Ein prächtiges Beispiel dafür, was sich – trotz oder wegen – der digital veränderten Rahmenbedingungen im Musikbiz mit Talent, Inspiration, Beharrlichkeit, Fleiß, Empathie und letztlich unbestreitbarer Qualität auch heutzutage als Musikerin noch erreichen lässt, ist das beeindruckende Debüt-Album „Grown Up“ der Bielefelder Songwriterin MINA RICHMAN.
Nachdem sie zuvor im Jahre 2020 mit der EP „Jaywalker“ zunächst mal einen – schon damals überzeugenden – musikalischen Testballon veröffentlicht hatte, um sich stilistisch orientieren zu können, übte sich MINA RICHMAN im Folgenden zunächst als unermüdliche Rampensau auf der Ochsentour durch jede sich anbietende Spielstätte, bevor sie sich daran machte, ihr inzwischen angesammeltes Songmaterial zusammen mit ihrer talentierten Band für eine Studioproduktion aufzubereiten. Nach dem Motto „Gut Ding will Weile haben“ liegt das entsprechend treffend betitelte Werk „Grown Up“ nun als ausgereiftes musikalisches Gesamtkunstwerk vor.
Worum geht es?
Zur Musik kam MINA RICHMAN (deren Künstlername sich auf ein Zitat von CHER bezieht, die weiland aussagte, dass sie selbst jener reiche Mann sei, den ihre Mutter ihr als idealen Ehemann empfohlen habe) eher zufällig und beiläufig. Gesungen hat sie zwar schon immer, es war aber letztlich ihre Gesangslehrerin, die ihr erste Engagements in einer Coverband verschaffte, die dann dazu führten, dass sich Mina mit dem Schreiben eigener Songs in der Pandemie beschäftigte - und es waren dann ihre Fans und das Label Ladies&Ladys die sie sozusagen dazu drängten, diese Songs aufzunehmen.
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„Grown Up“ ist dabei eine Art musikalisches Selbstporträt geworden, wie es in dieser Konsequenz selten zu finden ist. In ihren Songs beschäftigt sich MINA RICHMAN dabei gleich im Opener des Albums – dem beschwingten Soul-Pop-Shuffle „Nearly To The End“ - mit dem Thema Selbstermächtigung.
In „Referee“ betätigt sie sich als Schiedsrichterin in Familienangelegenheiten.
Der in der LP-Version als anrührende Akustik-Ballade angelegte Song „Baba Said“ entstand als Antwort auf den Tod von Mahsa Amini im Iran mit dem MINA RICHMAN auch auf ihre persischen Roots eingeht und ihre Solidarität mit der Widerstandsbewegung im Iran zum Ausdruck bringt. Logischerweise geht es im Titeltrack (der musikalisch als verschleppte Ballade mit Rap-Passagen und Hip-Hop-Beats angelegt ist) dann um die Sorgen und Nöte, Widerstände und Ängste des Erwachsenwerdens.
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Das als Folk-Ballade beginnende und später sich bluesig entwickelnde „Too Young“ handelt von einer unmöglichen Liebesbeziehung, durch die MINA RICHMAN im Rückblick dann aber als Person gewachsen ist.
Der „Song Of Consent“ behandelt das allgegenwärtige Thema Übergriffigkeit – für den MINA RICHMAN und ihre Musiker lange nach einem geeigneten musikalischen Setting suchten, bevor sie auf die Idee kamen, den Track in ein, im Kontrast zum ernsten Thema stehendes, lebhaftes Swing-Arrangement einzubetten.
Ein Song wie die hervorragende Piano-Ballade „The Woman I Am Now“ - mit der MINA RICHMAN ihre Reise zur Erkenntnis und zum Empowerment anschaulich nachzeichnet – gelingt Geringeren eigentlich erst am Ende eines langen, erfüllten Musikantenlebens und nicht am Anfang eines solchen. Auf jeden Fall ist dieser Song dann ein treffender Schlusspunkt für ein brillantes musikalisches Meisterwerk.
Aufgrund von MINA RICHMANs überraschend wandlungs- und durchsetzungsfähiger Stimme wird sie oft und gerne mit Künstlerinnen wie AMY WINEHOUSE oder ihrem persönlichen Idol JOAN WASSER verglichen. Dabei geht es ihr und ihren Musikern überhaupt nicht darum, den Sound anderer zu emulieren oder anzustreben, sondern in der kollaborativen Gemeinschaft für jeden einzelnen Song ein geeignetes musikalisches Mäntelchen zu finden.
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Tatkräftig unterstützt wurden MINA RICHMANN und ihre Musiker von dem Kollegen TOBIAS SIEBERT, der in seiner Eigenschaft als Produzent in seinem neuen Studio für die richtige Atmosphäre – und den richtigen organischen Sound – sorgte. Die Spielfreude der Musiker und die emotionale Intensität ihres Gesangs übertragen sich dabei in ansteckender Weise auf den Zuhörer. Das alles macht „Grown Up“ schlicht zu einer der kurzweiligsten, unterhaltsamsten und letztlich überzeugendsten Indie-Pop-Scheiben des bisherigen Jahres.
FAZIT: Im Gespräch erklärt MINA RICHMAN, dass es ihr als junger, queerer Musikerin und Aktivistin mit Migrationshintergrund unmöglich sei, ein unpolitisches Leben zu führen. Vermutlich ist es gerade dieser Aspekt, der dazu führt, dass „Grown Up“ zu einem bemerkenswert facettenreichen, vielschichtigen Debüt-Album mit großer emotionaler Tiefe wurde, das auf inhaltlicher, wie auch musikalischer Ebene in jeder Hinsicht zu überzeugen weiß.
Punkte: 15/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.03.2024
Alexander Mau
Mina Richman
Friedrich 'Freddy' Veit Ali Schnorr von Carolsfeld
Jared Samuel, Ella Ronen, Sam Cohen
Leon Brames
Ladies&Ladys
31:50
15.03.2024