Was haben der kanadische Produzent MOCKY, der argentinische Komponist CARLOS STELLA, das Rap/Punk-Duo SLEAFORD MODS, der österreichische Dichter GEORG TRAKL, 80er Synthie-Pop, Barockmusik, Folk- und Soul und romantische Kunstlieder miteinander zu tun?
Nun es sind alles Charaktere, Dinge und Fixpunkte, von denen sich die Essener Musikerin MAIKA KÜSTER inspirieren ließ als es daran ging, ihr Debüt-Album „Holy Noon“ von den Fesseln und Regeln ihres ursprünglichen Genres – dem Jazzgesang - zu befreien. Denn die in Essen und Kopenhagen ausgebildete Sängerin, die bereits mit den experimentellen Bandprojekten DER WEISE PANDA und WIR HATTEN WAS MIT BJÖRN Erfahrungen sammelte, bevor sie sich nun mit eigenem Material präsentiert, wollte unter ihrem Solo-Künstlernamen MAIKA auf keinen Fall eine puristische Jazz-Scheibe machen.
So riet ihr etwa MOCKY, den MAIKA bei ihrer Ausbildung am Rytmisk Musikkonservatorium in Kopenhagen kennenlernte, von vornherein verschiedene Genres zu bedienen; wie es beispielsweise in Skandinavien schon lange üblich ist. Mit dem Komponisten CARLOS STELLA, der ihr bei der Ausarbeitung ihrer Texte behilflich war, studierte MAIKA die Prinzipen der Barock-Musik. Ihr Drummer ANTHONY GREMINGER unterstützte MAIKA mit seinen Elektronik-Kenntnissen bei den Arrangements und dem Sound-Design und sie selbst ließ sich dann von dem Gedanken tragen, das Album „Holy Noon“ von vorneherein in eine – durch den „heiligen Mittag“ getrennte - kontemplative und eine lebhaftere Seite zu unterteilen. All das übrigens, ohne ihre Fähigkeiten als Jazz-Sängerin dabei aus den Augen zu verlieren oder das Genre gänzlich zu verlassen. Es ist nur so, dass „Holy Noon“ durch die Vielzahl der aufgegriffenen Ideen unter dem Strich mehr als die bloße Summe seiner einzelnen Teile ausmacht.
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Die dezidiert codiert angelegten, assoziativ/poetischen Lyrics kreisen laut Bio um die Themen Vergänglichkeit und Gier, aber auch um Sinnlichkeit und Verlangen. Dazu verwendet MAIKA vorzugsweise Bilder aus der Natur, in die der Mensch als Fremdkörper eindringt und erschafft sich so eine ganz eigene, viszerale, paganistische Mythologie, in der sich Hexen, Tierwesen, Geister und (heidnische) Götter aller Art tummeln, herumwühlen und sich verlustieren. Grundsätzlich singt MAIKA dabei auf Englisch – macht aber im Falle des vorab als folkiges Kunstlied veröffentlichten Tracks „Gongs Bongs“ eine Ausnahme und greift auf einen deutschen Text des expressionistischen Dichters GEORG TRAKL zurück; der dann aber hervorragend zu ihren eigenen poetischen Wortwelten passt.
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Wie schon erwähnt, sind die Songs von „Holy Noon“ unterteilt in eine ruhige und eine lebhaftere Seite. Die ersten vier Tracks auf „Holy Noon“ spielte MAIKA mit ihrem Quintett live und akustisch ein. Hier überwiegen dann auch die Jazz-Elemente, die sich die Wahl der Harmonien und dem improvisatorischen Zusammenspiel der Musiker jeweils am Ende der Tracks manifestieren. Besonders deutlich wird das bei „This Too Will End“, in dem sich die Band am Ende in einen leicht kakophonisch angelegten, orgiastischen Höhepunkt hineinsteigert. Anders sieht das bei den 5 Stücken auf der B-Seite des Albums aus – denn hier stehen die produktionstechnischen Elemente im Vordergrund, die MAIKA selbst hinter den Reglern steuerte und dabei auch als Instrumentalistin ins Geschehen eingriff, beispielsweise indem sie mit Synthie- und Mellotron-Sounds herumspielte.
Als extremstes Beispiel in dieser Hinsicht fällt besonders der Track „Little Lizard“ auf, der im Wesentlichen auch als Rocksong funktionieren könnte, wäre er nicht mit einem wagemutigen Mix aus Krautrock- und New-Wave-Sounds in eine verquere poppige Richtung gelenkt worden. Auch die abschließende Psychedelia-Operette „WYAN“, die im Nachgang noch einen Hidden Track als humoristische Blues-Pop-Nummer im Lounge-Cocktail-Stil enthält, ist stilistisch nun überhaupt nicht mehr zu greifen. Wichtig festzuhalten ist bei alledem, dass hier nichts zufällig passiert oder im Selbstzweck versandet, sondern auf schlüssige Weise zu einem zwar einerseits recht eklektisch anmutenden, dann aber auch faszinierend einzigartigen Stilmix zusammengeführt wird.
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FAZIT: Die hierzulande immer noch betriebene, unselige Unterteilung in U- und E-Musik hat ja dazu geführt, dass in der Jazzmusik bis heute oft nach festgelegten Regeln und Formaten gearbeitet wird. Diesem Diktat wollte sich MAIKA KÜSTER für Ihr Solo-Album „Holy Noon“ absolut nicht unterwerfen und sprengte mit viel Einfallsreichtum, Wagemut und einer gehörigen Portion musikalischer Neugier alle Genre- und Format-Grenzen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.04.2024
Yannik Tiemann
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Jazzhaus
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19.04.2024