziellen, im Jahr 1969 in Mannheim gegründeten Krautrock-Band KIN PING MEH, die für ihren musikalischen Pflaumenzweig immer die passende Vase suchten und dabei im Rahmen der Krautrock-Bewegung sehr erfolgreich waren.
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Zugleich sind wir damit auch wieder bei dem rührigen Entdecker-Label MIG music, die ganz ihrem Namen hinter diesem Kürzel MIG (Made In Germany) alle Ehre machen und in einem Digi-Doppelpack gleich zwei Alben besagter Band, das schweinische 'No. 2' und das von der Gestaltung her völlig farblose, rot-weiße '3' wiederveröffentlichen und die schönsten Erinnerungen an eine Zeit wecken, in der man auf seine Weise völlig anders frei und nicht von kleinen technischen Geräten oder plumpen Format-Radio-Sendern dominiert war und in denen man sich nicht fünfmal dafür entschuldigen musste, wenn man sein Schwengelchen offen in der Kommune präsentierte, weil man gerade nicht seine Flower-Power-Unterhose unterm Bett gefunden hatte.
Übrigens liegt noch immer der Verdacht nahe, dass genau diese Leute, welche damals diese 'Love & Drugs & Rock'n'Roll'-Freiheit auslebten, heutzutage in hohen politischen (natürlich größtenteils grüngefärbten) oder wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Ämtern dafür sorgen, dass genau das alles nicht mehr möglich ist und vielleicht heimlich zuhause wieder ihre KIN PING MEH-Platten aus dem Schrank holen, um in Erinnerungen zu schwelgen und ein wenig an sich herumzuspielen...
KIN PING MEH jedenfalls sind in dem Geist dieser Vergangenheit entstanden und lebten diesen insgesamt acht Jahre (1969-1977) und fünf Alben lang aus, von denen Nummer 2 und 3 nunmehr auf dieser MIG-music-Doppel-CD wiederveröffentlicht wurden und „No. 2“ mit zwei feinen Bonustracks um knapp 8 Minuten mehr aufgehübscht worden – und zwar der Single-Version von „Sometime“ sowie „Sunday Morning Eve“, die es nie auf einen Longplayer schafften.
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Entdeckt wurden die krautigen China-Rockböller mit erotischer Strahlkraft tatsächlich bei einem Wettbewerb der 'Bild am Sonntag' und erreichten ihren endgültigen Durchbruch in der Fernsehsendung 'Talentschuppen' mit keinen Geringeren als Udo Jürgens und Juliane Werding, die in unvergleichlicher Weise Conny Kramer sterben ließ.
Mellotron, Orgel, E-Piano und Moog sorgten bei KIN PING MEH immer wieder für Momente, die einen an URIAH HEEP oder DEEP PURPLE denken lassen, weswegen ihr Ruf bald so weit eilte, dass sie gemeinsam mit besagten Bands und außerdem auch den SCORPIONS und HOLLIES gemeinsam auf der Bühne standen. Auch kam es zu zahlreichen Fernsehauftritten, nachdem sich die Band entschieden hatte, in den Profisektor einzusteigen – und bei einigen juckte es dann gar in der Lederhose, als sie 1971 mit der unvergesslichen Ingrid Steeger in dem FSK18-Kinohit „Sonne, Sylt und kesse Krabben“, dessen Alternativtitel „Nackte Liebe im heißen Sand“ war, mitwirkten.
Erotik pur – was passte da nicht besser als KIN PING MEH?
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Musikalisch allerdings ließen die Mannheimer Krautrocker nichts anbrennen und agierten als absolut professionelle Musiker, die eben nicht nach aus einer Kommune wild zusammengewürfelten Erotik-Verfechtern klang.
Oft dominiert bei KIN PING MEH der straighte Rock, allerdings wird dieser oftmals immer wieder verspielter, progressiver oder psychedelischer, aber auch BEATLES-geschwängert und das grandiose viertelstündige „Circus“ wartet sogar mit Boogie-Rhythmen auf, sodass selbst Lindenbergs Panikorchester oftmals nicht weit zu seien scheint.
Und sogar das Wagnis, mit „Come Together“ einen BEATLES-Song zu covern, meistern die Krautrocker auf gelungene Weise, weil sie so viel Eigen-Krautiges dabei einfließen lassen, ohne den Song einerseits zu zerstören, ihm aber andererseits eine völlig eigenständige Prägung – samt ausgiebigen E-Gitarren-Solo, das auch stereotechnisch ein wahrhaftes Erlebnis ist – verleihen.
Beide hier vereinten Alben sind wirkliche Krautrock-Perlen, die eben in jeden Schrank gehören, in denen sich historische Krautrock-Aufnahmen befinden, auch wenn „No. 2“ und „3“ deutlich eingängiger und bei weitem nicht übertrieben komplex oder gar esoterisch verspielt wie andere kräuterige Musik-Ergüsse sind. Allerdings zum 'Sex On The Beach' oder eben 'nackter Liebe im heißen Sand' nur begrenzt empfehlenswert. Als Apotheker-Aufputschmittel aber allemal bestens geeignet, wenn es darum geht, den wahren Rhythmus für seine eine Haupt- und die fünf Neben-Gattinen zu finden, von denen eine vielleicht JANE, die andere ELOY und die nächste WALLENSTEIN heißt.
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FAZIT: Chinesischer Name, aber keine Chinesen? Wer könnte das sein? Noch dazu ein fettes, faules Grunzeschwein auf dem Plattencover, das so viele Trüffel gefressen haben muss, dass es nicht mehr stehen kann. Wer ist das? Na, wäre das nicht eine krasse Millionenfrage für 'Wer wird Millionär?'. Hier kommt darum die Antwort: KIN PING MEH, die 1969 in Mannheim gegründete Krautrock-Band, die nicht nur ihres erotischen chinesischen Namens, sondern auch ihres professionellen Krautrock-Sounds wegen, der sich bestens zwischen URIAH HEEP und DEEP PURPLE sowie JANE und WALLENSTEIN einreihte, acht Jahre lang Krautrock-Geschichte schrieben. Diese Geschichte wird endlich mal wieder so richtig mit „No. 2 & 3“ dank MIG music intensiviert und hoffentlich damit jedes noch so fette Schwein hinterm Ofen vor- oder aus dem Schweinepfuhl herausgeholt. Die beiden 1973er-Alben haben's musikalisch in sich und werden die Herzen und Hosen ihrer Hörer garantiert höherschlagen lassen. Echt schweinischer Kult, der in jede gute Plattensammlung gehört!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.07.2024
Torsten Herzog, Alan 'Joe' Wroe
Werner Stephan, Torsten Herzog, Willie Wagner, Gerhard 'Gagey' Mrozeck, Geff Harrison, Uli Groß
Willie Wagner, Gerhard 'Gagey' Mrozeck, Werner Stephan, Uli Groß
Frieder Schmitt
Kalle Weber
Werner Stephan (Percussion), Ralle Oberpichler, Rolf Köhler, Elga Blask, Peter Bender (Harmoniegesang)
MIG music
88:53
28.06.2024