Lassen wir doch einfach mal die Sau raus und die Hosen runter und legen gleich noch unsere Brüste dabei frei. In Ordnung – natürlich kommen einem bei solch einem Band(innen)-Namen wie MANNEQUIN PUSSY und dem Album-Cover von „I Got Heaven“ erstmal solche oder ähnliche Gedanken in den Sinn. Nein, diese Gedanken sind nicht sexistisch, sondern durch besagtes Album-Cover, das man besonders auf LP- und nicht nur CD-Größe genießen sollte, regelrecht provoziert, ganz ähnlich wie das „I Got Heaven“-Video zu dem knochentrocken rockenden und zugleich Punk-affinen sowie von dem f***-Wort nur so übersprudelnden Titelsong, der das Album eröffnet. Darum vielen Dank schonmal dafür, liebe MANNEQUIN PUSSYs Karin, Marisa, Maxine und du männlicher Bear (Ist das wichtig für die Rockmusik-Quote?)!
Jedenfalls ist man froh und glücklich, dass hier wahrhaft begabte und beeindruckende Musikerinnen mit einer männlichen Unterstützung am Werk sind – und nicht etwa eine ausschließlich männliche Kollegenschar, der man so etwas in all dem Woke(sinn) wahrscheinlich niemals verzeihen würde...
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Ein wahrhaft grandioser – noch dazu extrem religionskritischer – Start in eine ebenso grandioses, herrlich provokantes und zugleich ungemein abwechslungsreiches sowie viel zu kurzes halbstündiges Album des Damen-Trios mit einem männlichen Afroamerikaner aus Philadelphia, das einem mit all ihrer Leidenschaft auch als Mann tatsächlich Angst machen und wie in besagtem Video die Flucht ergreifen lassen kann, wenn man zudem diese (hier frei übersetzten) Textzeilen hört: „Ich bin boshaft wie ein Gott / Suche Rache wie die anderen / Für das, was sie dir angetan haben / Werde ich nie zur Ruhe kommen".
Schon mit ihrem – trotz aller Provokation – (wohl auch Pandemie-bedingt) nur wenig beachteten, aber trotzdem hoch gelobten drittem Album „Patience“ setzten MANNEQUIN PUSSY auf kreischend-lautstarken Punkrock. Treffen aber für ihr aktuelles Album – das es nur auf eine läppische Laufzeit von knapp einer halben Stunde bringt (und damit diesbezüglich den größten Kritikpunkt verursacht) – die kluge Entscheidung, deutlich mehr musikalische Einflüsse auf „I Got Heaven“ zuzulassen als je zuvor und liegen damit genau richtig.
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Denn das Album klingt auch wie ein Rundum-Befreiungsschlag nach all der Pandemie-Frustration, die nicht nur die Welt, sondern auch die sich anbahnende Erfolgsschiene von MANNEQUIN PUSSY zum Stillstand brachte. Es geht hier nicht mehr nur noch um Schwarz-Weiß oder einem Laut statt Leise, sondern die Vielfalt zwischen Härte und Zerbrechlichkeit und die Brücken, die zwischen beidem gebaut werden – von Song zu Song, aber auch innerhalb der Songs, wie auf besagtem Titeltrack oder auf der Fortsetzung davon mit „I Don't Know You“.
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Darum wird hier nicht nur einer auf lautstarken Schreihals gemacht, sondern es blitzen auch die schönsten Dreampop- und Shoegaze-Momente in solchen Songs wie „I Don't Know You“ und „Nothing Like“ durch.
Mit diesen Momenten der musikalischen Ruhe ziehen dann auch textlich deutlich melancholischere Grundtöne in die Songs ein und verbreiten neben einer gewissen Trauer auch eine mitunter ängstlich anmutende Atmosphäre mit einer hintergründigen Bedrohlichkeit, die jederzeit dystopisch auszubrechen droht – so als würde einem der höllische Erzengel in weiblicher Gestalt erscheinen.
Wie das postrockige Verbindungsstück zwischen diesen verunsichernden, ständig wechselnden Stimmungen wird von dem Philadelphia-Vierer dann „Sometimes“ an das Ende der LP-A-Seite gesetzt. Ein Song, der einerseits das zuvor auf der LP-Seite verbreitete Laut-Leise-Gefühl zusammenzufassen und noch einmal typisch postrockig – samt psychedelischer Einschübe – zu steigern versucht und andererseits damit schon eine gewagte Vorausschau darauf gibt, was den Hörer dann auf der deutlich knackigeren LP-B-Seite erwartet, die einem sofort mit dem regelrecht noisigen Punk-Krach plus extremer Schrei-Attacken von „Ok? Ok! Ok? Ok!“ sowie „Of Her“ beinahe die Ohren vom Stamm ballert.
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Jedenfalls werden in beiden Songs keine Gefangenen gemacht, sonder das ganze Post-Punk-Noise-Magazin abgefeuert.
Zum Glück gibt’s zwischen diesen beiden Brachial-Nummern wieder diese ruhige, wie auf dem Album langsam zur liebgewordenen Gewohnheit aufgebaute Brücke, die nicht nur vom Titel her „Softly“ heißt, sondern auch ein paar echt softe, zerbrechliche Momente besitzt, denen aber nichts desto Trotz wieder ein wenig Geschrei entgegengesetzt wird. Dazu eine schöne Melodie, die sofort ins Ohr geht – ja, das ist der Moment, in dem man unumwunden feststellen darf, dass „I Got Heaven“ nicht nur die abwechslungsreichste, sondern auch beste Platte von MANNEQUIN PUSSY ist, wofür dann auch der letzte Song „Split Me Open“ mit seinen erneuten Laut-Leise-Musikverführungskünsten und der schönen Melodie den abschließenden Beweis liefert.
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FAZIT: Es ist das vierte und zugleich beste (aber auch mit einer halben Stunde viel zu kurze) Album von MANNEQUIN PUSSY geworden. „I Got Heaven“ besitzt zwar noch immer die extrem harten, noisigen und herausgeschrieenen Punk-Momente der drei Vorgänger, setzt aber auch – neben jeder Menge Provokation und massiver Religionskritik (darum bitte unbedingt auch die Texte auf der bedruckten LP-Innenhülle lesen) – auf viele ruhige Momente, die sich im Shoegaze wie Dream-Pop tummeln und dieser LP mit der barbusigen singenden Gitarristin samt Schwein auf dem Cover ein gelungenes Laut-Leise-Flair verpassen, das einen mal in Melancholie wiegt, um diese dann mit der Noise-Dampfwumme brachial wegzuhämmern. Man spürt regelrecht die Verletzungen, welche den drei Musikerinnen und ihrem einen männlichen Begleiter angetan wurden, und die sie mithilfe von „I Got Heaven“ herausschleudern und sich dabei mitunter als die pure Albumtitel-Antithese extrem höllisch anhören.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.04.2024
Colins „Bear“ Regisford
Marisa Dabice, Colins „Bear“ Regisford
Marisa Dabice, Maxine Steen
Maxine Steen
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Epitaph/Indigo
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01.03.2024