Ein Album, das sich kurz nach dessen Erscheinen im Dezember 1973 anno 1974 über 120 Wochen in den Charts hält, muss schon was ganz Besonderes sein – oder irgendwas mit den BEATLES zu tun haben. Im Falle von „Band On The Run“ trifft beides zu.
Allerdings gab's bereits bei der Erstveröffentlichung des Albums von PAUL McCARTNEY & WINGS ein paar Missverständnisse, denn bei dem Titel war nicht etwa eine Band – also Musik-Gruppe – auf der Flucht, sondern eine Bande in Form von Sträflingen, weshalb auch die Cover-Gestaltung darauf unübersehbar hindeutete. Und ja: Die WINGS waren für die Aufnahmen zu „Band On The Run“ weit geflohen. Und zwar in Richtung des nigerianischen Lagos, wo sich ein Studio von EMI befand. Das Album sollte eben ganz besonders klingen – und das tat es dann auch, woran sicher auch dieses ungewöhnliche Flair (der Armut), auch nachzuvollziehen auf der bedruckten LP-Innenhülle, beitrug.
Gewisse Doppeldeutigkeiten waren ja schon immer im Sinne eines McCartney, der noch dazu mit diesem Album als eine Art Konkurrenz zu dem fast parallel erschienenen „Mind Games“ von langsam zum Intimfeind gewordenen JOHN LENNON verstand. Und würden wir diesbezüglich von einem BEATLES-Zweikampf sprechen, dann hätte McCartney die Nase vorn gehabt.
Klappe!
Ein halbes Jahrhundert später ist die Band(e) erneut – trotz einiger längst Verstobener – wieder auf der Flucht und rollt unerbittlich weiter...
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… wobei sie sich klangtechnisch zu einem wahren Freudenfest für die Ohren entwickelt, denn was hier im LP-Half-Speed-Master-Verfahren vollbracht wurde, ist per excellence! Diese 50 Jahre alten Aufnahmen dürfen in solcher Aufnahmequalität gerne für jede hochwertige Anlage als Referenzplatte verwendet werden. Sogar ein nobles Kärtchen mit Verweis auf die hochwertige Pressqualität des Albums entdeckt man im LP-Inneren, worauf noch einmal erklärt wird, dass bei diesem Aufnahmeverfahren der Mastercut mit High-End-Frequenzen in den Abbey Road Studios mit halber Geschwindigkeit aufgenommen worden ist und so optimale und höchste Klangqualität für Vinyl erreicht werden konnte.
Neben diesem Kärtchen entdeckt man zusätzlich noch ein riesiges Poster voller Polaroid-Fotos von den beteiligten Musikern, die wohl allesamt von der leidenschaftlichen Fotografin und Musikerin Linda McCartney geschossen wurden.
Doch nicht nur das Drumherum von „Band On The Run“ ist beachtlich und bewundernswert, sondern auch die Platte selber, die gerne als das beste McCartney-Werk mit den WINGS durchgehen darf, wofür es viele Gründe gibt.
Schon der das Album eröffnende Titelsong ist einer Suite ähnlich in drei Sätzen aufgebaut und im Grunde als Radio-Hit mit gut 5 Minuten viel zu lang. Er wurde aber trotzdem einer!
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Oder das folgende „Jet“ erweist sich als ein seltsam anmutender Schlüssel-Song, der in ein paar völlig unterschiedliche Song-Schlüssellöcher passt.
Woher VAN HALEN ihre Ideen zum Mega-Hit „Jump“ hatten, aber dass im Hause McCartney wohl auch ziemlich oft der damals – also genau im gleichen Jahr 1973 – extrem angesagte Super-Hit „Hellraiser“ von SWEET gehört worden sein musste.
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„Blue Bird“ wiederum verbreitet spätestens mit dem zarten Saxophon-Solo eine entspannte Bar-Jazz-Atmosphäre wie sie später eine SADE zur unwiderstehlichen Vollendung brachte und mit „Helen Wheels“ durften die Freunde dieser herrlich gelungenen und ebenso abwechslungsreichen LP gleich noch einer Hymne an McCartneys heiß geliebten Range Rover lauschen.
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Na und abschließend bei einer Besprechung dieses Albums sollte natürlich unbedingt noch die Geschichte oder Anekdote um den ungewöhnlichsten Song des Albums, „Picasso's Last Words (Drink To Me)“ erzählt werden, der nicht etwa etwas mit der Begeisterung der McCartneys für den weltberühmten Maler zu tun hat, sondern einer seltsamen Idee beim freundschaftlichen Abendessen mit Dustin Hoffman, der zur selben Zeit, als die WINGS an ihrem Album arbeiteten, gerade gemeinsam mit Steve McQueen den Film „Papillon“ einspielte.
