<b>„Das Album ist ein Bekenntnis zu der wiederkehrenden Universalität der in Gedichten ausgedrückten Gefühle. Finden diese in einem Lied ihren Widerhall, dann werfen sie ein musikalisches Licht auf die Poesie und die dahinter verborgenen Geschichten.“</b> (Luka Kuplowsky)
Was Ausgefallenes, Besonderes, Ungewöhnliches, Eigenartiges und musikalisch sehr Gewöhnungsbedürftiges gefällig?
Hier kommt es: „How Can I Possibly Sleep When There Is Music“. Und nicht nur dass der Album-Name schon sperrig genug ist, dafür aber die klare Botschaft verbreitet, dass es unmöglich ist, sanft wegzuschlummern, wenn gerade Musik läuft, sondern auch LUKA KUPLOWSKY & THE RYOKAN BAND sind durchaus eine ganz spezielle Sache für sich. Eine, die wirklich entdeckt und dann verwundert in Ohr und Herz geschlossen werden will, wobei auf keinen Fall der Geist außen vor bleiben darf, denn der bekommt gehörig was bei den insgesamt 24 'Poemen' der Doppel-LP zu tun, die – und damit wären auch die Augen gefordert – sich hinter der abstrakt wie impressionistisch naiv anmutenden Plattenhülle verbergen, deren Gestaltung ebenfalls, wie das gesamte Album, sehr persönlich ausgefallen ist.
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Kuplowsky selber betont, dass seine Musik an der Schnittstelle vieler Singer/Songwriter-Traditionen – wie Folk, Jazz und Blues – ansetzt und dabei gleichermaßen extrem großen Wert auf sprachliche Vervollkommnung und musikalische Improvisation legt. Das klingt nicht nur recht kompliziert, sondern macht es auch dem Hörer von „How Can I Possibly Sleep When There Is Music“ nicht einfach. Denn wer denkt, er könnte dieses Album mal so nebenbei auflegen, sollte sich schnellstens von diesem Irrglauben verabschieden und eine andere Platte aus dem Schrank holen.
Auch werden diejenigen, die mit Gedichten nichts anzufangen wissen, mit dem Album nicht glücklich werden, denn schließlich besteht das (Kuplowsky nennt es) 'Prozessalbum' aus einer Vielzahl von Gedichten, die den Musiker angeregt durch eine Begegnung mit der legendären Songwriterin bewegten: „Ich habe die legendäre Songschreiberin Beverly Glenn Copeland getroffen, die Poesie des Zen-Dichters Ryokan Taigu entdeckt, eine Methode der poetischen Adaption/Antwort entwickelt und mit Musikern aus meiner Gemeinde zusammengearbeitet. Die Songs selbst entstanden, wann immer mich ein Gedicht berührte.“
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Und dass Gedichte und Musik natürlich immer wieder eine innige Liebesbeziehung eingehen, ist für den Musik- wie Literaturfreund längst nichts Neues. Hier nun erfahren diese eine ganz spezielle Interpretation von LUKA KUPLOWSKY & THE RYOKAN BAND, welche Erinnerungen an so ungewöhnliche Musik-Größen wie NICK DRAKE und JADE WARRIOR oder SYD BARRETT sowie ganz besonders VAN MORRISONs „Astral Weeks“ wecken. Denn die wahre Vollendung eines Gedichts liegt eben nicht nur in dessen gefühlvollem Vortrag, sondern indem man es zudem mit eigenen Noten interpretiert – mehr geht einfach nicht, um die lyrische Gefühlsebene komplett auszuloten.
Andererseits ist das Doppel-Album ein psychedelischer Trip durch die Lyrik weltberühmter (aber in unseren Breiten nicht immer bekannter) Autoren aus aller Welt – als da wären: Ryokan Taigu, Bohdan Ihor Antonych, Rainer Maria Rilke, Yosana Akiko, Du Fu, Jalal ad-Din Muhammad Rumi, W.W.E Ross, Li Bai und La Fontaine, wobei jeder Lyriker im vierseitigen LP-Einleger kurz vorgestellt und dessen Schreibstil – der eben auch wichtig für die musikalische Umsetzung des jeweiligen Gedichts war – genauer dargestellt wird.
