Zuerst sind da nur ein mächtiges Piano-Riff und ein jubilierender Gospel-Chor, der an das legendäre Musical "Hair" erinnert. Aber dann, nach 45 Sekunden, wird's wirklich magisch, denn jetzt steht Marley Munroe alias LADY BLACKBIRD selbst im Mittelpunkt - mit einer Stimme, die schon auf Platte einen veritablen Orkan entfachen kann (und dieses Studio-Kunststück auch live mühelos schafft).
Die vor knapp drei Jahren urplötzlich als neue Black-Music-Sensation in der Szene aufgetauchte Sängerin, die mühelos zwischen den Genres flanierende Diva mit der weißen Afro-Frisur aus der Kleinstadt Farmington im US-Bundesstaat New Mexico, sie ist zurück - und das tut so gut. Denn selten erlebt man eine Künstlerin, die einerseits an Legenden des Jazz und Soul wie Billie Holiday oder Nina Simone erinnert - und zugleich mit großen Vokalistinnen der jüngeren Vergangenheit von Amy Winehouse bis Adele locker mithalten kann.
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Mit "Let Not (Your Heart Be Troubled)" eröffnet LADY BLACKBIRD ihr zweites Studioalbum "Slang Spirituals" (ein schönes, absolut passendes Gegensatzpaar zwischen harter Realität und Transzendenz schon im Titel), und sofort ist wieder Gänsehaut garantiert. Diese markerschütternden Vocals voller Schmerz und Emphase, dieses monumentale, jede Kirche mit purer musikalischer Schönheit sprengende Arrangement - es ist ein Fest.
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Dass die 39 Jahre alte Munroe, stärker noch als auf ihrem jazz-nahen Debüt "Black Acid Soul" (2021 zunächst nur digital veröffentlicht, 2022 dann auf CD und Vinyl), sich stark am Gospel orientiert, ist dabei gar nicht selbstverständlich. Ihr Elternhaus sei zwar sehr religiös geprägt gewesen, wobei neben dem christlichen Glauben auch die Musik eine zentrale Rolle spielte. Aber: "Als ich dann ins Teenageralter kam, wurde mir irgendwann klar, dass mir die Religion genau genommen nur aufgezwungen worden war. Es hatte sich auch nie wirklich richtig angefühlt für mich."
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Modernen Spirituals wie dem umwerfenden Opener oder anschließend "Like A Woman" hört man diese Distanz freilich nicht an. Mit dem auf die Tanzfläche strebenden "Reborn" wagt LADY BLACKBIRD danach einen großen Schritt in Richtung Seventies-Disco-Funk (einer Gloria Gaynor oder Chaka Khan nicht unähnlich), "Man On A Boat" überrascht als zarter Folk-Jazz-Song mit Gitarre und Standbass (wie später auch noch "Someday We'll Be Free").
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Munroe löst in diesen (zusammen mit ihrem Mentor und Produzenten Chris Seefried) selbstgeschriebenen Tracks ein, was sie vor zwei Jahren in einem sehr fröhlichen Interview in der Lobby eines Berliner Hotels schon andeutete - dass sie sich nämlich bei weitem nicht nur als Sängerin von Fremdmaterial und Balladen-Klassikern wie Tim Hardins "It'll Never Happen Again" sieht. "Ich bin ja auch eine Songwriterin", sagt LADY BLACKBIRD damals, voller Zuversicht lachend. "Daher wird es künftig mehr eigene Lieder von mir geben."
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"When The Game Is Played On You" ist folglich das einzige Stück auf "Slang Spirituals", das nicht aus der Feder von Munroe/Seefried stammt, sondern von Thomas Bell und Phil Hurt - ein hochintensiver Psychedelic-Soul-Schleicher, in dem LADY BLACKBIRD erneut ihre enorme Stimmkraft abruft. "The City" und "Matter Of Time" gemahnen anschließend an Seventies-Soul-Größen wie Marvin Gaye oder Curtis Mayfield.
Wer nach der Hälfte des Albums den leiseren, reduzierteren Retro-Vocal-Jazz des Debüts vermisst, wird zwar noch einige Male getröstet - aber insgesamt scheint sich LADY BLACKBIRD von dieser Stilrichtung ganz bewusst emanzipiert zu haben. Auch "Whatever His Name" geht als Closer über gut acht Minuten mit psychedelischen Soul-Experimenten ins Risiko.
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Auf "Slang Spirituals" setzt die Sängerin übrigens auch textlich ein Statement - "als queere Frau", die sich früher zeitweise "wie eine Verstoßene" fühlte, wie Munroe selbst sagt. "Ich wurde von den Leuten als eine Sünderin abgestempelt. Da nun mein wahres Selbst drohte, unter diesem ganzen Druck begraben zu werden, musste ich einen Weg finden, um da rauszukommen. (...) Ich musste mir meinen Weg aus dem Grab erstmal wieder freischaufeln, um endlich frei atmen zu können - und auch darüber singen zu können, wer ich wirklich bin. Das hier, das bin einfach ich: absolut frei, ich akzeptiere mich selbst, ich mache niemandem etwas vor."
Nach der Veröffentlichung des enorm erfolgreichen LADY BLACKBIRD-Debüts "Black Acid Soul" (Platz 11 der deutschen Albumcharts!) wurden große Vorbilder wie Holiday, Winehouse oder Simone (von deren Song "Blackbird" sie sich zu ihrem Künstlernamen inspirieren ließ) angeführt. Vermessen war das angesichts ihrer stimmlichen Ausstrahlung und Live-Performance keineswegs - aber vielleicht eine zu enge Schublade: "Ich bin nicht Jazz oder Soul - ich bin einfach eine Sängerin", und sie traue sich noch viel mehr zu, sagte Munroe vor zwei Jahren bei dem Berliner Interview.
Dass diese Sängerin keine kurzfristige Sternschnuppe sein würde, war schon damals klar. Mit "Slang Spirituals" bestätigt LADY BLACKBIRD die Prognose nun eindrucksvoll.
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FAZIT: Vor knapp drei Jahren tauchte sie als neue Soul-Jazz-Sensation auf, ihre Debütplatte und zahlreiche Konzerte auch in Deutschland waren umwerfend. Die Frage vor dem zweiten Album lautete: Kann LADY BLACKBIRD den berechtigten Debüt-Hype untermauern? Kein Zweifel - sie kann es, und sie tut es. Mit "Slang Spirituals" erweist sich die knapp 40-jährige US-Amerikanerin Marley Munroe als eine der großen Sängerinnen unserer Zeit - auch weil sie Genre-Grenzen konsequent ignoriert. Tiefe Verbeugung vor einer wahren Black-Music-Diva!
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.09.2024
Jon Flaugher
Lady Blackbird
Chris Seefried
Kenneth Crouch, Chris Seefried, Deron Johnson, Pete Min, Steve Robson, Jamie Hartman
Tamir Barzilay, Rich Pagano
Chris Seefried (Sitar), Paul Cartwright, Daphne Chen, Stephanie Yu, Kerenza Peacock (Violine), Jimmy Paxson (Tamburin)
Foundation Music/BMG
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13.09.2024