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Während dieses Zusammenseins griff der gute Paul natürlich auch zur Gitarre und präsentierte der Abendgesellschaft sein Können, während Hoffman auf die Idee kam, zu behaupten, dass er sich einfach nicht vorstellen könne, dass McCartney in der Lage sei, einen Song über 'irgendwas' zu schreiben, wie immer von anderen behauptet werde. McCartney widersprach und bot den unmittelbaren Beweis hierfür an. Also zog Hoffman eine beliebige Zeitschrift hervor und schlug eine Seite auf. In dem Artikel ging es um den Tod Picassos, der in seinen berühmten letzten Worten aufforderte: „Trink auf mich. Trink auf meine Gesundheit, wenn ich's schon nicht mehr kann.“
McCartney erstellte noch an Ort und Stelle eine Demoaufnahme des Songs samt Text – und hinterließ einen absolut begeisterten Dustin Hoffman, der seiner Frau zurief: „Schau an, schau an – er macht es tatsächlich.“
Am Ende entstand hierbei zugleich einer der ungewöhnlichsten, progressivsten sowie längsten Songs der WINGS- und McCARTNEY-Ära, den man definitiv nicht missen möchte.
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Da uns nur die einfache LP-Version zum Besprechen vorliegt, können wir hier leider keine Auskunft zu der von McCartney besonders intensiv beworbenen Neuaufnahme geben, die als „Underdubbed Mixes“ bezeichnet wurde. McCartney jedenfalls ist davon begeistert und bemerkt: „So hat man das Album noch nie gehört. Wenn man einen Song aufnimmt und dann noch zusätzliche Parts über die Aufnahme legt, also zum Beispiel eine zusätzliche Gitarrenspur, dann spricht man von Overdubs. Nun, bei dieser Version des Albums passiert genau das Gegenteil – es ist underdubbed.“ Zu gut deutsch: Bei diesen Aufnahmen wurden alle opulenten Orchestrierungen mit Orchester entfernt und die Roh-Mixe in ihrer ursprünglichen Form neu aufgearbeitet, wobei die neue Titelliste auf der Reihenfolge der analogen Originalaufnahmen basiert, welche in den Archiven von MPL entdeckt wurden.
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FAZIT: „Band On The Run“ ist ein musikalischer Meilenstein – nicht nur im Bandkatalog on PAUL McCARTNEY & WINGS – sondern auch in der umfangreichen Rock-Historie (Das Album hielt sich 1974 sage und schreibe 124 Wochen in den Charts!). Nunmehr feiert dieses einerseits federleichte und andererseits extrem abwechslungsreiche bis hin zu progressiven Ideen extrem aufgeschlossene Album seinen halbjahrhundrigen Geburtstag, der besonders für die Vinyl-Ausgabe auf allerhöchstem klangtechnischen Niveau (Aufnahmeverfahren, bei dem der Mastercut mit High-End-Frequenzen in den Abbey Road Studios mit halber Geschwindigkeit aufgenommen wurde, um so optimale und höchste Klangqualität für Vinyl zu erreichen) veredelt wird.
<b>PS:</b> Die Neuauflage von „Band on the Run“ erscheint in verschiedenen Konfigurationen, angefangen mit dem essentiellen Half Speed Master der hier besprochenen 1LP-Edition, die von Miles Showell in den Londoner Abbey Road Studios mit halber Geschwindigkeit geschnitten wurde. Basierend auf den Original-Mastertapes von 1973, ist die Titelliste dieser 1LP-Variante mit dem zusätzlichen Song „Helen Wheels“ an die damalige US-Version angelehnt. Dazu bietet das 1LP-Set ein Poster, das auf einem Polaroid-Foto von Linda McCartney basiert.
Die 2LP-Vinyl-Edition beinhaltet ebenfalls diese neue Version vom US-Album (Half Speed Mastering) sowie eine zweite LP mit dem Titel „Underdubbed“ Mixes Edition, verpackt im Premium-Schuber. Diesem Set liegen zwei Poster bei, die auf Polaroid-Bildern von Linda McCartney basieren.
Die 2CD-Edition vereint neben dem US-Album und den „Underdubbed“-Mixes auch ein ausklappbares und beidseitig bedrucktes Polaroid-Poster (fotografiert von Linda McCartney). Neben den physischen Editionen wird Band on the Run (Underdubbed) auch digital erhältlich sein.
<b>Disc 1 – Band on the Run</b>
1. Band on the Run
2. Jet
3. Bluebird
4. Mrs. Vandebilt
5. Let Me Roll It
6. Mamunia
7. No Words
8. Helen Wheels
9. Picasso’s Last Words (Drink to Me)
10. Nineteen Hundred and Eighty Five
<b>Disc 2 Band on the Run (Underdubbed Mixes)</b>
1. Band on the Run
2. Mamunia
3. No Words
4. Jet
5. Bluebird
6. Mrs. Vandebilt
7. Nineteen Hundred and Eighty Five
8. Picasso’s Last Words (Drink to Me)
9. Let Me Roll It
<i>Die Neuauflage von „Band on the Run“ wird auch als Stream in Dolby ATMOS-Qualität verfügbar sein.</i>
Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.02.2024
Paul McCartney
Paul McCartney, Denny Laine
Paul McCartney, Denny Laine
Paul McCartney, Linda McCartney
Paul McCartney, Remi Kabaka
Howie Casey (Saxophon), Denny Laine, Linda McCartney, Paul McCartney, Remi Kabaka, Ginger Baker (Perkussion)
MPL/Universal Music
44:39
02.02.2024