<b>„Diese Lieder und Geschichten sind in meinen dunkelsten Zeiten entstanden. 'The Wolves Are Coming' stellt eine Brücke dar - eine Verbindung zwischen Verzweiflung und Hoffnung - die gebrochene Seelen dazu einlädt, transformiert und geheilt zu werden.“</b> (Philip Sayce)
Was tun, wenn man anno 2020 als Musiker und Privatperson gefühlt vor dem Ruin steht, ausgelöst durch eine Pandemie, die alle Hoffnungen und Termine auf und für eine große Tour mit einem Schlag auslöscht?
Na klar doch: Man nimmt ein neues Album auf und lässt all den angestauten Frust und die Wut dabei raus. Man klingt exzessiv und aggressiv und man lässt das nicht nur an verfremdeten Effekten bezüglich des Gesangs und an fiesen Gitarren-Riffs raus, sondern nimmt zudem den Sound in Garagen-Manier auf, weil tiefe Bässe oder Kristallklares bei so viel wütendem Musikwagemut einfach nicht passen.
So oder ganz ähnlich muss PHILIP SAYCE gedacht haben, als er mit „The Wolves Are Coming“ sein böses, nicht wirklich klangvolles, Wolfsgeheul auf seine Hörer losließ. Das mit der Sound-Qualität hätte er besser aber doch noch einmal überdenken sollen...
… doch erst einmal braut man dieses bombastische „Oh! That Bitches Brew“, durch den die Wölfe wohl noch wilder werden sollen.
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Nun ja – und dann auch noch solch ein wolfsheulender Titel.
Spätestens seit Rotkäppchen hat sich in Deutschland ja das Bild vom 'bösen Wolf' manifestiert und gilt bestens als Warnung dafür, was einem widerfahren kann, wenn man vom Weg abweicht. Und viele atmeten auf, als diese wohl rücksichtsvollsten Rudeltiere, die alles für den Schutz und Erhalt ihres Rudels tun und nur zum eigenen Überleben töten, zum Abschuss freigegeben wurden. Denn wer dem Menschen, der sich als wahres Abbild von Freiheit und Friedensliebe versteht, sein gezüchtetes und eingezäuntes Fressen wegfrisst, der gehört schließlich gekillt. Selbst wenn man dabei vergisst, dass durch die (historische) Annäherung der Wölfe an den Menschen dessen liebstes Haustier, der Hund, entstand. Also: Wolf = wild und frei = böse! Hund = gehorsam und an die Kette/Leine gelegt = lieb.
Interessante Logik, oder?
Eine ähnliche Logik findet man auch auf „The Wolves Are Coming“, dem aktuellen Album von PHILIP SAYCE wieder, das übrigens mit dem bereits erwähnten Album-Opener „Oh! That Bitches Brew“ eine herrliche Erinnerung an eines der progressivsten und weltweite Musikgeschichte schreibenden Alben von MILES DAVIS weckt.
PHILIP SAYCE stammt aus Wales, wuchs aber in Toronto (Kanada) mit seinen Eltern und deren Plattensammlung auf, in der ihn besonders ERIC CLAPTON und RY COODER oder die DIRE STRAITS beeindruckten, bis ihn dann sein bester Freund – ein Schlagzeuger – in die Faszination von JIMI HENDRIX und STEVE RAY VAUGHAN einführte, der er sofort verfiel – wie man es auch auf „The Wolves Are Coming“ nur zu gut hören kann.
Ein Album das rotzt und rumpelt und gehörig nach dem Garagen-Sound klingt, mit denen anfangs das Geschwisterpaar Jack & Meg White als THE WHITE STRIPES Ende der 90er-Jahre Musikgeschichte schrieben.
Bestes Beispiel hierfür ist die knackige Losgehnummer „Black Moon“, welche die LP-A-Seite unmittelbar nach der Ballade „It's Over Now“ (mit schönem, fast verträumt anmutendem Gitarren-Solo plus einer Prise Soul) mit krachendem Rock, der selbst im Stadion bestens funktionieren würde, abschließt.
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Seltsam ist dann aber das Album-Ende, das vom „The Wolves Are Coming“-Rest deutlich abweicht. Zuerst mit „Intuition“ ein megastarkes, ruhig beginnendes und dann metallisch explodierendes Instrumental, das extrem abrupt abbricht, um zum letzten Song, der nicht von Sayce sondern der Blues-Legende JOHN LEE HOOKER stammt, überzugehen und nur mit Piano und Gitarre eingespielt, sich ganz tief in die Blues-Wurzeln eingräbt.
Ein unerwarteter Schuss für ein insgesamt unerwartet eigenartiges Album, das Sayce selber als einen absoluten Meilenstein ansieht. Beachtet man die donnernden Gitarren-Riffs und so einige Fuzz-Sounds, die Sayce auf den Hörer abfeuert, geht man mit dieser Behauptung gerne mit – andere Erscheinungen sind allerdings nicht so beachtlich.
Leider gibt es einen musikalischen Pferdefuß, der diesem Album unerbittlich Schaden zufügt – und das ist der Sound, in dem ein Großteil der 11 Songs aufgenommen wurde: Verwaschen, oft zu dumpf, übersteuert, mitunter dröhnend und schrill in den Höhen, die viel zu selten zum Tragen kommen. Wie bereits erwähnt – hier bekommen wir klangtechnisch tatsächlich deutlich übertriebenen 'Garagen-Sound' um die Ohren geballert, der die geile Wirkung der mitunter grandiosen Kompositionen gehörig mindert. Da verliert dann selbst die „Lady Love Divine“ ein wenig von ihrer Schönheit.
Schade. Wirklich schade!
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FAZIT: Diesmal also lässt PHILIP SAYCE auf seinem achten Album die Wölfe heulen und ganz besonders seine Gitarre, was auf den ersten Blick richtig stark ankommt, denn ein Hendrix und ein Beck klingen oft wie seine musikalischen Begleiter im Geiste, was gerade darum immer wieder eine großartige Erfahrung ist, da auch durch Sayce der Beweis erbracht wird, dass richtig gute E-Gitarristen zum Glück nicht aussterben. Vom Sound her und auch der einen oder anderen weniger überzeugenden kompositorischen Idee ist auf „The Wolves Are Coming“ allerdings dann doch noch so einige Luft nach oben vorhanden.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.03.2024
Philip Sayce, Joel Gottschalk
Philip Sayce, Bernie Barlow
Philip Sayce
Fred Mandel
Michael Leasure, Aaron Sterling, Mauricio Lewak
Forty Below Records/Bertus
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23.02.2024