Wer kennt's nicht noch aus Kindestagen – das Malen nach Zahlen?!
Nun also holen die kanadischen Prog-Urgesteine RED SAND, die gerade ihren 20. Geburtstag feiern, ihren 'Malkasten' heraus.
Malen die etwa nach Noten?
Oh, das könnte eigentlich nur schiefgehen.
Darum ist die „Pain(t) Box“ von RED SAND eine ganz andere, denn sie zeigt uns, wie farbvielfältig das progressive Klang-Universum ertönen kann und welche kunterbunte Möglichkeiten dabei professionelle Musik-Maler haben, wenn sie ihren kompositorischen wie textenden Pinsel anlegen, um ihre kreative Ader zu Ton bringen zu können. Erste Voraussetzung bei diesem Thema: Wecke das Kind, welches noch immer in dir schlummert (und vertraue niemals dem Mann mit der Krawatte), getreu dem Album-Opener „Wake Up The Child“: „Wake up the child that is sleeping inside of you, / Don't believe the man with a tie...“
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Oh, ja, da schwant einem bereits Schlimmes – denn diese 'Pain(t) Box' wird, streicht man in der englischen Sprache nur das 't' durch, wie es auf dem Cover des aktuellen Albums der kanadischen Prog-Rocker, die schon seit gut 20 Jahren im progressiven Rockgeschäft sind, tun, dann wird aus dem Malkasten eine Box des Leidens – und der Schrecken nimmt seinen Lauf...
Entsprechend finster beginnt das Album dann auch musikalisch wie textlich mit „Wake Up The Child“, welches der Erwachsene, der nur noch der Macht und dem Geld hinterherjagt oder wie ein Schaf seinem Schlächter, weil er einfach nur der Herde hinterhertrottet, ins Messer läuft, endlich wieder in sich wecken soll. All die Träume und Freuden der Kindheit scheinen begraben – also muss man sich wieder in seine eigene Kindheit zurückbegeben, um diese schönen Seiten, ohne all die erwachsenen Abhängigkeiten, wiederzuerwecken.
Musikalisch werden wir hier deutlich an die düsteren Spätwerke eines STEVE HACKETT oder von IQ erinnert, bei denen sich der Bombast von GENESIS mit der Filigranität der akustischen Gitarre vereint. Eine abwechslungsreiche, gelungene Mischung, die sich in dem Instrumental „Us“ fortsetzt, welches aber offensichtlich auf floydianische Klanglandschaften samt typischer Gilmour-Gitarre setzt.
So kann es gerne weitergehen – und so geht es weiter, selbst wenn „Time“ einen melodiöseren Rhythmus verpasst bekommt, der einem ROGER WATERS huldigt, und das Motiv der Kindheit erneut aufnimmt und bedrohlich wie bedrückend fortspinnt: „A place where my child can be free / I don't believe in everything or in every line. / But I believe in every shade / In my mind, in my childlike mind“.
In einer ähnlichen Stimmung und Konnotation segeln wir wortwörtlich über „Broken Wings“ und das verträumte „Poland“-Instrumental mitten hinein in das über halbstündige Opus Magnum von RED SAND – das epische wie symphonische und in ähnlich überraschender Weise wie GENESIS' „Supper's Ready“ gestaltete „Tie“...
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...in dem der Mann seine Krawatte ablegt und sich seinen kindlichen Visionen zuwendet – doch ob er mit dieser Entscheidungen in einer kalten Welt der Erwachsenen (über)leben kann, bleibt offen: „The sunshine in a creative child's smile, I remember all of this in my mind. / See the blue screen. / Do we never think of what we've seen? / I believe in a time where we were free like a happy child, / In possession of our own selves. / A place that we didn't have to fight imagine a life, / Where we must love and pass this idea, / To live in a kindly light, / We can...“
(Der Sonnenschein im Lächeln eines kreativen Kindes, ich erinnere mich an all dies in meinem Kopf. / Ich sehe es wie auf einem Bildschirm vor mir. / Denken wir nie an das, was wir einst gesehen haben? / Ich glaube an eine Zeit, in der wir frei waren wie ein glückliches Kind, / Im Besitz unseres eigenen Ichs. / An einen Ort, an dem wir nicht kämpfen mussten, um unser Leben zu verwirklichen, / an dem wir lieben und geliebt werden, / und der in einem freundlichen Licht erscheint, / Es liegt nur an uns...)
RED SAND machen es uns mit ihrer konzeptionellen wie bedrückenden Thematik hinter „Pain(t) Box“ wirklich nicht leicht, aber das war noch nie die Absicht der kanadischen Progger, welche sich bereits auf ihrem Vorgängeralbum „The Sound Of The Seven Bell“ mit den sieben Todsünden beschäftigten, um sich nunmehr mit „Pain(t) Box“ einer neuen, biblisch nie benannten Todsünde auseinanderzusetzen: Seine Kindheit und die Träume, welche man einst hatte, hinter dem Erwachsensein in Schlips und Anzug zu begraben!
Zwar keine biblische Sünde, aber eine offensichtlich gegenwärtige!
<br><center><iframe style="border: 0; width: 350px; height: 350px;" src="https://bandcamp.com/EmbeddedPlayer/album=1306011215/size=large/bgcol=ffffff/linkcol=0687f5/minimal=true/transparent=true/" seamless><a href="https://redsand2.bandcamp.com/album/paint-box">Pain't Box von Red Sand</a></iframe></center></br>
FAZIT: Das aktuelle Konzept-Album der kanadischen Prog-Band RED SAND führt einen auf den ersten Blick in die Irre – und zwar ganz bewusst. Denn wer nennt sein Album schon 'Malkasten'? Da kann doch nur biederer 'Malen-nach-Zahlen'-Neo-Prog bei herauskommen, oder? Doch es geht gar nicht nur ums Malen auf diesem Album, dessen Titel „Pain(t) Box“ erst im Englischen eine klare Doppelbedeutung erhält, weil hier durch das Weglassen eines Buchstaben aus 'Paint' ganz schnell das größte und leidvolle 'Pain' werden kann (Ein Leid, das entsteht, wenn man die Pinsel seiner Kindheit weglegt, um sich den Regeln des Erwachsenseins widerspruchslos zu unterwerfen!) – und dieser Schmerz, den man sich und anderen antut oder auch empfindet, steht im Mittelpunkt von „Pain(t) Box“, einem der gelungensten, klassisch ausgerichteten Progressive-Rock-Alben der Kanadier, woran gerade auch die über halbstündige Meganummer „Tie“ einen großen Anteil hat. Progressive Rock, mal episch und symphonisch ausgelebt – im Stile von IQ oder Mr. Hackett & Waters – aber auch mit harten Klängen, die sich tief in die Gehörgänge bohren und noch dazu bei den schaurig-bedrückenden wie gleichermaßen schönen Texten über die Kindheit, der man abgeschworen hat, zwar ein ungutes Gefühl im Magen hinterlassen, aber verdammt klangvoll in den Ohren hängen bleiben.
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Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.10.2024
Simon Caron
Michael Renaud
Simon Caron
Simon Caron
Perry Angelillo
SPBN Music/Just For Kicks
50:28
27.09.2024