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Um die Wirkung der Gedichte überzeugend singend wie sprechsingend und oftmals auch mit weiblicher, elfengleicher Stimmunterstützung umzusetzen, greift Kuplowsky auf zwei sehr unterschiedliche Methoden zurück: „Entweder singe ich das Gedicht so, wie es ist und passe die Wörter leicht an den Rhythmus an, oder ich lasse das Gedicht durch mich hindurch zu einem neuen Lied werden. Wenn ich ein Gedicht eher traditionell adaptiere, denke ich oft darüber nach, wie die Musik Aspekte des Gedichts vermitteln könnte, die impliziert sind oder mit meiner Lesart und Interpretation des Gedichts in Verbindung treten.“
Wie persönlich das gesamte Album gehalten ist, beweist zugleich auch das LP-Cover, welches eine Zeichnung von Kuplowskys Mutter auf dem Frontcover enthält, die sie Mitte der 1990er-Jahre nach einer Freiwilligenarbeit mit Waisenkindern in der Ukraine (als die noch nicht im entferntesten an einen Krieg dachten) als Tusche- und Ölgemälde-Version anfertigte: „In den 1990ern druckte sie das Bild auch im Siebdruckverfahren auf Pullover. Ich habe einen der Pullover viele Jahre lang aufbewahrt und das Albumcover ist eigentlich ein Foto des Pullovers (mit 28 Jahren voller getragener Liebe). In diesem Bild steckt eine tiefe Spiritualität, Fürsorge und Liebe, die sich sowohl persönlich als auch universell anfühlt.“
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Musikalisch trifft also Folk auf Smooth Jazz und Weltmusikalisch-Esotherisches sowie Sphärisch-Psychedelisches, das mit viel Flöte und perkussiven Instrumenten der unterschiedlichsten Art – die speziell auch als Brücke zwischen den Songs dienen – umgesetzt wird, wobei vordergründig immer der sehr warme (mitunter rezitative) Gesang ist und noch dazu der Sound in ein perfektes Klanggewand eingekleidet wurde, um die vollkommene Entfaltung dieser Musik in Kombination mit den poetischen Meisterwerken aus jedem einzelnen Stück herauszukitzeln.
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Allerdings verbreiten die gewählten Gedichte allesamt eine recht nachdenklich-melancholische Atmosphäre (Typisch Rilke eben, den die meisten Leser ja garantiert – auch ihrer Schulzeit wegen – kennen werden!), sodass die Musik genau diese Atmosphäre in ihre fragil anmutenden Sounds überträgt, was auf Dauer im Rahmen der musik-poetischen Stunde manchmal ein wenig eintönig wirkt, aber unter dem gesamten Aspekt des 'Prozess-Albums' natürlich völlig beabsichtigt ist.
Wie gesagt. Auf diese Musik muss man sich einlassen wollen – und zugleich setzt sie eine bestimmte Atmosphäre voraus.
Diesbezüglich gilt: Höre das Album so intensiv wie du ein Buch lesen würdest.
Genau dann ist „How Can I Possibly Sleep When There Is Music“ ein einzigartiges, unvergessliches Erlebnis, das man einerseits in seinen Plattenschrank, aber andererseits auch in sein Bücherregal direkt neben die Gedichtbände (am besten die von Rainer Maria Rilke und dessen traurigen, an den Gitterstäben entlangschleichenden Panthers) stellen sollte.
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FAZIT: Die liebevolle Vereinigung von Poesie und Musik, vereint in „How Can I Possibly Sleep When There Is Music“ und verwirklicht durch LUKA KUPLOWSKY & THE RYOKAN BAND. So schwer dieses (sehr melancholische wie lyrische) Unterfangen auch erscheint, der Musiker aus Toronto und seine Band meistern ihre Aufgabe mit Bravour und verbreiten dabei mit viel Flöte, Percussion und Folk wie sanftmütigen (größtenteils akustischen bis hin zu weltmusikalischen) Klängen eine ähnliche Atmosphäre wie sie ein VAN MORRISON 1968 auf seinem zweiten Album „Astral Weeks“ mit der zarten Fusion aus Folk-, Blues-, Soul- und Jazz-Elementen heraufbeschwor, bei dem auch die Flöte mitunter eine zentrale Rolle zugeteilt wurde. Nur im Gegensatz zu dem nordirischen Musiker greift Kuplowsky als Basis für seine Texte auf die unterschiedlichsten Lyriker (Ryokan Taigu, Bohdan Ihor Antonych, Rainer Maria Rilke, Yosana Akiko, Du Fu, Jalal ad-Din Muhammad Rumi, W.W.E Ross, Li Bai und La Fontaine) zurück. Ein Album für die Frei- wie Schöngeister, bei denen tatsächlich auch ein Gedicht noch die bewegendsten Gefühle und größten Leidenschaften entfalten kann.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.07.2024
Josh Cole
Luka Kuplowsky, Felicity
Alex Lukashevsky, Luka Kuplowsky
Luka Kuplowsky
Evan Cartwright, Philippe Melanson
Anh Phung (Flöte)
Next Door Records/Bertus
55:58
31.05.2024