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Peter Wolff & Jens Borgaard w/ Kai Lietzke: Destroyer

Stil: Electronica, Ambient

Cover: Peter Wolff & Jens Borgaard w/ Kai Lietzke: Destroyer

„Destroyer“ dreht sich thematisch um einen Autounfall, den Sänger Jens Borgard selbst mit ansehen musste. Aus der Zusammenarbeit mit DOWNFALL OF GAIAs Peter Wolff und dem Filmemacher Kai Lietzke, der zu dem Album einen Konzeptfilm erarbeitet hat (der wohl 2024 erscheinen soll), ergibt sich ein gleichsam verstörendes wie versöhnliches Musikwerk zwischen elektronischen Klängen und Ambient-Soundscapes.
Sämtliche Sounds dieses Albums strahlen eine schwer fassbare Kälte aus. Stücke wie „Rain“ erzeugen verstörende Bilder voller emotionaler Zerrissenheit und klingen ob ihrer brachial-kalt-kratzigen Verzerr-Geräusche alles andere als angenehm.

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Aber zu jedem klanglichen Nervenbündel hält dieses Album auch eine versöhnliche Antwort parat.
So folgt auf die beklemmende Düsternis, die das Einstiegsdoppel „Dwell“ und „End“ erzeugen, das umso zartere Pianostück „Serene“, ehe „Transmit“ seinem Titel entsprechend durchaus Qualitäten einer Grenzwandlung hat. Aber obwohl das Stück wie ein elektronischer Würgegriff erscheint, wirkt sie nicht stur zermürbend. Viel eher wirft der Song Fragen auf. Fragen nach vergangenen Taten und ihren zukünftigen Folgen. Fragen wie: „Was war?“, „Was wird sein?“.

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Finale Antworten bleibt das Album zwar schuldig, aber mit „Rain“ startet die zweite Hälfte in völliger Kälte.
Verzerrte Elektronik erzeugt Bilder von Fingernägeln, die über kalten Beton kratzen, während der dunkel-betörende Gesang fast höhnisch sonor über dieser Szenerie schwebt.

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„Observe“ dagegen zieht sanft herauf.
Die Musik weckt Assoziationen zu einem lauen Sommerregen, der das Leben reinwäscht. Die Kraft des Wassers nimmt alle Anspannung mit sich und spült sie davon. Wie ein stiller Beobachter, der auf den richtigen Moment wartet, um einer leidenden Gestalt zu Hilfe zu kommen. Oder ist diese ganze Szenerie, die ganze Geschichte dieses Albums ein rein gedankliches Konstrukt, das der Flucht vor sich und dem eigenen Leben entspringt?

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„You“ erweckt als vertonte Paralyse durchaus einen solchen Eindruck.
Zumindest scheint das Leben hier in einer Art Spirale festzusitzen, oder es findet in einer sich stetig wandelnden Welt keine Bezugspunkte und damit keinen Halt mehr.
Bezogen auf diese Geisteshaltung ist der aufrührerische Abschluss „Reaper“ vielleicht weniger ein ungewollt zerstörerisches Ende, als vielmehr eine willkommene Erlösung. Ob aber eine Erlösung in Destruktivität wirklichen Frieden bringt, ist auch angesichts der beklemmenden Stimmung des Songs fraglich.

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FAZIT: „Destroyer“ hat Qualitäten einer verbotenen Frucht, denn die Zusammenarbeit von PETER WOLFF & JENS BORGAARD mit KAI LIETZKE verbindet nervenaufreibende Klänge mit einer visuell ansprechenden, sehr harmonischen Ästhetik, die im direkten Widerspruch zum thematischen Ausgangspunkt des Albums steht. Dadurch wirkt dieses Album wie eine Metapher auf das Leben generell, das vielfach auch von komplexen Entscheidungen und scheinbaren Widersprüchen gekennzeichnet ist, die sich selten auf Anhieb erklären lassen. Dieser Aufruhr wird hier aber in erster Linie auf das individuelle Innere bezogen, dem die natürlichen Gegensätze von Schönheit und Gefahr, von Leben und Tod anhand von gleichsam abstrakten wie realen Naturbildern vor Augen geführt werden. Dass also An- und Entspannung hier sehr nah beieinander liegen, verwundert kaum.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.01.2024

Tracklist

  1. <b>Side I:</b>
  2. Dwell
  3. End
  4. Serene
  5. Transmit
  6. <b>Side II:</b>
  7. Rain
  8. Observe
  9. You
  10. Extol
  11. Reaper

Besetzung

  • Gesang

    Jens Bogaard

  • Keys

    Peter Wolff

Sonstiges

  • Label

    My Proud Mountain

  • Spieldauer

    38:58

  • Erscheinungsdatum

    24.11.2023

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